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news/APA/Dienstag, 01.10.24, 15:38:44

Israelische Armee begann Bodenoffensive im Libanon

Erstmals seit fast zwei Jahrzehnten hat Israel wieder eine Bodenoffensive im nördlichen Nachbarland Libanon begonnen. Nach einer entsprechenden Mitteilung in der Nacht meldete die Armee heftige Kämpfe mit der Hisbollah-Miliz. Diese bestritt, dass die israelische Armee auf libanesisches Staatsgebiet vorgerückt sei. Die Offensive wurde international verurteilt und von der UNO-Mission UNIFIL als Verletzung einer Sicherheitsresolution gebrandmarkt.
APA/APA/AFP/JALAA MAREY

Die israelische Armee rief am Dienstag zur Evakuierung von 27 Orten im Südlibanon auf. Zudem veröffentlichte sie eine „dringende Warnung“ an die Bewohner, sich nicht südlich des Litani-Flusses aufzuhalten, der etwa 30 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt liegt. Es komme im südlichen Abschnitt des Landes „zu intensiven Kämpfen, bei denen Hisbollah-Mitglieder das zivile Umfeld und die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde für Angriffe ausnutzen“, so ein Armeesprecher. Mindestens 600 Menschen, darunter die Bewohner des christlichen Dorfes Ain Ebl, suchten daraufhin Schutz in einem südlibanesischen Kloster unweit der Grenze zu Israel.

Die Hisbollah reagierte offenbar mit Raketenbeschuss: Im Zentrum Israels wurde am Dienstag Luftalarm ausgelöst, auch in der Wirtschaftsmetropole Tel Aviv gab es Explosionen. Laut der Armee schlugen Raketenteile auf einer Autobahn nahe Tel Aviv ein. Ein Busfahrer wurde mittelschwer, ein Autofahrer leicht verletzt, teilte der Rettungsdienst Magen David Adom mit. Auch in den Vorstädten Herzliya und Ramat Gan habe es Luftalarm gegeben. Es gab zunächst keine Berichte zu Verletzten. Die Hisbollah teilte mit, dass die Zentrale des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad sowie eine Stellung des Militärgeheimdienstes bei Tel Aviv ins Visier genommen worden seien. Insgesamt registrierte die israelische Armee 30 Geschoße aus dem Libanon.

Die israelische Luftwaffe griff nach Militärangaben mehrere Waffenfabriken und Infrastruktur der libanesischen Hisbollah-Miliz in einem südlichen Vorort von Beirut an. Die Angriffe seien mithilfe von Geheimdiensthinweisen erfolgt, hieß es in einer Mitteilung der Armee. Es seien Schritte unternommen worden, um möglichen Schaden an Zivilisten zu verringern. Augenzeugen berichteten von massiven Schäden in dem betroffenen Wohngebiet Haret Hreik. Mehrere Gebäude seien dem Erdboden gleich gemacht worden. Straßen seien unter Schutt begraben worden. In der Früh habe es Aufräumarbeiten gegeben, um die Straßen freizuräumen. Libanesische Behörden berichteten zudem von einem israelischen Luftangriff auf ein palästinensisches Flüchtlingscamp nahe der Küstenstadt Sidon, bei dem sechs Menschen getötet wurden.

Die erste israelische Bodenoffensive seit dem letzten Libanon-Krieg 2006 hat den Codenamen „Pfeile des Nordens“. Die israelische Armee sprach von „begrenzten“ Angriffen auf Ziele in Grenznähe und nannte diese eine unmittelbare Bedrohung für Gemeinden in Nordisrael. Israels Ziel ist es, die Hisbollah aus dem Grenzgebiet zu verdrängen, um eine Rückkehr von rund 60.000 Bürgern in ihre Wohngebiete in Grenznähe zu ermöglichen. Ein Hisbollah-Sprecher bestritt jedoch, dass Israel auf libanesisches Staatsgebiet vorgerückt sei. Die Hisbollah habe sich keine „direkten Bodenkämpfe“ mit israelischen Soldaten geliefert, sagte Mohammad Afif. Sie sei aber darauf vorbereitet.

Kritik am israelischen Bodeneinsatz kam von den UNO-Vetomächten China und Russland. kritisiert. Chinas Außenministerium forderte Israel am Dienstag auf, „konkrete Schritte zur Deeskalation der Situation“ zu unternehmen. Das russische Außenministerium verurteilte den Angriff „aufs Schärfste“ und forderte die israelischen Behörden auf, „ihre Soldaten von libanesischem Gebiet abzuziehen und sich an einer echten Suche nach friedlichen Wegen aus dem Nahost-Konflikt zu beteiligen“. Das türkische Außenministerium warf Israel illegale Landnahme vor und forderte den UNO-Sicherheitsrat zum Einschreiten auf.

Die UNO-Beobachtermission im Libanon (UNIFIL) kritisierte die israelische Offensive als illegal. Der Vorstoß sei „eine Verletzung der libanesischen Souveränität und territorialen Integrität sowie einen Verstoß gegen die Resolution 1701 (des UN-Sicherheitsrats)“, teilte die UNIFIL am Dienstag mit. Der Beschluss 1701 wurde wegen des einmonatigen Kriegs zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006 verabschiedet. Darin wird unter anderem ein vollständiger Rückzug aller israelischen Truppen aus dem Süden des Libanon gefordert und dass sich in dem Gebiet außer der libanesischen Armee und der UNO-Friedenstruppe keine anderen bewaffneten Gruppen aufhalten dürfen.

Die Blauhelme, darunter rund 160 Österreich, werden aber trotz der jüngsten Entwicklungen in Stellung bleiben, hieß es von der Mission. Entsprechend hatte sich zuvor bereits Bundesheersprecher Michael Bauer geäußert. „Es ist überhaupt nicht daran gedacht, die Mission zu beenden“, sagte Bauer der APA. Er schloss einen Alleingang Österreichs aus. Für eine mögliche Evakuierung gebe es Szenarien der UNIFIL, so Bauer.

Das UNO-Menschenrechtsbüro in Genf warnte vor einer humanitären Katastrophe. „Wir sind zutiefst besorgt über die sich ausweitenden Feindseligkeiten im Nahen Osten und deren Potenzial, die gesamte Region in eine humanitäre und menschenrechtliche Katastrophe zu stürzen“, sagte Liz Throssell, Sprecherin des Büros in Genf. Das UNO-Nothilfebüro veröffentlichte einen Spendenaufruf im Umfang von 426 Millionen Dollar (380,49 Mio. Euro).

Die AUA stellte indes ihre Israel-Flüge bis Ende Oktober ein. Über eine mögliche Wiederaufnahme der bis 14. Oktober gestrichenen Flüge nach Teheran werde kurzfristig entschieden, teilte die Lufthansa-Tochter am Dienstag mit. Die Muttergesellschaft strich alle Verbindungen in die libanesische Hauptstadt Beirut bis Ende November.

Der Konflikt zwischen Israel und der schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon hatte sich zuletzt auf dramatische Weise verschärft. Seit Tagen greift das israelische Militär massiv Ziele in dem Nachbarland an, nach eigener Darstellung unter anderem Waffenlager der Hisbollah. Der Libanon meldete Hunderte Tote und Verletzte. Am Freitag waren bei einem gezielten israelischen Luftangriff der Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah und weitere Hisbollah-Kämpfer in Beirut getötet worden.