Die Verhandlungen liefen über einen Zeitraum von fast einem Vierteljahrhundert. „Dieses Abkommen ist ein Gewinn für Europa“, sagte von der Leyen in Uruguays Hauptstadt Montevideo. Es werde für Menschen und Unternehmen funktionieren und mehr Arbeitsplätze, mehr Auswahl und Wohlstand schaffen. „Unternehmen profitieren von niedrigeren Zöllen und vereinfachten Verfahren“, sagte von der Leyen.
Auch die Vertreter des Wirtschaftsbündnisses Mercosur beschworen die Möglichkeiten, die das Abkommen für eine Ausweitung der Handelsbeziehungen bietet. „Es ist keine magische Lösung, aber eine Chance“, sagte Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou.
Österreichs ablehnende Haltung zum Mercosur-Abkommen ist durch eine Veto-Festlegung im Nationalrat seit 2019 eingefroren. Der Handelsabkommen-Vertragstext ist noch nicht öffentlich. „Derzeit liegen seitens der EU-Kommission noch keine schriftlichen Informationen über die Inhalte vor. Diese gilt es abzuwarten, um eine seriöse Bewertung vornehmen zu können“, so Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) in einer Aussendung.
Neben dem ÖVP-Bauernbund zeigten sich zuletzt und neuerlich SPÖ, FPÖ und Grüne sowie die Landwirtschaftskammer kritisch, dazu kommen Umweltschutz-NGO. Die vom ÖVP-Wirtschaftsbund beherrschte Wirtschaftskammer (WKÖ) sowie die Industriellenvereinigung (IV) verweisen auf die Chancen durch den Handelsdeal. Die NEOS sind dafür. Arbeiterkammer (AK) und Gewerkschaft sprechen sich dagegen aus.
Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr verwies in der „ZIB2“ auf „die großen ökonomischen Vorteile“ des Mercosur-Handelsabkommens. „Es gibt viele sehr gute Gründe, warum man das Abkommen abschließt“, so der Wifo-Chef. Der Abbau von Zöllen in den vier Mercosur-Ländern (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) sei „eine große Verheißung“ für die europäische und österreichische Industrie. In den vergangenen fünf Jahren seien Lösungen ausverhandelt worden, um die Sorgen der europäischen Bauern abzumildern, etwa im Bereich Rindfleisch oder Eier.
Sobald der neu ausverhandelte Vertragstext vorliegt, hofft der Wifo-Chef auf ein Umdenken der Regierungen in Paris, Rom und Wien. „Die Kommission hat gemacht, was möglich ist. Jedes Abkommen ist ein Kompromiss.“ Er hoffe auf „die Vernunft aller“. Felbermayr gibt dem Abkommen eine „hohe Chance“, dass es kommen wird.
Zuletzt hatte vor allem Deutschland Druck gemacht, die Verhandlungen endlich zu finalisieren und den Text für das Abkommen den EU-Staaten zur Abstimmung vorzulegen. Deutschland setzt dabei darauf, dass der handelspolitische Teil im Rat der Mitgliedstaaten per Mehrheitsentscheidung beschlossen werden könnte. Ein Vetorecht hätten Mitgliedstaaten dann nur noch bei den geplanten Vereinbarungen zum politischen Dialog und zur Kooperation. Ein solches „Splitten“ des Vertrags könnte aber Rechtsrisiken bergen.
In deutschen Regierungskreisen hieß es, die Handelsbestimmungen als Kern könnten im Schnellverfahren Priorität bekommen. Hierfür wäre dann eine einfache Mehrheit der EU-Abgeordneten im Parlament sowie eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder nötig. Das bedeutet, dass mindestens 15 EU-Länder dafür sein müssten, die zugleich mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Um das Vorgehen zu blockieren, bräuchte es mindestens vier EU-Staaten mit zusammen mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung. Die Abstimmung dazu dürfte im Sommer 2025 anstehen. Abgetrennt würden dann weitere politische Vereinbarungen zwischen beiden Seiten. Dazu zählen unter anderem neue Regeln für grenzüberschreitende Investitionen. Diese müssen wahrscheinlich in den nationalen Parlamenten aller 27 EU-Mitglieder bestätigt werden.
Frankreich hat auf die angekündigte Einigung über ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten zurückhaltend reagiert. „Was in Montevideo passiert, ist keine Unterzeichnung des Abkommens, sondern lediglich der politische Abschluss der Verhandlungen“, erklärte die Außenhandelsministerin Sophie Primas am Freitag in Paris. „Dieser verpflichtet nur die Kommission, nicht die Mitgliedstaaten.“
Das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten würde eine der weltweit größten Freihandelszonen mit mehr als 700 Millionen Einwohnern schaffen. Es sieht vor, vor allem Zölle abzubauen und damit den Handel anzukurbeln.
Handelspolitiker sehen das geplante Abkommen zudem als Botschaft an den künftigen US-Präsidenten Donald Trump und als wichtigen Schritt im Konkurrenzkampf mit China. Trump soll gezeigt werden, dass funktionierende Freihandelsabkommen langfristig besser für die heimische Wirtschaft sind als eine Abschottung von Märkten mit neuen Zöllen und anderen Handelsbarrieren.
Mit Blick auf China gilt es als sicher, dass sich die Mercosur-Staaten im Fall eines Scheiterns des Abkommens wirtschaftlich noch stärker der Volksrepublik zuwenden würden.
Über den Aufbau der Freihandelszone zwischen EU und dem Mercosur war eigentlich bereits im Sommer 2019 eine erste politische Grundsatzeinigung erzielt worden. Der Deal wurde dann allerdings wieder von mehreren EU-Staaten wie Frankreich, Polen oder Österreich infrage gestellt, und es gab jahrelange Nachverhandlungen.
Kritiker befürchten, dass europäische Landwirte künftig in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen werden und gleichzeitig die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird. Die EU-Kommission und die deutsche Regierung weisen die Vorwürfe hingegen als ungerechtfertigt zurück und betonen, dass die gesamtwirtschaftlichen Vorteile eindeutig überwiegen.
So wird betont, dass weiter nur Produkte, die den umfangreichen europäischen Vorschriften entsprechen, in die EU eingeführt werden dürften. Gleichzeitig könnten Unternehmen in der EU schätzungsweise jährlich mehrere Milliarden Euro an Zöllen sparen.
Bereits im vergangenen Jahr wurden aus der EU Waren im Wert von rund 56 Mrd. Euro in diese vier Mercosur-Ländern exportiert, in umgekehrter Richtung betrug das Exportvolumen rund 54 Mrd. Euro. Insgesamt könnten nach EU-Angaben 60.500 europäische Unternehmen von den geplanten Freihandelsvereinbarungen profitieren.
Nach dem Abschluss der Verhandlungen müssen die Texte für das Abkommen noch juristisch geprüft und in die Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden. Dann muss die EU-Kommission eine Entscheidung darüber treffen, ob es als Ganzes oder in zwei Teile gesplittet den Mitgliedstaaten zur Abstimmung vorgelegt wird. Auf jeden Fall zustimmen müsste das Europäische Parlament. Eine Entscheidung wird frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres erwartet.
Dass das Abkommen umgesetzt werden kann, wenn es auch nationalen Parlamenten zur Zustimmung vorgelegt werden muss, gilt insbesondere wegen der Bauernproteste in Frankreich als unwahrscheinlich. Das Abkommen sei in seiner jetzigen Form inakzeptabel, ließ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch am Donnerstag verlauten. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ließ mitteilen, die Voraussetzungen für das Abkommen seien derzeit nicht gegeben.
In Deutschland gibt es hingegen breite Unterstützung. Politiker von SPD, CDU/CSU und FDP signalisierten zuletzt im Bundestag Zustimmung. Auch Regierungspolitiker wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) sind für den Abschluss des Abkommens.