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news/APA/Samstag, 25.01.25, 11:39:47

Jelineks „Krankheit oder Moderne Frauen“ umjubelt

Wenn zwei Männer mit Grubenlampen das Innere einer Gebärmutter ausschlachten, ihr misogynes Weltbild auf die Außenhaut projiziert wird und die Sprache schließlich beim aggressiven Tennisspiel in ihre Einzelteile zerfällt, dann inszeniert Claudia Bauer Elfriede Jelinek. Mit "Krankheit oder Moderne Frauen" ist der deutschen Regisseurin nach "humanistää!" und "Malina" am Wiener Volkstheater ein drittes Theaterereignis gelungen, das am Freitagabend heftig akklamiert wurde.
APA/APA/Volkstheater

35 Jahre nach der skandalumwitterten Inszenierung durch Piet Drescher unter der Direktion von Emmy Werner befragt Bauer dieses frühe Jelinek-Stück aus einer heutigen Perspektive und kommt nach zwei pausenlosen Stunden zum Schluss, dass der männliche Blick auf und die Erwartung an die Rolle der Frau nach wie vor – oder mehr denn je – einen bitterbösen Theaterabend füllen kann. Nicht zuletzt das in Rot gehaltene, an „weibliche Kurven“ erinnernde Bühnenbild von Patricia Talacko und die für akustische Metaebenen sorgende Partitur von PC Nackt, live umgesetzt von Arpen Daks und dem queeren Schmusechor, schaffen einen vielschichtigen Rahmen für Jelineks groteske Vampir-Show.

Wie wenig dem Spiel hier zu trauen ist, wird dem Publikum gleich in den ersten Minuten in zauberhafter Verkleidung vor den Latz geknallt: „Ich will nicht spielen und auch nicht anderen dabei zuschauen“, zitiert Nick Romeo Reimann, der als weißer Clown den Conférencier gibt, aus Jelineks 1984 veröffentlichtem Essay „Ich möchte seicht sein“. „Ich will auch nicht andere dazu bringen zu spielen. Leute sollen nicht etwas sagen und so tun, als ob sie lebten.“ Also lässt Bauer das Ensemble in weiterer Folge auch nicht so tun, als ob sie lebten. Vielmehr lässt sie spielen – und wie.

In der Praxis des Gynäkologen und Zahnarztes Dr. Heidkliff hat sich ein biederes Ehepaar mit seinen fünf Kindern eingefunden, um das sechste Kind zur Welt zu bringen. Doch was sich in weiterer Folge auf dem antiquierten Gynäkologenstuhl abspielt, bringt das Leben aller durcheinander. Während Samouil Stoyanov als verschrobener Steuerberater Benno Hundekoffer mit geschwollener Brust von jenem Samen schwafelt, den er seiner Frau Carmilla (Lavinia Nowak) eingepflanzt hat, stirbt die schüchterne Hausfrau unter der Geburt, wird aber in letzter Sekunde von Heidkliffs Assistentin und Verlobter Emily (Annika Meier), die sich als lesbische Vampirin zwecks einer kostenlosen Zahnbehandlung in die Praxis eingeschlichen hat, gebissen. Sobald die beiden Frauen ihre neu gefundene lüsterne Liebe leben, nach und nach alle Kinder töten und ihr männerloses Leben genießen, können die Herren der Schöpfung mit der neuen Entwicklung aka Emanzipation herzlich wenig anfangen.

Andreas Auerbach hat für diesen bunten Blutrausch magische Kostüme geschaffen, die in ihrer quietschbunten Unförmigkeit das Sprechpuppenhafte der Figuren ins Absurde schrauben. Auf- und Abgänge, Blitz und Donner werden von Reimann, der bald zum geheimen Star des Abends wird, mit großer Geste angesagt. Die beiden Frauen gefallen sich zunehmend in ihrem erotischen Blutrausch („Ich gebäre nicht, ich begehre dich“), während die Männer in haarsträubenden Dialogen auch sprachlich verkümmern („Ein Macht groß und krampfert in der Hosen uns allen gebührt! In ihrer Loch hinvortasten nach Entartung und Schwulsten“). Immer wieder dringen sie in das Innerste der Frauen ein, ist das Zentrum der Drehbühne doch ein düsterer Raum, aus dem die Handlung nur via Live-Video nach außen übertragen wird. Es verwundert nicht, dass die beiden das weibliche Innenleben ausschließlich anatomisch wahrzunehmen scheinen.

Doch Jelinek hat kein Happy End vorgesehen, in zunehmender Raserei greifen die Männer zu den Waffen und werfen sich in Knoblauch-Rüstung ins letzte Gefecht. „Wir sind nämlich zurückkehrende Ritter“, macht Heidkliff klar. „Jede Gattung hat ein letztes Exemplar.“ Dann hat der Zirkus ein Ende. Und Jelinek lässt die Männer als Gewinner zurück: „An der Wirklichkeit zerbricht unsre Gedankenwelt noch lang nicht…“. Lang anhaltender Jubel für einen sich lustvoll an Sprache und Bildern abarbeitenden Abend, der deutlich macht: Ein Skandal ist dieses Stück nicht mehr, aber vielleicht ist gerade das der Skandal.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E – „Krankheit oder Moderne Frauen“ von Elfriede Jelinek im Volkstheater. Regie: Claudia Bauer, Bühne: Patricia Talacko, Kostüm: Andreas Auerbach, Komposition und musikalische Leitung: PC Nackt. Mit u.a. Elias Eilinghoff, Annika Meier, Lavinia Nowak und Nick Romeo Reimann. Weitere Termine: 31. Jänner, 9., 19. und 22. Februar. )