apa.at
news/APA/Dienstag, 05.11.24, 23:45:40

Israels Präsident warnt vor Umsturz nach Minister-Entlassung

Der israelische Präsident Isaac Herzog hat nach der Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Gallant durch Ministerpräsident Benjamin Netanyahu vor politischen Turbulenzen in Kriegszeiten gewarnt. "Das Letzte, was der Staat Israel jetzt braucht, ist ein Umsturz und ein Bruch mitten im Krieg", erklärte Herzog am Dienstagabend. Die Sicherheit des Landes "muss über allen Überlegungen stehen", ergänzte er.
APA/APA/AFP/POOL/GIL COHEN-MAGEN

„Aufgabe der Führung ist es, in dieser Zeit mit großer Verantwortung zu handeln“, hieß es in der Erklärung des aus den Reihen der oppositionellen Arbeitspartei stammenden Politikers. Netanyahu hatte die Entlassung Gallants mit politischen Differenzen über die Kriegsführung begründet. Das Vertrauen in Gallant sei „erodiert“, hieß es aus dem Büro des Regierungschefs. Neuer Verteidigungsminister werde Außenminister Israel Katz. Das Außenministerium wiederum soll Gideon Saar, Chef der konservativen Partei Neue Hoffnung, übernehmen.

Von Juni 2021 bis Dezember 2022 war Saar israelischer Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident in den Kabinetten der Ministerpräsidenten Naftali Bennett und Yair Lapid gewesen. Als Mitglied der nationalkonservativen Likud-Partei gehörte er von 2003 bis 2014 der Knesset an, von 2009 bis 2013 war er Bildungs- und 2013/2014 Innenminister Israels. Nach einer gescheiterten Kandidatur um den Vorsitz des national-konservativem Likud-Blocks gründete Saar im Dezember 2020 die Partei Neue Hoffnung. Er galt einst als größter Rivale Netanyahus im Likud-Block.

Unter dem Eindruck des Massakers der Hamas vom 7. Oktober und des nachfolgenden Gaza-Kriegs hatte Saar sich als Teil eines Bündnisses zunächst der rechtsreligiösen Regierung von Netanyahu angeschlossen. Im März erklärte er jedoch seinen Rücktritt, weil Netanyahu ihn nicht zum aktiven Mitglied des Kriegskabinetts gemacht hatte. Ende September 2024 zog Saar als Minister ohne Geschäftsbereich in das Sicherheitskabinett des Ministerpräsidenten ein.

„Obwohl in den ersten Monaten des Krieges Vertrauen herrschte und die Arbeit sehr fruchtbar war, ist dieses Vertrauen zwischen mir und dem Verteidigungsminister in den vergangenen Monaten leider zerbrochen“, schrieb Netanyahu zur Entlassung Gallants. Dieser habe Entscheidungen getroffen und Erklärungen abgegeben, die den Entscheidungen des Kabinetts widersprochen hätten, fügte der Ministerpräsident hinzu. Die meisten Kabinettsmitglieder stimmten mit ihm überein.

Auch Gallant äußerte sich. „Die Sicherheit des Staates Israel war immer meine Lebensaufgabe und wird es immer bleiben“, betonte er. Galant nannte drei Streitpunkte mit Netanyahu als Auslöser seiner Entlassung. Dabei handle es sich um seinen Widerstand gegen ein Gesetz, das viele strengreligiöse Männer in Israel vom Wehrdienst befreien soll, seine Forderung nach einem Deal zur Freilassung der Geiseln in der Gewalt der Hamas sowie nach der Einrichtung einer staatlichen Kommission zur Untersuchung des Massakers im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres. Galant warnte vor einem „Kainsmal“ für die israelische Gesellschaft, sollten die noch lebenden Geiseln nicht befreit werden.

Netanyahu hatte Gallant bereits im April vergangenen Jahres entlassen, weil dieser offen Kritik an der umstrittenen Justizreform geäußert hatte. Nach Massenprotesten machte Netanyahu damals die Entlassung jedoch wieder rückgängig.

Mitglieder der Opposition kritisierten die Entlassung. Oppositionsführer Yair Lapid bezeichnete die Entlassung Gallants mitten im Krieg als einen Akt des Wahnsinns“. Er rief die Israelis zu Protesten auf. „Geht auf die Straße“, schrieb auch der Vorsitzende der oppositionellen Arbeitspartei, Yair Golan, auf der Plattform X. In der Mittelmeermetropole Tel Aviv und anderswo folgten Tausende Menschen dem Aufruf. In Tel Aviv blockierten sie die wichtige Stadtautobahn Ayalon mit brennenden Autoreifen und skandierten „Bibi ist ein Verräter“, „Bibi ins Gefängnis“ und „kriminelle Regierung“.

Die Demonstranten berichteten von ihrer Sorge, dass Netanyahu weitere wichtige Leute aus dem Sicherheitsapparat wie etwa Generalstabschef Herzi Halevi oder den Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, feuern könnte. Netanyahus Büro dementierte aber entsprechende Spekulationen der Medien. Andere Teilnehmer vermuteten, dass Netanyahu mit der Entlassung Galants von dem Skandal um Geheiminformationen ablenken wolle, die von Mitarbeitern im Umfeld seines Büros an die Presse durchgestochen worden waren. Der TV-Sender Channel 12 berichtete am Abend von einer Razzia der Polizei in Netanyahus Büro. Es sei nicht klar, ob diese Durchsuchung mit dem Skandal um Geheimnisverrat oder mit einem weiteren Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Büro des Regierungschefs zusammenhänge.

„Politik auf Kosten der nationalen Sicherheit“, monierte der Vorsitzende der Nationalen Union, Benny Gantz, ehemaliges Mitglied von Netanyahus inzwischen aufgelöstem Kriegskabinett. Der rechtsgerichtete Polizeiminister Ben Gvir hingegen begrüßte die Entlassung. Mit Gallant sei es „unmöglich, einen vollständigen Sieg zu erringen“, sagte er.

Die USA würdigten Gallant als „wichtigen Partner in allen Fragen der israelischen Sicherheit“. „Als enge Verbündete werden wir weiterhin mit Israels nächstem Verteidigungsminister zusammenarbeiten“, fügte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses am Dienstag hinzu.

Israelische Medien hatten schon vor geraumer Zeit berichtet, Gallant habe sich gegen eine große militärische Operation im Libanon ausgesprochen, während Militärkreise dafür gewesen seien. Auch Netanyahu habe zumindest nach außen die Forderung nach einer Militäroperation unterstützt. Gallant habe dagegen den diplomatischen Bemühungen um eine Einigung mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah und eine Gaza-Waffenruhe mehr Zeit geben wollen.

Israel ist in einen zähen Mehrfrontenkrieg gegen die Hamas im Gazastreifen sowie die ebenfalls mit dem Iran verbündete Hisbollah-Miliz im Libanon verwickelt. Zudem wird das Land von irantreuen Milizen in Syrien, dem Irak und dem Jemen angegriffen. Auch der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt mit dem Iran selbst ist inzwischen offen ausgebrochen. Israel bereitet sich zurzeit auf einen möglichen Gegenschlag des Irans vor.

Auslöser des Krieges war das Massaker der Hamas und anderer Extremisten aus dem Gazastreifen in Israel am 7. Oktober 2023 mit 1.200 Toten und etwa 250 Verschleppten. Kämpfer der Hamas und anderer militanter Palästinensergruppen hatten damals mehrere Orte und ein Musikfestival im Süden Israels angegriffen. Nach israelischen Angaben wurden insgesamt 1.206 Menschen getötet, darunter auch mehrere der 251 in den Gazastreifen verschleppten Geiseln.

Israel geht seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Gesundheitsbehörde, die nicht unabhängig überprüft werden können, mehr als 43.390 Menschen getötet.

Die mit der Hamas verbündete pro-iranische Hisbollah eröffnete mit Raketenangriffen auf den Norden Israels eine zweite Front. Als Reaktion beschoss Israel Ziele im Nachbarland. Zuletzt verstärkte die israelische Armee ihre Luftangriffe deutlich und startete Ende September zudem Bodeneinsätze gegen Hisbollah-Stellungen im Südlibanon.