Erneut werden auch chinesische Unternehmen ins Visier genommen, die Russlands Angriffskrieg unterstützen. Zudem ist vorgesehen, durch Sanktionen eine denkbare Wiederinbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 1 und eine Nutzung der Pipeline Nord Stream 2 auszuschließen. Drei der insgesamt vier Röhren von Russland nach Deutschland wurden zwar bei einem Anschlag im September 2022 zerstört. Im Fall einer Reparatur könnten die durch die Ostsee verlaufenden Pipelines Russland aber Milliardengewinne durch den Verkauf von Gas ermöglichen.
Die EU-Außenbeauftragte Kallas bezeichnete das neue Sanktionspaket als eines der stärksten bisher. „Wir werden den Druck weiter erhöhen, so dass ein Ende der Aggression für Moskau zur einzig verbleibenden Option wird“, schrieb sie in sozialen Netzwerken.
„Wir treffen das Herz der russischen Kriegsmaschine“, schrieb EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf X. Auch der deutsche Kanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron begrüßten die neuen Strafmaßnahmen. „Es ist gut, dass wir uns in der EU jetzt auf das 18. Sanktionspaket gegen Russland geeinigt haben“, schrieb Merz auf X. „Es trifft Banken, Energie und Militärindustrie. Das schwächt Russlands Möglichkeiten, den Krieg gegen die Ukraine weiter zu finanzieren.“ Der Druck auf Russland müsse hoch bleiben. „Die russischen Angriffe müssen sofort aufhören“, forderte Macron.
Auch die ukrainische Regierung begrüßte den Beschluss. Es seien aber noch mehr Maßnahmen nötig, um dem Frieden näher zu kommen, mahnte die neue Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb in sozialen Netzwerken: „Dieser Beschluss ist von grundlegender Bedeutung und kommt zur rechten Zeit, vor allem jetzt, da Russland die Brutalität der Angriffe auf unsere Städte und Dörfer verstärkt hat.“ Der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha sprach von einem der stärksten Sanktionspakete bisher. Das werde die Kosten des Krieges für Russland noch einmal deutlich erhöhen. Russland müsse zu einer vollständigen und bedingungslosen Waffenruhe gezwungen werden und den Krieg gegen die Ukraine beenden, schrieb er bei X.
Der Kreml hingegen reagierte gelassen. Russland habe gegen Sanktionen des Westens eine gewisse Immunität aufgebaut, antwortete Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow auf die Frage nach einer Stellungnahme zu den neuen Strafmaßnahmen. Peskow bezeichnete die Sanktionen als illegal und warnte, dass jede neue Einschränkung negative Konsequenzen für die Länder erzeuge, die die Strafmaßnahmen unterstützten.
China kritisierte die Maßnahmen gegen heimische Unternehmen scharf und drohte Vergeltung an. Europa solle damit aufhören, die Interessen chinesischer Firmen ohne Faktengrundlage zu beeinträchtigen, sagte Außenamtssprecher Lin Jian in Peking. China werde nötige Maßnahmen ergreifen, um die Rechte heimischer Firmen zu schützen. In Bezug auf die Ukraine habe sich die Volksrepublik für Friedensverhandlungen eingesetzt und den Konfliktparteien nie tödliche Waffen geliefert.
Auch Harald Vilimsky, freiheitlicher Delegationsleiter im Europäischen Parlament, kritisierte das neue EU-Sanktionspaket. Es gebe viel drängendere Probleme in der EU, außerdem seien die Sanktionen bisher wirkungslos gewesen. Die EU dürfe ihre eigene wirtschaftliche Substanz „nicht weiter durch sinnlose Sanktionen schwächen“, erklärte er in einer Aussendung.
SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder sagte, die „Sprache der Härte“ sei die einzige Sprache, die Putin verstehe. Die EU müsse deshalb den Druck auf Russland weiter erhöhen. „Frieden entsteht nicht durch Appeasement, sondern nur durch klare Grenzen für jene, die Gewalt über internationales Recht stellen“, sagte Schieder in einem der APA übermittelten Statement.
NEOS-Delegationsleiter im EU-Parlament Helmut Brandstätter begrüßte die neuen Sanktionen, betonte aber, dass Europas Entschlossenheit „nicht wieder durch nationale Egoismen“ gefährdet werden dürfe. Nur gemeinsames, konsequentes Vorgehen aller Mitgliedstaaten kann Russlands Kriegswirtschaft endgültig brechen, sagte er in einer der APA übermittelten Stellungnahme.
Die Einigung auf das Sanktionspaket hatte eigentlich bereits direkt nach dem Juni-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs erfolgen sollen. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico verhinderte dies allerdings mit einer Vetodrohung. Fico wollte ursprünglich eine Ausnahmeklausel für sein Land durchsetzen, die es ihm erlaubt, einen Vertrag über Erdgaslieferungen des russischen Staatskonzerns Gazprom bis zum Jahr 2034 laufen zu lassen. Ziel der EU ist die Beendigung aller Gasimporte aus Russland bis zum 1. Jänner 2028.
Am Dienstag und Mittwoch hatte die Slowakei die Verabschiedung der Sanktionen noch verhindert. Diese müssen von allen 27 EU-Staaten einstimmig beschlossen werden. Am Donnerstagabend erklärte Fico, die Slowakei habe so viel wie möglich erreicht, um sich gegen etwaige negative Folgen der Sanktionen abzusichern. So bekam die Slowakei zugesichert, dass sie keine schwerwiegenden wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen fürchten muss, wenn nach dem neuen Sanktionspaket auch noch ein Plan für einen kompletten Importstopp von russischem Gas umgesetzt wird. Diesen Plan kann Fico nicht blockieren, weil er im Gegensatz zu dem Sanktionspaket auch per Mehrheitsentscheidung gegen den Willen der Slowakei entschieden werden kann.
Zudem hatten zuletzt auch noch Malta, Griechenland und Zypern Bedenken gegen Maßnahmen, die die russischen Einkünfte aus dem Export von Rohöl in Drittstaaten reduzieren sollen. Die Länder befürchteten ungerecht große Nachteile für heimische Schifffahrtsunternehmen, wenn der sogenannte Ölpreisdeckel zu stark gesenkt wird. Als Kompromiss wurde nun vereinbart, die Preisobergrenze regelmäßig anzupassen, sodass sie langfristig nicht mehr als 15 Prozent unter dem durchschnittlichen Marktpreis liegt. In einem ersten Schritt soll sie von derzeit 60 auf 47,60 US-Dollar pro Barrel (159-Liter-Fass) reduziert werden.
Ursprünglich war geplant gewesen, den Preisdeckel für russisches Öl dauerhaft auf 45 US-Dollar pro Barrel abzusenken. Er gilt für den Verkauf von russischem Öl in Drittstaaten wie Indien, China oder die Türkei und wurde 2022 gemeinsam mit den USA und Japan, Kanada und Großbritannien eingeführt. Um ihn durchzusetzen, werden Unternehmen Sanktionen angedroht, die am Transport von russischem Öl zu einem Preis oberhalb des Preisdeckels beteiligt sind. Diese Regelung zielt auf Reedereien ab, aber auch auf Unternehmen, die Versicherungen, technische Hilfe sowie Finanzierungs- und Vermittlungsdienste anbieten.
Die Wirksamkeit der Russland-Sanktionen bleibt unterdessen umstritten. Kritiker bezweifeln, dass sie einen großen Einfluss auf die Politik von Russlands Präsident Wladimir Putin haben. Befürworter hingegen verweisen darauf, dass die Strafmaßnahmen die russische Wirtschaft hart träfen und der Staat erhebliche Einnahmeausfälle zu verkraften habe. Demnach hätte Russland den Ukraine-Krieg ohne die Sanktionen möglicherweise schon lange mit einem Sieg beendet.
Neben den oben genannten Maßnahmen wurde nach Angaben von Diplomaten zudem Folgendes vereinbart:
– Einführung eines Importverbots für raffinierte Produkte aus russischem Rohöl. Das sind etwa Kraftstoffe für Autos und Flugzeuge sowie Heizöl. Damit soll eine Gesetzeslücke geschlossen werden, die Russland bisher indirekte Exporte über Drittländer ermöglichte.
– Einführung eines Verbots von Finanztransaktionen mit Unternehmen aus Drittländern, die Öl-bezogene Sanktionen umgehen.
– Listung von mehr als 100 Schiffen, die Teil der sogenannten russischen Schattenflotte zur Umgehung von Energiesanktionen sind. Sie dürfen künftig nicht mehr in Häfen von EU-Staaten einlaufen und dürfen auch nicht mehr von europäischen Unternehmen versichert, finanziert oder ausgerüstet werden. Insgesamt sind damit künftig rund 450 Schiffe betroffen.
– Listung von zusätzlichen 22 Banken, die vom Finanzkommunikationssystem Swift abgekoppelt werden; dazu Ausweitung der Strafmaßnahme auf ein vollständiges Verbot von Transaktionen.
– Sanktionierung von mehreren chinesischen Unternehmen, die Russlands Angriffskrieg direkt oder indirekt unterstützen, sowie der größten Rosneft-Raffinerie in Indien.
– Einführung von weiteren Ausfuhrbeschränkungen; betroffen sind etwa Werkzeugmaschinen, die im militärisch-industriellen System verwendet werden können.
– Ausweitung der Liste mit sanktionierten Einzelpersonen, Unternehmen und Organisationen um mehr als 50 Einträge. Sie umfasst damit künftig mehr als 2.500 Einträge.