Selenskyj fordert einen Stopp von Angriffen auf Energie- und andere zivile Infrastrukturen sowie einen Waffenstillstand für Raketen, Bomben, Langstreckendrohnen sowie keine militärischen Operationen im Schwarzen Meer. Russland hatte eine vorübergehende Waffenruhe abgelehnt. Nach seiner Abreise vom Gipfel erklärte Selenskyj auf X, „Luftverteidigung, Waffen und Munition für die Ukraine, rechtzeitige Lieferungen, Stärkung der ukrainischen Rüstungsindustrie, EU-Beitrittsverhandlungen, die Notwendigkeit, den Sanktionsdruck auf Russland zu erhöhen und der Umgehung von Sanktionen entgegenzuwirken – all dies gehörte zu den Themen, die wir heute behandelt haben.“
Er sei dankbar für all die Unterstützung: „Die Ukrainer wissen es wirklich zu schätzen, dass in einer Zeit so großer Emotionen in der Weltpolitik die europäische Integrität besteht und Europa wirklich versucht, das Richtige zu tun“, so der ukrainische Präsident in einem weiteren Posting. Im Zentrum des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs steht die Unterstützung der Ukraine und die Aufrüstung Europas. Dies sei „ein Moment des Wendepunkts für Europa“, sagte von der Leyen.
Österreich ist erstmals von Kanzler Christian Stocker (ÖVP) vertreten. Eine freie souveräne Ukraine sei im Interesse Europas und der USA, betonte Stocker. Er unterstrich zugleich die Neutralität, die in Österreich im Verfassungsrang stehe. Der neue österreichische Regierungschef traf am Rande des Gipfels zu einem Gespräch mit Selenskyj zusammen.
Stocker habe Selenskyj Österreichs Bemühungen um einen gerechten und nachhaltigen Frieden versichert, sagte eine Sprecherin des Kanzlers gegenüber der APA. Auch habe der Kanzler betont, dass es keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine und über europäische Sicherheit ohne Europa geben dürfe. Stocker habe auch auf das bisherige große humanitäre Engagement für die Ukraine verwiesen und zugesichert, dass Österreich verlässlich an der Seite der Ukraine und ihrer Menschen stehen werde.
„Die Ukraine schätzt die Unterstützung und Hilfe Österreichs und freut sich auf unsere gemeinsamen Bemühungen, einen gerechten und dauerhaften Frieden und verlässliche Sicherheitsgarantien für unser Land und ganz Europa zu erreichen“, bedankte sich Selenskyj nach dem Treffen auf X bei Stocker. Er habe dem österreichischen Bundeskanzler zu seinem Amtsantritt gratuliert. Themen des Gesprächs seien die Fortsetzung der Hilfe bei der humanitären Minenräumung, die Wiederherstellung der Energieinfrastruktur sowie die Unterstützung der Initiative „Lebensmittel aus der Ukraine“ gewesen.
Stocker bekräftigte zuvor die Bedeutung guter transatlantischer Beziehungen; diese seien sowohl im Interesse Europas als auch der USA. Aber auch „eine freie Ukraine und ein souveränes Land“ lägen im beidseitigen Interesse. Europa werde die Dinge hier ein Stück wieder selbst in die Hand nehmen, meinte der Bundeskanzler. Österreich habe im Rahmen der Neutralität an der Unterstützung für die Ukraine teilgenommen, und werde dies auch weiter tun. Stocker traf auch mit EU-Parlamentschefin Roberta Metsola zu einem bilateralen Austausch zusammen.
„Wir befinden uns in Österreich auf dem Boden unserer Neutralität, die steht im Verfassungsrang“, bekräftigte Stocker das klare Bekenntnis der neuen Regierung zur Neutralität. Dies sei in Europa auch „bekannt und akzeptiert“. Österreich habe in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU auf „dieser Basis unsere Rolle eingenommen“. Es gebe „Beistandsverpflichtungen, wir werden sehen, wie diese ausgestaltet werden“. Dies sei „noch nicht sehr konkret“. Man werde sehen, „was die Zukunft bringt“.
Europa sehe sich einer echten Gefahr gegenüber, sagte von der Leyen in Hinblick auf Russland. „Wir wollen Frieden durch Stärke.“ Deshalb habe sie auch den Vorschlag für eine Aufrüstung Europas im Umfang von bis zu 800 Milliarden Euro vorgelegt. Es sei wichtig, so lange zur Ukraine zu stehen, „so lange es notwendig ist“. Der EU-Gipfel müsse zu Entscheidungen kommen und „liefern“, betonte auch Costa. Zu Selenskyj sagte Costa: „Wolodymyr, du bist hier immer willkommen.“ Selenskyj betonte im Namen der ukrainischen Nation seine Wertschätzung für die Unterstützung Europas. „Es ist großartig, dass wir nicht alleine sind. Danke für alles“, so der ukrainische Präsident.
Bei einem Besuch Selenskyjs im Weißen Haus in Washington war es in der Vorwoche zum Eklat gekommen. US-Präsident Donald Trump und US-Vizepräsident J.D. Vance warfen Selenskyj dabei Undankbarkeit und fehlenden Respekt vor. Das Treffen wurde vorzeitig abgebrochen. Trump setzte nach dem Eklat die Militärhilfen für die Ukraine aus. Viele europäische Regierungschefs drückten Selenskyj später ihre Solidarität aus.
Die EU-Kommission will 800 Milliarden Euro mobilisieren, um von Dritten wie den USA unabhängiger zu werden und gegen neue Gefahren gewappnet zu sein. In einem Entwurf der Gipfel-Abschlusserklärung vom Mittwoch wird erneut betont, dass keine „Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine“ oder ohne Europas Beteiligung stattfinden könnten, ohne die USA oder US-Präsident Donald Trump wörtlich zu erwähnen. EU-Diplomaten betonten im Vorfeld des Gipfels die eindeutige Bereitschaft der Mehrheit der Mitgliedstaaten, Europa rasch aufzurüsten. Auch Europas Unterstützung für die Ukraine sei „unerschütterlich“. Die Kommission werde aufgefordert werden, rasch konkrete Vorschläge und Projekte zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft auszuarbeiten und umzusetzen.
Widerstand gegen den Ukraine-Teil der Gipfelerklärung hat Ungarns Premier Viktor Orbán angekündigt. Laut Diplomaten ist noch offen, ob die Erklärung von allen 27 EU-Staaten beschlossen wird oder als Erklärung der anderen 26 Staaten. Ungarn habe verlangt, dass sich die EU-Erklärung auf den Inhalt der zuletzt im UNO-Sicherheitsrat mit den Stimmen der USA beschlossenen Moskau-freundlichen Resolution beschränkt, hieß es. Darin wird Russland nicht als Aggressor genannt.
Ebenfalls in Brüssel waren am Donnerstag Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS), die die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und den österreichischen EU-Kommissar Magnus Brunner traf, und Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ), der an dem Treffen der europäischen Sozialdemokraten (SPE) vor dem Gipfel teilnahm. Sie habe bewusst Brüssel als Ziel ihrer ersten Auslandsreise gewählt, betonte Meinl-Reisinger in einer Aussendung.
„Wir sind mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die wir nur gemeinsam als Europäische Union bewältigen können – sei es der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der Kampf gegen irreguläre Migration oder die Situation im Nahen Osten.“ Die EU sei für Österreich Garant für Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Österreich werde „ein solidarischer und verlässlicher Partner bleiben“, betonte Meinl-Reisinger.
„Wir sind gerade in einer richtig krisenhaften Situation“, sagte Babler. Es gehe um „Solidarität mit der Ukraine in einer sehr schwierigen Situation“, aber auch um eine Neubewertung der transatlantischen Beziehungen, so Babler. „Uns allen sitzt der Schock noch sehr tief: was wir auf offener Bühne gesehen haben mit dem unglaublichen Verhalten und den Auswirkungen von (US-Präsident Donald) Trump gegenüber Selenskyj“, sagte Babler.