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news/APA/Montag, 03.02.25, 15:55:41

EU-Gipfel zu Verteidigung mit britischem Premier Starmer

Die EU will sich wegen der aktuellen Bedrohung besser für die Verteidigung der Zukunft rüsten. EU-Ratspräsident Costa lud die EU-Staats- und Regierungschefs am Montag zu einer "informellen Klausur" nach Brüssel ein, um Europa "widerstandsfähiger, effizienter, autonomer im Bereich Sicherheit und Verteidigung" zu machen. NATO-Generalsekretär Mark Rutte und der britische Premier Keir Starmer sind dabei. Österreich ist durch Interimskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten.
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Rutte kündigte bei seiner Ankunft am Tagungsort eine „deutliche Erhöhung der zugesagten Verteidigungsausgaben und der -produktion“ der NATO-Staaten an. Auf genaue Zahlen wollte er sich nicht festlegen; diese würden aber „deutlich“ über den zwei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, die die NATO-Staaten bisher mindestens leisten. Zuerst erfolge eine Bewertung der Lücken bei den einzelnen Verbündeten, „wo wir stehen und wo wir sein sollten“. Betreffend die Unterstützung für die Ukraine erwarte er, dass die USA vorangehen und Europa folgen würde, und es eine gerechte Verteilung der Lasten gebe.

Nach der ersten Arbeitssitzung des Treffens zu den transatlantischen Beziehungen erklärte ein Ratsvertreter gegenüber der Presse, dass die Staats- und Regierungschefs den Wert der Partnerschaft zwischen der EU und den USA betont hätten. Diese sei „tief verwurzelt“ und werde „Bestand haben“. Man sei sich einig, dass bei Problemen Lösungen gefunden werden sollten und auch, dass Zölle zwischen USA und EU für beide Seiten schädlich wären. Weiters hätten die EU-Spitzen ihre volle Unterstützung und Solidarität mit Dänemark erklärt und an die einschlägigen Grundsätze des Völkerrechts erinnert. US-Präsident Donald Trump hatte Gebietsansprüche auf das zu Dänemark gehörende Grönland erhoben.

„Wir haben einen Feuerring um Europa, wir kennen unsere Zukunft nicht“, sagte Schallenberg zum Start des Treffens. Es sei „sinnvoll zu überlegen, was brauchen wir für die Zukunft“, und „nicht erst eine Feuerversicherung abzuschließen wenn das Haus schon in Flammen steht“. Schallenberg betonte, es gebe „keine Standardgröße für Verteidigungspolitik in der EU“, jeder Staat habe seine eigene Politik und es gebe Staaten wie Österreich, die neutral sind. Auch im Rahmen der Neutralität sei aber „pooling und sharing“ , gemeinsame Forschung und Beschaffung, „auch für uns von Vorteil und würde Sinn machen“.

„Wir müssen noch enger zusammenarbeiten, um angesichts der Bedrohungen, denen #Europa ausgesetzt ist, widerstandsfähiger, effizienter und autonomer zu werden“, postete der Interimskanzler anschließend auf X. Es könne allerdings keinen einheitlichen Ansatz für alle („one size fits all“) geben.

„Jeder kauft momentan bei seinen eigenen Rüstungsindustrien und es gibt keine europaweiten Einkäufe“, sagte Schallenberg am Morgen. Er betonte, er sei nicht Teil der Regierungsverhandlungen und wolle nicht vorgreifen, aber auch bei der Luftraumüberwachung sei die Grundlinie Österreichs seit Jahren unverändert und mache Pooling Sinn. Hintergrund sind die Diskussionen um einen möglichen Ausstieg aus dem „Sky Shield“-System.

Der irische Ministerpräsident Micheal Martin, dessen Land ebenfalls neutral ist, betonte, die EU müsse Kapazitäten schaffen, damit sich die Mitgliedsstaaten verteidigen könnten. Verteidigung werde weiterhin eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben, „aber Irland wird anderen Ländern nicht im Weg stehen, wenn sie ihre Sicherheitsmaßnahmen aufbauen“. Der russische Angriff auf die Ukraine habe eine „existenzielle Bedrohung“ für manche EU-Staaten geschaffen.

Costa sagte zum Auftakt des Treffens Montagfrüh in Brüssel, die strategische Diskussion unter den EU-Chefs sollte der EU-Kommission eine Anleitung für ihr geplantes „Weißbuch“ (Diskussionspapier) zu Verteidigung bieten, „und den Weg ebnen für Entscheidungen in den kommenden Monaten“. Die Diskussion gehe nun um drei Themen, nämlich was die Prioritäten für die europäische Verteidigung seien, wie die erforderliche Finanzierung zu bewerkstelligen sei und wie die EU bestehende Partnerschaften stärken könne. Bereits im März 2022 – unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine – habe sich die EU bei einem Gipfel in Versailles dazu bekannt, mehr Verantwortung in Verteidigungsfragen zu übernehmen, sagte Costa. „Wir fangen nicht bei null an.“

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz betonte: „Wir müssen die europäische Verteidigung stärken.“ Für Deutschland sei „Europa das wichtigste nationale Interesse, das wir haben“. Es brauche mehr Zusammenarbeit der Verteidigungsindustrien und „eine konstante gemeinsame Produktion“.

Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine und die Aussagen und Entscheidungen der neuen Trump-Regierung würden die Europäer dazu bringen, vereinter aufzutreten und sich stärker für ihre kollektive Sicherheit zu engagieren, betonte der französische Präsident Emmanuel Macron. Wenn Europa handelspolitisch angegriffen werde, müsse es reagieren. Macron appellierte an seine EU-Partner auch für mehr Investitionen in den Verteidigungsbereich, von privater wie von öffentlicher Seite. Frankreich habe dies bereits getan.

Der finnische Premierminister Petteri Orpo warnte: „Russland bleibt und ist eine permanente Bedrohung für europäische Länder.“ Für Finnland und viele osteuropäische Staaten seien die Sicherheit und die Verteidigung „existenziell“, so Orpo. Finnland sei offen für Lösungen zur Finanzierung der europäischen Verteidigung. Ähnlich äußerte sich auch die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. „Russland bedroht nicht nur die Ukraine, sondern uns alle“, sagte sie. Die größte Schwierigkeit sei, dass Europa zu langsam sei, „dass wir noch immer glauben, in Friedenszeiten zu leben“, und dass Europa ein Sinn für Dringlichkeit fehle.

Frederiksen betonte erneut in Hinblick auf die Ambitionen von US-Präsident Donald Trump, dass Grönland nicht zum Verkauf stehe. Dänemark habe klar gemacht, dass die Souveränität von Staaten zu achten sei. Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warnte, Russland ändere seine Ziele nicht. Europa müsse mehr für seine Verteidigung tun. „Wenn Europa sich nicht selbst verteidigen kann, wird es niemand verteidigen“, betonte auch EU-Parlamentschefin Roberta Metsola.

„Wir müssen alles tun, um diesen dummen und unnötigen Handelskrieg zu vermeiden“, erklärte der polnische Premier und derzeitige Vertreter des Ratsvorsitzes Donald Tusk. „Wir dürfen den gesunden Menschenverstand und das Bewusstsein für unsere Interessen und unsere Selbstachtung nicht verlieren.“ Die Situation mit Donald Trump sei ein „Test für unsere Einigkeit“. Tusk betonte auch, dass Polen immer einer der transatlantischsten Staaten gewesen sei. Aber: „In der Politik ist alles möglich.“

Obwohl die Mitgliedstaaten in den letzten Jahren ihre nationalen Verteidigungsausgaben bereits erhöht hätten, seien „erhebliche zusätzliche Investitionen im Verteidigungsbereich erforderlich“, so Costa im Einladungsschreiben. Zur Debatte steht etwa ein EU-Verteidigungsfonds und umstrittene neue Euro-Bonds. Hintergrund sind auch die neuerlichen NATO-Ausstiegs-Drohungen von US-Präsident Donald Trump, sollten die NATO-Staaten nicht fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Derzeit versuchen die europäischen Staaten, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen. Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen dürfte ein großes Thema beim ersten Zusammenkommen der EU-Staats- und Regierungschefs nach der US-Wahl sein, etwa die Besitzansprüche Trumps gegenüber Grönland.

Die höchsten Verteidigungsausgaben in der EU haben derzeit Polen und die baltischen Staaten. Der estnische Premier Kristen Michal sagte, sein Land wolle das Verteidigungsbudget von derzeit 3,5 Prozent auf 5 Prozent erhöhen. Auch der litauische Präsident Gitanas Nauseda betonte, sein Land werde den Verteidigungsetat von 4 Prozent auf 5 bis 6 Prozent steigern. Die EU könne aber nicht bis zur nächsten mehrjährigen Finanzplanung ab 2028 warten, warnte Nauseda. Er forderte weitere Finanzierungsinstrumente auf EU-Ebene. Die lettische Ministerpräsidentin Evika Silina sagte, ihr Land gebe derzeit 3,45 Prozent des BIP für Verteidigung aus. Sie sprach sich für Eurobonds zur Finanzierung europäischer Projekte aus.

Beim Abendessen ist seit dem Brexit vor fünf Jahren mit Keir Starmer erstmals wieder ein britischer Premierminister zu Gast: EU-Diplomaten betonten, der Brite werde am Montagabend trotz Brexit kein „stiller Zuhörer“ sein, sondern sich aktiv am Austausch mit seinen 27 Ex-EU-Partnerländern beteiligen. Eine formelle Abschlusserklärung oder konkrete Beschlüsse mit Zahlen zu den Verteidigungsausgaben soll es am Montag laut Ratsangaben nicht geben.