Als Vermächtnis der Pandemie sieht Bogner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) „die große Solidarität in der Frühphase der Krise“. In negativer Hinsicht sei es die Moralisierung im Zuge der Impfdebatte gewesen: „Weil man an den Sieg über das Virus durch Impfen glaubte, konnte man Impfskepsis nur noch als Ausdruck moralischer Verkommenheit verstehen.“
Die starke Polarisierung speziell des Themas Gesundheit sieht auch Sozialwissenschafterin Julia Partheymüller als schwierige Hürde für mögliche künftige Pandemien. Gleichzeitig verwies sie auf ein eher „verzerrtes Bild“ von der öffentlichen Wahrnehmung: Während eigene Analysen gezeigt hätten, dass „die Bevölkerung viele Maßnahmen über weite Teile der Pandemie hinweg mehrheitlich unterstützt und mitgetragen hat“, werde dies in der medialen und politischen Debatte oft anders dargestellt, so die Forscherin vom Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.
Die schnelle wissenschaftliche Vernetzung angesichts der Krise sowie die schnelle Impfstoffentwicklung liefern für Komplexitätsforscher Klimek den Stoff für eine „große Erfolgsgeschichte“, die auch „den Wert der Grundlagenforschung deutlich“ mache: „Dass dies aber in weiten Teilen der Gesellschaft nicht so kommuniziert werden konnte, ist die große Niederlage“, so der am Complexity Science Hub (CSH) Wien tätige Forscher.
Für Politikwissenschafterin Prainsack hat man durch die Krise gelernt, wo man Solidarität braucht und „was passiert, wenn die Politik sie von der Bevölkerung einfordert, ohne sie selbst zu leben“. Der Ärger über empfundene Benachteiligungen für „‚kleine‘ Menschen und Unternehmen“ entlade sich „u.a. in den Wahlen. Und für viele ist Solidarität zu einem Schimpfwort geworden“.
Zugleich sei „insbesondere institutionelle Solidarität“ und damit „die Absicherung der Bevölkerung vor ökonomischen Risiken und die gesundheitliche Versorgung aller, unabhängig von individuellen finanziellen Möglichkeiten, in Krisen wichtiger denn je“: „Armut zu bekämpfen und Ungleichheiten abzubauen sind die effektivsten Wege, uns vor neuen Krisen zu schützen.“ Das wolle in der Politik allerdings fast niemand hören, auch weil Investitionen in öffentliche Infrastrukturen und soziale Gerechtigkeit erst später Früchte tragen – „und nicht schon vor der nächsten Wahl“.
Bei der Aufbereitung der Pandemie sehen die Expertinnen und Experten noch einige Mängel: Die sozialwissenschaftlichen Ergebnisse des von der Bundesregierung 2023 initiierten „Corona-Aufbereitungsprojektes“ an der ÖAW seien online abrufbar, unterstrich Bogner, der dieses Projekt koordiniert hat. Doch über diese Initiative hinaus müsse auch „in medizinischer, ethischer oder ökonomischer Perspektive aufgearbeitet werden“.
Wichtig ist für Prainsack zudem, „jenen Menschen zuzuhören, die sich während der Pandemie ungerecht behandelt oder einfach unsichtbar gefühlt haben. Eine Evaluation der Covid-Maßnahmen durch die Wissenschaft allein kann das nicht ersetzen“.
Nachhaltige Ansätze und zukunftsorientierte, mit Unterstützung der Forschung entwickelte Konzepte forderte Partheymüller, um der in der Pandemie in weiten Teilen der Bevölkerung offengelegten geringen Gesundheitskompetenz als auch einer „tief verwurzelten Skepsis gegenüber ‚dem System‘ als Ganzem“ zu begegnen – und hier wieder Vertrauen aufzubauen. Für eine „koordinierte Forschungsförderung für die interdisziplinäre Krisenforschung“ sprach sich auch Bogner aus.
Es gebe noch viele offene Fragen zu den langfristigen Auswirkungen der Pandemie – es seien aber eher Detailfragen, äußerte sich Klimek, der sich als Direktor des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) etwa auch der Thematik rund um weltweite Lieferketten in Krisenzeiten befasst. „An der grundsätzlichen Einschätzung des Risikos der Pandemiewellen selbst und der Stärken und Schwächen der nationalen wie internationalen Reaktion würde eine weitere Aufarbeitung nichts ändern“, schränkte Klimek aber gleichzeitig ein.
Entsprechende Eckdaten seien inzwischen hinreichend bekannt. „Daher schwingt für mich in den Forderungen nach einer besseren Aufarbeitung oft auch der Wunsch nach einer Umdeutung dieser Ereignisse mit.“ Eine bessere Datenlage „hätte bei der Bewältigung der Pandemie geholfen“, so Klimek, aber das können man rückwirkend kaum ändern.
Um besser auf zukünftige Gesundheitskrisen vorbereitet zu sein und schneller reagieren zu können, braucht es für Prainsack bessere Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft: „Besondere Hausaufgaben sind hier unter anderem die Verbesserung der Dateninfrastruktur, die Reform der Gesundheitskommunikation und die Stärkung demokratischer Prozesse, um Vertrauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern.“
„Das im Sommer 2023 beschlossene Krisensicherheitsgesetz macht Hoffnung, dass Österreich bei der nächsten Pandemie etwas besser aufgestellt sein wird“, sagte Bogner. Gerade im Hinblick auf die Organisation der wissenschaftlichen Politikberatung gebe es Verbesserungsbedarf. Hier könnte das Gesetz „wichtige Akzente setzen“.
Partheymüller verweist auf ein gemeinsam mit Bogner betriebenes Projekt, das sich der Frage stellt, ob es mehr gesellschaftlichen Dialog, eine plurale wissenschaftliche Politikberatung und Wissenschaftskommunikation brauche. Dabei zeigte sich bereits: „Besonders vielversprechend ist die Weiterentwicklung der Politikberatung.“ Sie sei kein Allheilmittel, könnte aber ein Stück weit zur Krisenvorbereitung und Widerstandsfähigkeit beitragen.
Die emotionale und politische Debatte rund um die Pandemie lässt Klimek hoffen, „dass die nächste Pandemie so lange auf sich warten lässt, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben und ein evidenzbasiertes Vorgehen wieder möglich ist“. Auch er sieht eine Verbesserung der Datenlage als essenziell an, „damit die zuständigen Stellen rascher, informierter und zielgerichteter handeln können“. Die nächste Pandemie könne ganz anders aussehen: „Da die dicken Bretter auf nationaler Ebene noch nicht angebohrt sind, setzen viele ihre Hoffnungen auf den europäischen Gesundheitsdatenraum. Dieser soll schrittweise ab etwa 2030 kommen. Hoffentlich lässt sich die nächste Pandemie so viel Zeit.“
(S E R V I C E – Ergebnisse aus dem Corona-Aufarbeitungsprozess: ; Uni Wien „Work&Corona“-Daten-Dashboard: )