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news/APA/Dienstag, 23.07.24, 14:11:14

Service: Sport in allen Facetten in Interaktion mit Persönlichkeit

Verschiedene Sportarten erfordern verschiedene Tugenden. Im Judo kann nach Ippon ein Kampf in zwei Sekunden vorbei sein, im Tennis ist die Chance gegeben, sich in die Partie zurückzukämpfen. Beeinflusst der Sport die Persönlichkeit oder umgekehrt? Muss ein Stürmer extrovertiert sein, ein Segler die Geduld in Person? "Es geht in Richtung Interaktionshypothese, also Sport und Persönlichkeit beeinflussen sich gegenseitig", sagte Sportpsychologe Patrick Bernatzky im APA-Gespräch.
APA/APA/dpa/Sven Hoppe

Grundsätzlich gäbe es die Sozialisationshypothese (Sport beeinflusst Persönlichkeit) und die Selektionshypothese (Persönlichkeit beeinflusst Sport), erklärte Bernatzky, der Geschäftsführer des Österreichischen Bundesnetzwerk Sportpsychologie ist und bei den Olympischen Spielen in Paris im Dorf dem österreichischen Team zur Seite steht. Es laufe aber wohl eher auf die Interaktionshypothese hinaus. Gewisse Persönlichkeitsmerkmale seien in gewissen Sportarten von Vorteil, aber Studien hätten gezeigt, dass „alle Ausprägungen in fast allen Sportarten zu finden“ seien.

Das Big Five Modell ordnet die Persönlichkeitsmerkmale in Extraversion/Introversion, Verträglichkeit, emotionale Stabilität, Offenheit und Gewissenhaftigkeit. „Wenn man sich einen Schwimmer anschaut, der ein Einzelsportler ist, würde man sagen, der geht sehr gewissenhaft vor, braucht aber keine großen empathischen Fähigkeiten. Allerdings, wenn er dann viel im Team unterwegs ist, dann schadet diese Fähigkeit nicht“, nannte Bernatzky ein Beispiel.

Durch Sporttreiben würden sich Persönlichkeit und Charaktereigenschaften entwickeln, weil der Sport präge. Die Olympiazweite im Judo von Tokio, Michaela Polleres bezeichnet sich selbst als schüchtern und zurückhaltend in der Öffentlichkeit. Und nicht nur dort. „Auch auf der Matte greife ich nicht immer direkt an. Ich bin eher die, die wartet und dann kontert. Aber an dem haben wir in der letzten Zeit auch gearbeitet, denn oft verliere ich deshalb, weil ich Strafen (für Untätigkeit, Anm.) kassiere“, erzählte die Niederösterreicherin der APA.

Das sei ein gutes Beispiel, denn nicht alle im Judosport seien extrovertiert, meinte der an der Universität Salzburg arbeitende Bernatzky. „Es sind alle Anteile (Persönlichkeitsmerkmale/Anm.) in jeder Sportart. Je nachdem, wie gut man sich weiterentwickelt in der Ausübung, desto facettenreicher wird es.“ Jede Sportart habe Themen, die relevanter seien. „Bei einem Sprinter wird in der Vorbereitung und Routine ein bissl mehr das Auf-den-Punkt-Bringen im Vordergrund stehen. Dass man damit umgehen kann, dass es keinen zweiten Versuch gibt oder man sich am nächsten Tag ausbessern kann.“

Das Auf-den-Punkt-Bringen, diese Einmaligkeit müsse man auch in das normale Training öfters einbauen. Aber eine gute Routine brauche zum Beispiel der Segler, der in einer Regatta über viele Tage seine Wettfahrten abspult, auch. „Zum Start muss alles sitzen, jeder Handgriff, da muss jede Bewegung sitzen, jede Kleinigkeit passen“, sagte der Sportpsychologe.

Mehr Chancen zu haben, ist auch nicht nur leicht, entnimmt man den Worten von Seglerin Lara Vadlau. „Es ist schon sehr zäh, wenn du sechs Tage Vollgas performen musst. Du bist auf so einer extremen Spannung die ganzen Tage durch. Das ist auszehrend.“ Ihr 470er-Bootspartner Lukas Mähr erläuterte, dass man viel mit einem Sportpsychologen darüber rede. „Wenn du am ersten Tag drei Topplatzierungen rausfährst, baut das auch Druck auf. Egal, wie du es machst, du hast immer Druck.“

In Sportarten wie Segeln oder Ballsport mit Gruppenphase hat man die Möglichkeit, nach dem Start noch etwas zu beeinflussen. Dies hat beispielsweise ein Sprinter in der Leichtathletik nicht. Wenn er im Startblock hängenbleibt oder einen Fehlstart verursacht, ist es vorbei. „Wenn ein Fehler komplett entscheidend ist, muss ich das im Training immer wieder einbauen, damit dann die Sicherheit besteht, dass die Kompetenz, es auf den Punkt zu bringen immer mehr gestärkt wird“, sagte Bernatzky. Es gelte Strategien zu entwickeln, Zielsetzungen zu reflektieren.

Leichtathlet Markus Fuchs hat für sich eine Strategie gefunden, wie er in Paris am Start stehen will. „Auf Olympia habe ich mich zwanzig Jahre vorbereitet. Mein Leben hängt aber nicht von einem Rennen ab. Olympische Spiele sind der höchste Punkt, den du im 100-m-Sprint erreichen kannst. Ich hatte aber so viele schöne Rennen. Im Endeffekt ist es die Summe vieler Rennen, in denen ich gelernt habe und die mich an diesen Punkt gebracht haben.“

Das Wissen, dass es für sie in Paris in jedem Fall eine zweite Chance auf den Aufstieg gibt, haben beispielsweise die Ruderinnen, denen nach dem Vorlauf der Zwischenlauf zum Weiterkommen geboten wird. „Ich habe zumindest einen guten Vorlauf, der nicht allzu hart sein sollte, damit ich einmal gut reinfinde“, sagte Tokio-Bronzemedaillengewinnerin Magdalena Lobnig. Louisa Altenhuber blickt direkt zum Zwischenlauf, der „wichtiger“ sei, denn da gehe es für sie und Leichtgewichts-Doppelzweier-Partnerin Lara Tiefenthaler um das Semifinale.

Der Sport ist facettenreich. Die richtige Einstellung das Um und Auf. „Wenn ich auf die Slackline mit dem Fokus raufgehe, hoffentlich wackelt es nicht, ist das nicht optimal. Ich muss raufgehen mit dem Mindset, dass ich der bin, der das stabilisiert. Auch wenn es zu Wacklern kommt“, sagte Bernatzky. Es sei ein ständiges Austarieren, ein sich selbst gut Zureden und schauen, dass man den Zustand aufrechterhält. „Dieses Spiel muss der Athlet annehmen können.“ Je nach Sportart werde man länger oder kürzer auf der Slackline sein.

Hilfreich seien sicherlich Routinen, die einem helfen, den roten Faden aufzunehmen und zu refokussieren. Aus Routine sollte aber kein Ritual werden. „Es muss nicht immer alles exakt gleich sein, es bedarf der Flexibilität. Wenn alles vom roten Socken abhängt und ich finde ihn nicht, habe ich keine optimale Routine.“ Routine solle helfen, sich immer wieder neu auszurichten, sie sei ein Werkzeug. „Es gibt Tage, da brauche ich mehr von der Routine, an manchen Tagen bin ich von Haus aus gut drauf und muss mich nicht lange einstellen oder sie anwenden.“ Es brauche einfach eine gute Selbstreflexionsgabe.

(Von Birgit Egarter/APA)

Sport in allen Facetten in Interaktion mit Persönlichkeit

Judoka Polleres ist privat schüchtern - und auch defensiv beim Kampf

Credit: APA/APA/AFP/KARIM JAAFAR

Sportsegler wie Lara Vadlau und Lukas Mähr brauchen eine gute Routine

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Leichtathlet Markus Fuchs (100m)

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Ruderin Magdalena Lobnig

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