Grasser und Meischberger sprachen nach der Urteilsverkündigung von einem „Fehlurteil“ und kündigten eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg an. „Ich habe ganz eindeutig den Eindruck, dass die Richter mich offensichtlich um jeden Preis verurteilen wollten. Ich halte fest, dass dieses Urteil Unrecht ist und in meiner Überzeugung rechtlich unhaltbar ist“, erklärte Grasser beim Verlassen des OGH-Verhandlungssaals am Dienstag. Es sei eine „massive Verletzung meiner Menschenrechte und meines Lebens“, sagte der Ex-Finanzminister. „Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass ich zumindest auf europäischer Ebene mein Recht bekommen werde.“
Für Ex-Lobbyist Peter Hochegger halbierte der fünfköpfige OGH-Richtersenat die Zusatzfreiheitsstrafe von sechs auf drei Jahre, 2 Jahre davon bedingt. Die rechtskräftig Verurteilten werden nun zeitnah eine Aufforderung zum Strafantritt erhalten. Die Zusatz-Freiheitsstrafe für Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics senkte das Höchstgericht von zwei Jahren auf 12 Monate bedingt, für Ex-RLB-OÖ-Vorstand Georg Starzer von 3 Jahre teilbedingt auf 20 Monate bedingt. Zwei weitere Angeklagte wurden wegen Geldwäscherei, Beweismittelfälschungen und Begünstigung im Zusammenhang mit den inkriminierten Sachverhalten zu bedingten Freiheitsstrafen von 12 Monaten und 8 Monaten verurteilt. Aufgehoben wurde der Schuldspruch gegen Grasser wegen Beweismittelfälschung und der Schuldspruch gegen Hochegger wegen eines strafbaren Beitrags zur Untreue in der Telekom Austria-Affäre.
Die heutige Entscheidung des OGH-Richtersenats ist der Schlussstrich unter einen Immobiliendeal, der seit nunmehr 21 Jahren die Republik beschäftigt. Damals gingen rund 60.000 Bundeswohnungen um 961 Mio. Euro an ein Konsortium rund um die Immofinanz, der unterlegene Bieter CA Immo hatte gerade einmal 1 Mio. Euro weniger für die Wohnungen geboten. Das sorgte zwar für Überraschung; dass diese Privatisierung möglicherweise geschoben war, stellte sich aber erst ein paar Jahre später heraus, als bekannt wurde, dass zwei Grasser-Freunde – die beiden früheren Lobbyisten Meischberger und Hochegger – bei dem Immofinanz-Deal 9,6 Mio. Euro an Provision mitgeschnitten hatten.
Ein weiterer Themenkomplex im Verfahren waren Provisionszahlungen in Höhe von 200.000 Euro im Rahmen der Einmietung der Finanzbehörden in den Linzer Terminal Tower. Im Laufe des Verfahrens wurden weitere kleinere Anklagen im Zusammenhang mit der Telekom-Affäre in die Verhandlung miteinbezogen.
Die Halbierung der Strafen im Grasser-Prozess ist im Wesentlichen eine Folge der langen Ermittlungs- und Verfahrensdauer von rund 15 Jahren. Ebenfalls strafmindernd habe sich die vorige Unbescholtenheit und das Wohlverhalten seit der Tathandlungen in den Causen Buwog und Terminal Tower Linz ausgewirkt, erklärte die Vorsitzende des OGH-Richtersenats, Christa Hetlinger, die Strafreduktion. Zusätzlich mildernd gewirkt habe die teilweise mediale Vorverurteilung und die öffentliche Verhöhnung der Angeklagten.
Die Verhängung „gravierend geringerer Strafen“ solle aber keinesfalls die Taten bagatellisieren, betonte Hetlinger, das Gegenteil sei der Fall. Es handle sich bei den Handlungen der Angeklagten um schwere Korruptionsvergehen mit einer Schadenssumme von fast zehn Mio. Euro. Insbesondere mit Grasser ging die Senatsvorsitzende hart ins Gericht. Dass sich ein Finanzminister derart persönlich bereichert habe, sei in Österreich „beispiellos“. Dies hätte man in Österreich nicht verortet und sei dazu geneigt, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zu erschüttern.
Dass die Angeklagten ihre Rechtsmittel ausschöpften und damit auch für eine lange Prozessdauer sorgten, sei ihnen nicht anzulasten. Die Ausübung ihres Rechts dürfte ihnen nicht zu ihrem Nachteil gereichen, betonte die OGH-Senatsvorsitzende. Bei den Angeklagten Ex-Lobbyisten Peter Hochegger sei sein Geständnis mildernd zu werten und beim mitangeklagten Ex-Immofinanz-Chef Karl Petrikovics eine erhebliche Schadenswiedergutmachung.
Die von der Verteidigung wortreich vorgebrachten mutmaßlichen Verfahrensfehler im Erstprozess und eine Befangenheit der Erstrichterin Marion Hohenecker würden nicht vorliegen, führte die OGH-Senatsvorsitzende aus. „Die Verteidiger haben es nicht geschafft erhebliche Mängel aufzuzeigen, weil es sie nicht gibt.“Es sei kein unfaires Verfahren vorgelegen. Die Verteidiger hatten mehrmals die Besetzung des Erstgerichts unter Richterin Hohenecker als „nicht neutral“ und „parteiisch“ kritisiert.
Die OGH-Senatsvorsitzende ging ausführlich auf die Befangenheitsvorwürfe der Verteidigung gegen die Erstrichterin ein. Das Verhalten ihres Ehemannes, eines Richters, sei nicht zu beschönigen, aber nicht Teil des Verfahrens. Aus den Akten würden sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Richterin Hohenecker parteiisch fungiert habe. Keinerlei Verfehlungen kann der OGH-Richtersenat bei den Tonaufnahmen im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts erkennen.
Hetlinger erklärte, dass sie den Eindruck gehabte habe, dass die Angeklagten meinten, der OGH würde über Schuld oder Unschuld entscheiden. Das sei aber nicht der Fall, es gehe beim OGH vielmehr darum, ob das Erstverfahren mangelfrei geführt wurde. Wobei die Senatsvorsitzende meinte, dass sich die Verteidiger ohnehin weniger auf Mängel- und Tatsachenrügen als auf Fragen wie die Sitzordnung, Liveticker oder Tonaufnahmen im Gerichtssaal konzentriert hätten.
Nach fast genau eineinhalb Stunden war OGH-Richterin Hetlinger mit ihren Ausführungen fertig, die Privatbeteiligtenvertreter wurden auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Die rechtskräftig Verurteilten müssen auch Schadenersatz leisten. Der OGH bestätigte den Privatbeteiligtenzuspruch an die Republik Österreich betreffend Grasser und Meischberger (9,8 Mio Euro), Petrikovics (9,6 Mio Euro) und einen weiteren Angeklagten (4,8 Mio Euro). Damit fand der größte Korruptionsprozess der Zweiten Republik sein Ende.