Der österreichische Impfstoffforscher Krammer von der Icahn School of Medicine in New York und der Medizinischen Universität Wien war einer der Ersten, der mit einem Testverfahren für den neuen SARS-CoV-2-Erreger aufwarten konnte. Er lieferte in renommierten Fachmagazinen tiefe Einblicke in die Virus-Variantenbildung sowie den Fortgang der Vakzin-Entwicklung, aber auch einen eigenen klassischen Impfstoff und nicht zuletzt eine Unzahl an Medienauftritten, in denen er all das einer breiten Öffentlichkeit erklärte.
Schon in der Hoch-Zeit der Pandemie wurde die Idee eines neuen Forschungsinstituts aus der Taufe gehoben, in dem hierzulande Kompetenzen und Expertise in den Bereichen Virologie, Immunologie und zur Vorbereitung auf Epidemien und Pandemien gebündelt werden. Mit 1. Jänner übernimmt Krammer nun die operative Leitung des universitätsübergreifenden Ignaz Semmelweis Instituts für Infektionsforschung (ISI). Das ISI ist damit eine mehr oder weniger direkte Pandemie-Auswirkung im Forschungssektor. Und für Krammer „eine ganz gute Entwicklung“.
Aus wissenschaftlicher Sicht habe sich vor allem technisch viel weiterentwickelt, wenn man etwa an die mRNA-Impfstoffe oder monoklonale Antikörper-Therapien denke. „Vor der Pandemie hatten wir einen monoklonalen Antikörper, den man bei Infektionskrankheiten verwenden konnte“, mittlerweile tue sich auf dem Gebiet sehr viel. Beim Blick auf die Impfstoffe haben sich vor allem Entwicklungszeiten extrem reduziert. Krammer: „Auf technologischer Seite steht man da sehr gut da.“
Aktuell würde international viel darüber diskutiert, wie man staatenübergreifend in künftigen Pandemien agiert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) tue sich allerdings schwer, hier alle in einem neuen Prozedere unter einen Hut zu bekommen. Dass man sich aber zumindest darum bemühe, sei „sehr gut“, meinte Krammer. Auf eine neue Infektionserkrankung – gegen die die Menschheit keine oder kaum Immunabwehr hat und die sich über Kontinente ausbreitet – „ist es natürlich schwer, vorbereitet zu sein“, sagte der Epidemiologe Gartlehner in Bezug auf die Begriffsdefinition einer Pandemie. Welcher Erreger die nächste Pandemie auslösen könnte, das „ist ein Lotteriespiel“. Vor der Covid-19-Pandemie hätte auch niemand gedacht, dass ein Coronavirus derartige Auswirkungen haben kann, da die meisten bisher bekannten Coronaviren harmlosere Erkrankungen hervorrufen.
Gartlehner ist Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Universität für Weiterbildung Krems und war während der Pandemie Teil der Corona-Ampel-Kommission, die die Risikoeinschätzung der Corona-Lage in Gesamtösterreich und für die einzelnen Bundesländer vorgenommen hat. „Manche Länder sind wahrscheinlich besser vorbereitet, weil sie bessere Pandemiepläne haben“, erläuterte er. Asiatische Staaten, die die MERS-Epidemie ab 2012 (Middle East respiratory syndrome) mitgemacht haben, hätten auf SARS-CoV-2 „wesentlich besser, schneller reagiert“.
„Ich würde jetzt nicht sagen: ‚Österreich ist wirklich gut vorbereitet auf die nächste Pandemie'“, betonte Gartlehner. „Wir sind fünf Jahre nach Beginn der Pandemie und es gibt noch immer kein neues Epidemiegesetz.“ Das bestehende von 1950 sei eher auf eine lokale Epidemie ausgerichtet, als auf eine globale Pandemie und die Erneuerung wurde der kommenden Regierung überlassen.
Wirklich detaillierte Pandemiepläne, in denen auf verschiedene Szenarien eingegangen wird, würden immer noch vielerorts fehlen, kritisierte auch Krammer. Pandemie sei nicht gleich Pandemie – seien doch Erreger denkbar, die sich sehr unterschiedlich rasch verbreiten können und die sehr unterschiedlich schwere Krankheitsverläufe bringen. Hier bräuchte es detaillierte Fahrpläne – Influenza und SARS-CoV-2 führten beispielsweise zu zwei völlig unterschiedlichen Situationen.
Der bei weitem schwierigste Teil der Aufarbeitung und beim Weiterdenken von Szenarien sei jedoch die gesellschaftliche Komponente: „Wie nimmt man die Bevölkerung mit? Wie kommuniziert man das? Welche Fehler hat man in der Kommunikation während Covid-19 gemacht? Und da sind Fehler gemacht worden – einfach, weil das neu war und es schnell gehen hat müssen“, betonte Krammer: Bisher fehle aber ein Stück weit die Einsicht, wie man das besser gestalten kann.
„Die ganze Pandemie-Kommunikation ist nicht wirklich gut gelaufen“, monierte Gartlehner. Das Gesundheitsministerium habe „nicht gewusst, wie man damit umgehen soll, wie man Falschinformationen in Sozialen Medien gegensteuern soll“. Andere Länder hätten mehr versucht, die Pandemie aufzuarbeiten. „Da sind wir in Österreich leider weit davon entfernt, obwohl man wirklich viel lernen könnte.“ Österreich habe 16-mal so viel auf Infektionen getestet wie Deutschland und die Tests haben 5,2 Milliarden Euro gekostet, „ohne dass man einen Nutzen daraus erkennen würde und ohne, dass wir eine Teststrategie hatten“, erläuterte Gartlehner. Wenn morgen wieder ein gefährlicheres Coronavirus auftauchen würde, „wir hätten noch immer keine Teststrategie“.
Zukünftig brauche es hier eine möglichst ganzheitliche Sichtweise auf die Bevölkerung, empfahl Krammer. Logischerweise würden in so einem Fall Virologen, Epidemiologen oder Immunologen gefragt: „Ich glaube, man bräuchte aber ein System, wo man wirklich von allen Seiten – der gesellschaftlichen, der ökonomischen, der psychologischen – durchdenkt, wie man den Schaden, den eine Pandemie auslösen kann, minimiert.“
Man müsse neben der Vermeidung von Todesfällen auch Langzeit-Probleme bedenken und die Wahrscheinlichkeit von zunehmender Ungleichheit und Spaltung der Gesellschaft, auch durch pandemische Gegenmaßnahmen, umfassend bedenken. Einen Teil dieser Arbeit will Krammer mit einem Team ab dem kommenden Jahr im Rahmen des Ludwig Boltzmann-Instituts für „Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge“ leisten.
Auch Gartlehner ist mit MedUni-Wien-Professorin Tanja Stamm und Simulationsforscher Nikolas Popper von der TU Wien an einem wissenschaftlichen Projekt zur Optimierung der Pandemievorsorge beteiligt. Die Evaluierung „Being Equipped To Tackle Epidemics Right (BETTER)“ soll noch bis 2026 laufen. Die Forschung habe sich nun auf zwei Bereiche fokussiert, berichtete Gartlehner, einerseits auf die Frage, ob man mit Anreizen die Impfbereitschaft in Österreich steigern hätte können. Hier gebe es im internationalen Vergleich erste Hinweise, dass kleine monetäre Anreize positiv wären. Andererseits wird untersucht, ob die Schulschließungen in Österreich in dem Ausmaß nötig waren. Hier zeigte sich Gartlehner „überrascht“, wie schlecht das Thema auch international begleitet oder aufgearbeitet wurde.
„Eines der Haupt-Learnings war der enorme Einfluss der Sozialen Medien auf das gesamte Geschehen“, erläuterte Gartlehner. Der Epidemiologe ortet in Österreich „fehlende Ambition“ und „wenig Interesse“ an der Pandemieaufarbeitung. Es gebe viel zu lernen, auch soziologisch und gesellschaftlich. „Die Spaltung ist ja da“, betonte er. Viele seien traumatisiert worden durch die Ausgrenzung der Corona-Maßnahmen. „Insgesamt versäumt Österreich auch eine große Chance, zu lernen“, so der Mediziner.
„Dass es neue Pandemien geben wird, ist ganz sicher, wann sie kommen – das glaube ich – kann niemand vorhersagen“, sagte Gartlehner. Dass manche Forschenden meinen, Pandemien könnten häufiger werden, kann er „nicht wirklich nachvollziehen“. Die Welt ist zwar globalisierter geworden, aber das sei sie schon länger. Sehr häufig gebe es Pandemien nicht, verwies Gartlehner auf den HIV-Ausbruch Anfang der 1980er-Jahre und auf die Spanische Grippe vor etwas mehr als 100 Jahren.
Das Virus SARS-CoV-2 und die daraus resultierende Erkrankung Covid-19 habe sich mittlerweile in die anderen respiratorischen Erkrankungen eingereiht. Die Bevölkerung hat „solide Immunität“ durch Infektionen und die Impfung, betonte Gartlehner. Personen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben, sollten sich jedenfalls auch weiterhin impfen lassen und beispielsweise das Covid-Medikament Paxlovid nehmen, wenn sie erkranken, empfahl der Mediziner. Diese Menschen müssten sich aber auch vor der Grippe und anderen respiratorischen Erkrankungen Sorgen machen, nicht nur vor Corona. „Wenn man es wirklich nur epidemiologisch betrachtet, ist es die alte Normalität“, sagte Gartlehner. Andere Folgen, wie die wirtschaftlichen, wirken aber noch nach, „man sieht es am großen Defizit in Österreich“, erläuterte er.