apa.at
news/APA/Sonntag, 09.02.25, 09:59:00

Neu gedachte „Fräulein Else“ begeistert im Volkstheater

Es ist der Vater, der "Fräulein Else" in eine unbequeme Lage bringt, und dessen Freund Dorsday, der sie drastisch verschlimmert. In Arthur Schnitzlers Monolog-Novelle wird die junge Frau schamlos von Männern ausgenützt. Sie versucht, sich selbst zu finden - was bekanntlich ein dramatisches Ende für sie nimmt. Muss das wirklich so sein?, fragen sich Leonie Böhm und Julia Riedler ca. 100 Jahre später im Wiener Volkstheater und ernten dafür minutenlange Standing Ovations.
APA/APA/Volkstheater/Marcel Urlaub

Eine Vogue- und eine Fielmann-Brille sind das Resultat von Elses (Julia Riedler) verzweifelter Sammelaktion. Mehr war vom Publikum nicht zu bekommen. 330 Euro schätzt sie, bräuchte aber 30.000, um dem Vater vor dem Gefängnis zu bewahren. Dieser hat ihr einen Expressbrief zukommen lassen. Er ist mal wieder in Geldnöten, Else seine letzte Hoffnung. Sie soll den Kunsthändler Dorsday – einen guten Freund des Vaters, der zufällig am selben Ort weilt – um die entsprechende Summe bitten. Wenige Tage hat sie dafür, sonst ist „alles verloren“.

Kaum dazu durchgerungen, offenbart ihr der weit ältere, wohlhabende Dorsday, dass „alles seinen Preis“ hat und verlangt im Gegenzug, sie 15 Minuten nackt zu sehen. Mehrere Stunden hat Else für die Entscheidung – und in ihrem Hirn geht es rund. Nicht vornehm sei sie, schon für alles Mögliche bereit, aber doch nicht so! Wie weit geht die Liebe zum Vater, wie weit zu sich selbst und wie ist es um ihre Selbstachtung bestellt?

Regisseurin Leonie Böhm, die zuletzt mit dem „Blutstück“ von Kim de l’Horizon bei den Wiener Festwochen Luft in Österreichs Bundeshauptstadt schnuppern konnte, legt mit „Fräulein Else“ ihre erste Wien-Arbeit vor. Die deutsche Theatermacherin beschränkt sich dabei auf das Wesentliche: Riedler steht solo auf der Vorbühne. Einzig ein großer Kronleuchter leistet ihr Gesellschaft. Kaum Licht- oder Soundeffekte lenken von der inneren Zerrissenheit der jungen Frau und dem schieren Unglauben, in welche Lage sie da unverschuldet geraten ist, ab.

Was rasch zu einer etwas trockenen Angelegenheit werden könnte, entpuppt sich als das Gegenteil: Riedler schafft es mühelos, das Publikum mit einem herrlichen Balanceakt zwischen Verzweiflung, Nachdenklichkeit, Trotz und einer gehörigen Portion Witz auf ihre Seite zu ziehen. Auch stellt sie in zahlreichen Interaktionen mit dem Publikum ihr Improvisations- und auf einer Beachparty ihr Polonaisetalent unter Beweis.

Der Suizid wird nur angedacht. Wie käme Else auch dazu, sich wegen denen das Leben zu nehmen oder sich gar für ihre Nacktheit zu schämen? Stattdessen spielen Böhm und Riedler den Ball lieber zu den Männern. Eine (imaginierte) aberwitzige Dorsday-Läuterung trifft den Nagel auf den Kopf – und lässt letztlich schwer schlucken. Wenn es so abwegig erscheint, dass Menschen wie Dorsday ihr Fehlverhalten erkennen, um wie viel besser als vor 100 Jahren steht dann die Gesellschaft da?

„Fräulein Else“ ist beste Unterhaltung, die den ernsten Kern niemals aus den Augen verliert. Besser als Böhm und Riedler muss man es erst einmal machen.

(Von Lukas Wodicka/APA)

(S E R V I C E – „Fräulein Else“ von Leonie Böhm und Julia Riedler frei nach Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ im Wiener Volkstheater. Regie: Leonie Böhm. Mit: Julia Riedler. Bühne und Kostüm: Belle Santos, Lichtdesign: Ines Wessely, Dramaturgie: Matthias Seier. Nächste Vorstellungen am 13. und 23. Februar sowie 7., 16., 20. und 22. März. )