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news/APA/Dienstag, 15.10.24, 14:41:09

Vater wegen Mordes an drei Monate altem Sohn vor Gericht

Am Dienstag hat am Wiener Landesgericht in einem bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal ein nicht alltäglicher Mordprozess begonnen. Ein 30-Jähriger muss sich vor Geschworenen verantworten, weil er seinem drei Monate alten Sohn mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz schwerste Kopfverletzungen zugefügt haben soll. Laut einem gerichtsmedizinischen Gutachten starb der Bub "eindeutig" an den Folgen eines Schütteltraumas. Der Angeklagte bekannte sich "nicht schuldig".
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„Ein Schütteln ist nie passiert. Weder absichtlich noch unabsichtlich“, beteuerte der Angeklagte. Er habe mit den Verletzungen und dem Ableben seines Sohnes nichts zu tun. „Ich hab‘ eine Erklärung, aber mir wird immer wieder gesagt, dass ich kein Arzt und nur ein kleiner Bürger bin“, vermutete der Mann, dass es bei der notärztlichen Behandlung des drei Monate alten Buben in einem Spital zu Behandlungsfehlern gekommen sein könnte. Die Ärzte hätten zwei Mal eine Drainage gemacht, ohne dass er dem zugestimmt hätte, betonte der 30-Jährige.

Die Mutter des Buben hatte am 3. Februar gegen 23.00 Uhr mit ihrem Sohn ein Krankenhaus aufgesucht, wo unverzüglich mit der Behandlung des laut Anklage misshandelten Säuglings begonnen wurde. Für das Baby kam jede ärztliche Hilfe zu spät. Das Kleinkind dürfte schon zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme keine Gehirnfunktionen mehr gehabt haben. Am 6. Februar wurden die lebenserhaltenden Geräte abgeschaltet und der Bub für tot erklärt.

Das Spital alarmierte in weiterer Folge die Polizei, da sich bei dem Baby die typischerweise auf ein so genanntes Schütteltrauma hindeutenden Hirnverletzungen zeigten. Zudem wies das Baby neben den Kopfverletzungen auch ältere Verletzungen – eine gebrochene Rippe und einen gebrochenen Arm – auf. Die Eltern wurden in weiterer Folge wegen Mordverdachts fest- und in U-Haft genommen.

Die Mutter wurde dann allerdings Ende Mai enthaftet, das gegen sie gerichtete Ermittlungsverfahren mittlerweile eingestellt. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist gegen die 27-Jährige kein Tatverdacht mehr gegeben. „Das Kind ist tot. Er ist der Einzige, der dafür in Frage kommt“, meinte Staatsanwältin Franziska Fent zu Beginn der Verhandlung und blickte dabei in Richtung des Angeklagten. „Er leugnet vehement. Lassen Sie sich nicht einlullen“, appellierte die Anklägerin an die Geschworenen, der Verhandlung aufmerksam zu folgen.

Die Mutter, die seit mehr als zehn Jahren mit dem Angeklagten liiert war, hatte am Nachmittag des 3. Februar gemeinsam mit ihrer zwei Jahre alten Tochter eine Geburtstagsfeier besucht. Von 15.00 Uhr bis 22.00 Uhr war der Vater allein mit dem Sohn zu Hause. Für die Staatsanwältin bestand kein Zweifel, dass es in diesen sieben Stunden zu den festgestellten Hirnverletzungen gekommen sein muss: „Was genau in diesen sieben Stunden passiert ist, wissen wir nicht. Aber ein Baby, ein Säugling kann in sieben Stunden besonders nervenaufreibend sein.“

Dem Jugendamt war die an einer Adresse in Wien-Liesing gemeldete Familie nicht bekannt. In der Vergangenheit waren den Behörden nie Vorfälle hinsichtlich der 2022 geborenen Tochter gemeldet worden. Ihr Mandant sei „ein verantwortungsvoller Familienmensch“, der sehr liebevoll mit seinen Kindern umgegangen sei, betonte Verteidigerin Astrid Wagner. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe würden nicht zu seiner Persönlichkeit passen: „Er ist ein ruhiger Mensch. Gewalt ist ihm fremd.“ Die Anklage klinge plausibel, sei aber „zusammengebaut, konstruiert. Es kann sich so, muss sich aber nicht so zugetragen haben“, sagte Wagner. Die Ermittlungsbehörden hätten sich auf den Vater „festgebissen“. Sie hätten ihn für den einzig möglichen Täter gehalten: „Sie waren nicht mehr offen für andere Varianten.“

Die Lebensgefährtin des Angeklagten und Mutter des verstorbenen Säuglings machte von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch. Sie war nicht bereit, gegen ihren Partner auszusagen – die Beziehung des Paares besteht nach wie vor. Damit dürfen auch die bisherigen Angaben der 27-Jährigen, die diese bisher im Ermittlungsverfahren getätigt hat, nicht zur Urteilsfindung herangezogen werden.

Die 27-Jährige hatte am 3. Februar, nachdem sie nach Hause gekommen war, mehrere Videos des Babys aufgenommen, weil sie laut Staatsanwältin bemerkt habe, „dass etwas nicht stimmt.“ Diese Videos sind Aktenbestandteil und werden im Lauf der Verhandlung den Geschworenen gezeigt. Darauf sei „der Todeskampf des Kleinen“ zu sehen, bemerkte die Staatsanwältin.

Der Bub – ein Wunschkind – war am 3. November mittels einer Saugglockengeburt zur Welt gekommen. „Die Ärzte sagen, dass er gesund war. Aber es stimmt nicht. Er hat seit der Geburt schwer geatmet. Er konnte nicht gescheit essen, er hat keine Saugkräfte gehabt“, schilderte der Angeklagte. Der Vater bestritt auch, dass er als Einziger ein Gelegenheitsverhältnis gehabt hätte, dem Kind Schaden zuzufügen – schon am 29. Jänner soll es in den Nachmittagsstunden zu einem Vorfall gekommen sein, der von der Anklage als versuchter Mord qualifiziert wird. Ein als Sachverständiger beigezogener Neuropathologe hatte im Ermittlungsverfahren ältere Subduralblutungen unter der Hirnhaut des toten Säuglings festgestellt. Die Anklage macht dem Vater zum Vorwurf, den Buben schon damals kräftig geschüttelt zu haben, was dieser entschieden bestreitet.

Der Kleine sei mehrfach, zuletzt am 22. Jänner zu Familienfeiern mitgenommen und dabei „herumgereicht“ und von Angehörigen auf den Schoß genommen worden, behaupteten der Angeklagte und Verteidigerin Wagner. Am 22. Jänner habe er nach einer Geburtstagsfeier einen blauen Fleck am Rücken des Buben entdeckt, erklärte der 30-Jährige. Ein Mal habe der Sohn sogar bei der Schwiegermutter übernachtet, weil er gemeinsam mit seiner Partnerin auf einem Kinderflohmarkt Sachen verkauft hätte. Diese Frau sei „psychisch nicht so stabil“, seit sich ihr Mann in Haft befände, sagte der 30-Jährige.

Die Schwiegermutter stellte anschließend in Abrede, dass der Säugling je bei ihr genächtigt hatte. Sowohl diese Zeugin als auch die Schwägerin des Angeklagten versicherten jedoch übereinstimmend, der Angeklagte sei „ein guter Vater“ und „sehr fürsorglich“ gewesen. Die 19-jährige Schwägerin bestätigte außerdem, das Baby sei auffällig gewesen: „Man hat schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wenn er die Flasche getrunken hat, hat man gemerkt, dass ihm das Atmen schwerfällt.“

Der jüngere Bruder des Angeklagten betonte: „Ich glaube nicht, dass mein Bruder ein Mörder ist. Ich bin davon überzeugt, dass er das nicht gemacht hat. Wenn er das gemacht hätte, hätte er das längst zugegeben. Er war ein Super-Papa.“ Es müsse etwas „im Spital oder beim Transport“ passiert sein, mutmaßte der Zeuge. Sein verstorbener Neffe sei seiner Meinung nach „krank“ gewesen: „Er hat komische Geräusche gemacht, wenn man ihn aus dem Kinderwagen genommen hat.“ Sein Bruder habe sich sehnlichst Kinder gewünscht: „Warum sollte er in seiner Beziehung zehn Jahre auf ein Kind warten und ihn dann schütteln?“

Der psychiatrische Sachverständige Siegfried Schranz bescheinigte dem Angeklagten volle Zurechnungsfähigkeit. Dieser weise zwar „antisoziale und zwanghafte Akzentuierungen“ und eine geringe Frustrationstoleranz auf. Diese Züge seien aber schwach ausgeprägt und würden nicht das Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung erreichen, hielt Schranz fest. Der 30-Jährige sei außerdem gläubiger orthodoxer Christ und ein „ausgesprochener Familienmensch“. Als dessen Partnerin nicht schwanger wurde, „sind sie in die Kirche gegangen und haben gebetet“. Daraufhin hätten sie zwei Kinder bekommen, berichtete Schranz.

Die Geschworenenverhandlung wird am 24. Oktober fortgesetzt. Dann kommen der Gerichtsmediziner und ein Neuropathologe zu Wort. Auf Wunsch der Verteidigerin werden auch noch einige Zeuginnen und Zeugen geladen. Dem 30-Jährigen, der sich seit 11. Februar in U-Haft befindet, drohen im Fall eines anklagekonformen Schuldspruchs zehn bis 20 Jahre oder lebenslange Haft.