Der russische Angriff auf Dnipro erfolgte, nachdem die Ukraine in den vergangenen Tagen erstmals mit US-amerikanischen und britischen Raketen Ziele in Russland attackiert hatte. In der Großstadt wurde den örtlichen Behörden zufolge ein Industrieunternehmen beschädigt. Zudem seien zwei Brände in der Stadt ausgebrochen. Die Rakete sei von der südlichen Region Astrachan am Kaspischen Meer aus gestartet worden, teilte das ukrainische Militär mit.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner Videoansprache: „Heute gab es eine neue russische Rakete. Alle Merkmale – Geschwindigkeit, Höhe – entsprechen denen einer interkontinentalen ballistischen Rakete. Eine Expertenuntersuchung läuft derzeit.“ Nach Angaben eines westlichen Regierungsvertreters handelte es sich dagegen nicht um eine Interkontinentalrakete. Dies habe eine erste Analyse ergeben, sagte der Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters.
Dagegen berichtete das ukrainische Medienportal Ukrainska Prawda unter Berufung auf anonyme Quellen, es habe sich um eine Langstreckenrakete des Typs RS-26 Rubesch gehandelt. Die US-Rüstungskontroll-Organisation Arms Control Association gibt die Reichweite der RS-26 mit 5.800 Kilometern an. Ein westlicher Regierungsvertreter erklärte, es habe sich nicht um eine Interkontinentalrakete gehandelt. Dies habe eine erste Analyse ergeben, sagte der Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur Reuters.
Auf die Aussage der ukrainischen Luftwaffe angesprochen, verwies Kreml-Sprecher Dmitri Peskow Reporter an das russische Militär. Die Sprecherin des Außenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa, erhielt während eines wöchentlichen Briefings einen Anruf, in dem ihr von einem nicht identifizierten Mann gesagt wurde, sie solle keinen Kommentar zu der Rakete abgeben.
Großbritanniens Verteidigungsminister John Healey warf Russlands Präsidenten Wladimir Putin eine Eskalation in der Ukraine vor. „Wir haben in den vergangenen Wochen eine sehr klare Eskalation von Putin und seinen Streitkräften gesehen“, sagte Healey am Donnerstag im Parlament in London. Sie hätten ihre Angriffe auf die ukrainische Energieversorgung vor dem Winter sowie auf zivile Zentren ausgeweitet.
„Sie haben mindestens 10.000 nordkoreanische Soldaten an die Front geschickt. Und es gibt heute unbestätigte Medienberichte, dass Russland eine neue ballistische Rakete auf die Ukraine gefeuert hat, was sie unseres Wissens nach seit Monaten vorbereitet haben“, sagte Healey im Verteidigungsausschuss. Er sprach von einem ernsten Moment – die Frontlinie sei weniger stabil als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn der umfassenden Invasion.
Russland hat unterdessen nach eigenen Angaben zwei von der Ukraine abgefeuerte Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow abgefangen. Das teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Es wäre der erste bestätigte Einsatz dieser aus Großbritannien gelieferten Waffen über Russland seit Kriegsbeginn. Am Vortag hatten britische Medien berichtet, die Ukraine habe die Waffen erstmals auf Russland abgefeuert. Die Regierung in Moskau hat die Erlaubnis für die Ukraine zum Einsatz westlicher Waffen mit größerer Reichweite gegen Ziele auf russischem Territorium als Eskalation bezeichnet.
Haley hielt sich bedeckt zu den Berichten, wonach die Ukraine erstmals aus Großbritannien gelieferte Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow auf Russland abgefeuert haben soll. „Ich werde mich nicht zu den operativen Details des Konflikts äußern“, sagte der britische Minister. Das gefährde die operative Sicherheit und von einer solchen öffentlichen Debatte profitiere nur Putin. Healey sagte auch, man solle keine Zweifel haben, dass die britische Regierung ihre Unterstützung für die Ukraine verstärke.
Die russische Armee hat eigenen Angaben zufolge im Osten der Ukraine ein weiteres Dorf nahe der strategisch wichtigen Stadt Kurachowe eingenommen. Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte am Donnerstag, die fünf Kilometer südlich von Kurachowe gelegene Ortschaft Dalne sei eingenommen worden. Damit setzten die Soldaten ihren Vormarsch auf die Industriestadt weiter fort. Russland hatte zuletzt dutzende Städte und Dörfer im Osten der Ukraine eingenommen und seine Soldaten nähern sich Kurachowe und dem größeren logistischen Knotenpunkt Pokrowsk.
In der Ukraine ist Donnerstag früh landesweit Luftangriffs- und Raketenalarm ausgelöst worden. Im Gebiet Dnipropetrowsk sei eine russische Hyperschallrakete vom Typ „Kinschal“ eingeschlagen, berichtete die Agentur Ukrinform. Die Rakete sei von einem MiG-31-Kampfjet abgefeuert worden.
Kurz darauf warnte die ukrainische Flugabwehr auf der Plattform Telegram vor dem möglichen Einflug mehrerer Ch-101-Marschflugkörper. Diese mit Tarnkappentechnik versehenen Flugkörper seien vermutlich von strategischen Bombern des Typs Tu-95 in der Nähe der Stadt Engels in der südrussischen Region Saratow abgefeuert worden. Wenig später drangen mehrere Marschflugkörper in den ukrainischen Luftraum ein und nahmen Kurs auf die Hauptstadt Kiew und Poltawa im Osten des Landes, wie die Luftwaffenführung mitteilte.
Infolge eines russischen Raketenangriffs sind in der südostukrainischen Großstadt Krywyj Rih nach Behördenangaben mindestens 15 Menschen verletzt worden. Neun Opfer mussten in Krankenhäuser verlegt werden, wie Gebietsgouverneur Serhij Lyssak bei Telegram schrieb. Der örtlichen Militärverwaltung zufolge schlug eine Rakete in einem Verwaltungsgebäude ein. Etwa zehn Wohngebäude in der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj seien beschädigt worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.