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news/APA/Sonntag, 16.02.25, 22:49:57

Deutsche Kanzlerkandidaten lieferten sich TV-Schlagabtausch

Eine Woche vor der deutschen Bundestagswahl haben sich am Sonntag erstmals die vier Kanzlerkandidaten von SPD, Union, Grünen und AfD in einer TV-Runde einen heftigen Schlagabtausch zu zentralen politischen Fragen geliefert. In der Viererrunde von RTL traten die konträren Positionen etwa zur Migration, zur Wirtschafts- und Finanzpolitik, zum Ukraine-Krieg oder zur Rentenpolitik zutage.
APA/APA/dpa/Kay Nietfeld

Bundeskanzler Olaf Scholz machte deutlich, dass er die irreguläre Zuwanderung nach Deutschland weiter reduzieren will. „Wir bleiben dran und müssen auch dranbleiben.“ Scholz sagte, dass die Zahl der Abschiebungen seit Beginn seiner Amtszeit um 70 Prozent gestiegen sei.

CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz konterte, dass zurzeit in vier Tagen so viele neue Flüchtlinge nach Deutschland kämen wie im Monat abgeschoben werden. Er forderte die Bundesregierung auf, Gespräche mit den Taliban in Afghanistan über die Rückführung von Flüchtlingen aufzunehmen.

Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck betonte, dass die Taliban ein „Terrorregime“ seien. Es gebe kein Land, das mit ihnen diplomatische Beziehungen unterhalte. Mit den Taliban zu verhandeln, sei ein „Adelsschlag für dieses Regime“.

AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel sagte mit Blick auf die Zahl der Menschen, die ohne Einreiseerlaubnis ins Land kommen: „Die Menschen wollen diesen Kontrollverlust in unserem Land nicht mehr haben.“

Die umstrittene Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz strahlte bis in die Fernsehrunde aus. Vance hatte in München unter anderem erklärt, es gebe keinen Platz für Brandmauern. Er nahm dabei indirekt Bezug auf die deutsche Debatte über eine Abgrenzung von der AfD. Vance warnte in diesem Zusammenhang vor einer Gefährdung der Demokratie. Der Begriff der Brandmauer bezieht sich vor allem auf die Union und die AfD.

Scholz sagte: „Was dort gesagt wurde, ist völlig unakzeptabel.“ Deutschland habe aus der Erfahrung des Nationalsozialismus die Lehre gezogen, dass es keine Zusammenarbeit mit den extrem Rechten gebe. Merz betonte mehrfach, für die Union komme eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage. „Und ich verbitte mir solche Einmischungen in die deutsche Bundestagswahl und auch in die Regierungsbildung danach.“ Er fügte hinzu: „Ich lasse mir doch nicht von einem amerikanischen Vizepräsidenten sagen, mit wem ich hier in Deutschland zu sprechen habe.“

Der Hinweis von Scholz auf den Nationalsozialismus ließ AfD-Chefin Weidel empört reagieren: „Diesen Vergleich finde ich skandalös. Den weise ich für mich persönlich und für die gesamte Partei zurück.“

Der Kanzler erinnerte auch an Aussagen des AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der im Juni 2018 gesagt hatte, Hitler und die Nazis seien „nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Später bezeichnete Gauland seine Äußerung als „missdeutbar und damit politisch unklug“. Weidel entgegnete: „Sie können mich hier heute Abend beleidigen, wie Sie wollen. Sie beleidigen damit Millionen von Wählern. Mich trifft das überhaupt nicht. Ich repräsentiere diese Stimmen nur. Schreiben Sie sich das bitte hinter Ihre Ohren.“

Merz nannte die AfD „eine rechtsradikale Partei, zum großen Teil rechtsextremistisch“. Er warf Weidel vor, sie würde AfD-Rechtsaußen Björn Höcke „adeln“. In einem Interview mit der „Bild“-Zeitung hatte Weidel gesagt: „Also Björn Höcke und ich, wir verstehen uns sehr gut.“ Ihren früheren Versuch, Höcke aus der AfD auszuschließen, bezeichnete sie als Fehler. Auf die Frage, ob sie ihn als geeignet für ein Ministeramt betrachte, antwortete Weidel mit „Ja“.

Auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik fanden Scholz, Merz, Habeck und Weidel keinen gemeinsamen Nenner. Scholz und Habeck warfen Union und AfD eine sozial ungerechte Steuerpolitik vor: Sie wollten mit milliardenschweren Plänen zu Steuersenkungen vor allem Menschen mit hohen Einkommen entlasten. Die Pläne seien zudem nicht gegenfinanziert. Habeck sprach mit Blick auf die Union und Merz von „Voodoo-Ökonomie“.

Merz hielt dagegen: Er warf Scholz und Habeck mit Blick auf die Rezession in Deutschland eine verfehlte Wirtschaftspolitik vor. Er nannte als Beispiel das Lieferkettengesetz und das Abschalten der Atomkraftwerke. „Wir müssen raus aus dieser Rezession.“ Man müsse das „bürokratische Monstrum“ in den Griff bekommen. Der CDU-Vorsitzende sprach sich zudem für eine Senkung der Unternehmenssteuern aus.

Scholz erneuerte den Vorschlag der SPD, 95 Prozent der Steuerzahler zu entlasten. Im Gegenzug sollten Reiche mehr zahlen. Wenn man wie er als Kanzler über 300 000 Euro verdiene, solle man mehr Steuern zahlen.

AfD-Chefin Alice Weidel sagte, die Energiepreise müssten durch Technologieoffenheit herunter, zum Beispiel durch grundlastfähige Kernkraftwerke, durch Kohle und durch Gas. Die gigantische Subventionspolitik bei erneuerbaren Energien müsse beendet werden, genauso wie die CO2-Abgabe.

Für vorübergehende Irritation sorgte eine Frage an die vier Kandidaten zum RTL-Reality-Format „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, in dem Promis gegeneinander antreten: „Was ist schlimmer für Sie, Opposition oder Dschungelcamp?“ Weidel antwortete: „Definitiv Dschungelcamp.“ Merz sagte zunächst: „Ich wundere mich über die Frage.“ Dann: „Lieber Jahrzehnte in der Opposition als zehn Tage im Dschungelcamp.“ Dem schloss sich Habeck an. Scholz sagte: „Ich will auch nicht ins Dschungelcamp.“ Er habe die Sendung aber schon einmal gesehen.

Für ungläubige Reaktionen sorgte eine Frage an Merz: „Was ärgert Sie mehr: Dass Olaf Scholz immer sagt, Sie lügen? Oder dass sogar der Bundeskanzler besser bei jungen Frauen ankommt als Sie?“ Weidel fragte ungläubig und lachend: „Der Bundeskanzler kommt besser bei jungen Frauen an? Echt?“ Dazu brauche man in jedem Fall einen Faktencheck. Merz war ebenfalls verwundert: „Das höre ich heute Abend auch das erste Mal.“

Moderiert wurde die Viererrunde von zwei bekannten RTL-Gesichtern: Günther Jauch („Wer wird Millionär?“) und die Nachrichtenmoderatorin Pinar Atalay („RTL Direkt“). Sie achteten auch darauf, dass die Redeanteile der Kontrahenten in etwa gleich bemessen waren. Die Redezeiten wurden von RTL gestoppt und immer wieder eingeblendet. Am Schluss bekam jeder der vier Gäste die Gelegenheit für ein Schlussstatement.

RTL hatte ursprünglich ein TV-Duell zwischen Scholz und Merz geplant, so wie vor einer Woche schon bei ARD und ZDF zu sehen. Der Sender rückte dann aber von dieser Idee ab, erweiterte die Runde um Habeck und Weidel und gab diesem Format die Bezeichnung „Quadrell“.

Die Parteien hoffen, nicht zuletzt mit solchen Talkrunden noch Wählerinnen und Wähler überzeugen zu können. Die Meinungsumfragen der Forschungsinstitute zeigen seit Wochen kaum Bewegung. Allerdings ist die Gruppe der noch Unentschiedenen offenbar groß. Im jüngsten ZDF-„Politbarometer“ gaben 28 Prozent an, dass sie noch nicht sicher sind, ob und gegebenenfalls wen sie wählen werden.

In den Umfragen bewegt sich die CDU/CSU bei 29 bis 32 Prozent, gefolgt von der AfD mit 20 bis 21 Prozent. Die SPD kommt auf 14 bis 16 Prozent, die Grünen liegen bei 12 bis 14 Prozent. Die Linke käme mit 6 bis 7 Prozent wieder in den Bundestag. Das BSW und die FDP müssen mit jeweils 4 bis 5 Prozent ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde befürchten.

Scholz, Merz, Habeck, Weidel waren bereits am vergangenen Donnerstag Gäste in der ZDF-Sendung „Klartext“ gewesen. Dabei wurden sie allerdings nacheinander von Zuschauerinnen und Zuschauern befragt. Schon an diesem Montag werden sie sich in der ARD-„Wahlarena“ wiedersehen – auch dabei stellen Bürger die Fragen. Am Mittwoch werden sich dann Scholz und Merz ein weiteres Duell liefern, dann bei Welt-TV und bild.de.

Am Donnerstag wollen ARD und ZDF den Spitzenkandidaten aller im Bundestag vertretenen Fraktionen und Gruppen auf den Zahn fühlen. Selbst am Samstagabend planen die Sender Pro7/Sat1 noch eine Kanzlerkandidatenrunde.