Es sei den Einsatzkräften „gelungen (…), die Angriffe der Überreste des gestürzten Regimes und seiner Offiziere abzuwehren“ und diese aus „entscheidenden“ Orten zu vertreiben, fügte der Ministeriumssprecher hinzu. Die Kräfte hätten „alle Sicherheitszellen und Regimeüberbleibsel“ in Städten wie Latakia und in der Provinz Tartus „neutralisiert“.
Weiter erklärte der Sprecher, die „Sicherheitsapparate“ würden weiter daran arbeiten, die „Stabilität zu gewährleisten“ und „die Sicherheit der Bewohner sicherzustellen“. Pläne für einen etwaigen „weiteren Kampf“ gegen die „Überreste des gestürzten Regimes“ und zur „Eliminierung jeglicher künftiger Gefahren“ lägen vor.
Das syrische Präsidialamt setzte nach eigenen Angaben eine „unabhängige“ Untersuchungskommission ein, welche „die Übergriffe auf Zivilisten untersuchen und die Verantwortlichen identifizieren“ soll.
In den an der Mittelmeerküste gelegenen Provinzen Syriens hatten am Donnerstag Gefechte zwischen Kämpfern der neuen islamistischen Führung und Anhängern des gestürzten Machthabers Bashar al-Assad begonnen. Am Freitag startete die neue Führung in Damaskus einen Großeinsatz gegen „die Überreste von Assads Milizen und deren Unterstützer“.
Bei den Kämpfen wurden nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 1.450 Menschen getötet, darunter 973 Zivilisten. Diese seien von Sicherheitskräften der Übergangsregierung und verbündeten Gruppen getötet worden, erklärte die Organisation. Sie sprach von „Hinrichtungen“ und „ethnischen Säuberungsaktionen“ in dem vor allem von der alawitischen Minderheit bewohnten Gebiet Syriens, der auch Ex-Machthaber Assad angehört. Auch Kinder seien Opfer der Massaker geworden.
Die Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten vor Ort. Ihre Angaben können oft nicht unabhängig überprüft werden.
Die mutmaßlichen Massaker lösten international Empörung aus. US-Außenminister Marco Rubio machte „radikale islamistische Terroristen“ dafür verantwortlich. Frankreichs Außenminister Jean-Noel Barrot forderte, die Verantwortlichen für die Morde müssten bestraft werden. Die russische Regierung rief dazu auf, die Gewalt so schnell wie möglich zu beenden.
Eine Sprecherin des deutschen Außenministerium sagte am Montag, die Berichte seien „zutiefst schockierend“. Es obliege nun der Übergangsregierung in Damaskus, „weitere Übergriffe zu verhindern, die Vorfälle aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“. Die drei Monate nach dem Sturz Assads wiederentflammte Gewalt in Syrien sei ein „Teufelskreis, der das gesamte Land weiter destabilisieren könnte.“ Nun seien „vor allem politische Verhandlungen für die Integration und Kooperation aller gesellschaftlichen und religiösen Gruppen“ nötig, „egal welcher Ethnie, Herkunft oder Geschlecht“. Dies gelte „natürlich auch explizit für die zukünftige Rolle der Alawiten“. Andernfalls sei „ein erneutes Abgleiten in ein bürgerkriegsartiges Szenario“ zu befürchten.
In Brüssel zeigte sich die EU-Kommission „alarmiert“. Die Verantwortlichen für Gewalt gegen Zivilisten müssten zur Rechenschaft gezogen werden, forderte eine EU-Kommissionssprecherin. Die EU unterstütze die von den syrischen Behörden angekündigte Untersuchung der Vorfälle.
Auch das chinesische Außenministerium zeigte sich angesichts der mutmaßlichen Massaker besorgt. Die Gewalt müsse „sofort“ beendet werden, sagte Ministeriumssprecherin Mao Ning. Sie forderte „einen nationalen Wiederaufbauplan“ und „Dialog“, „der dem Willen des syrischen Volkes entspricht“.
Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten am 8. Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Unterdrückerherrschaft Assads sowie den 2011 begonnenen Bürgerkrieg beendet, der ins verbündete Russland floh. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung unter Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa wiederholt versichert, die Minderheiten im Land schützen zu wollen. Die HTS (Hayat Tahrir al-Sham) ist aus der Al-Nusra-Front hervorgegangen, dem syrischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Den Bürgerkrieg ausgelöst hatten Massenproteste gegen Assads Folterregime, die dieser blutig niederschlagen ließ.
Nach der Gewalteskalation hat die NGO Ärzte ohne Grenzen (MSF) mit der Lieferung medizinischer Hilfsgüter an Krankenhäuser in den betroffenen Kampfgebieten begonnen. Darunter sind sogenannte Trauma-Kits für wirksame Erste Hilfe in besonders schwierigen Situationen. Die Hilfsorganisation eröffnet laut einer Aussendung zudem ein Projekt zur Unterstützung der Notaufnahme des Spitals in Tartus, um Medikamente und Schulungen für den Umgang mit einem möglichen Massenansturm von Verletzten bereitzustellen.
Wie Stefan Maier, Mitarbeiter des Linzer Hilfswerks „Initiative Christlicher Orient“ am Montag gegenüber Kathpress berichtete, ist es in dem Morgen in Latakia weitgehend ruhig. Dafür sei die Versorgungslage dort katastrophal. Wasser und Strom seien in Latakia seit Donnerstagnachmittag vollständig abgeschaltet, was die Lebensbedingungen für die Bevölkerung dramatisch verschlechtert habe.
„Die Geschäfte sind geschlossen, sodass die Bevölkerung praktisch keinen Zugang zu Versorgungsgütern hat. Brot und Wasser sind äußerst knapp, da die Bäckereien ihren Betrieb eingestellt haben und die Trinkwasservorräte bedrohlich schwinden“, schilderte Maier die Verhältnisse. Er bezog sich auf Berichte lokaler Projektpartner an Ort und Stelle. Der Verkehr sei sowohl innerhalb der Stadt Latakia als auch in den umliegenden Gebieten völlig zum Erliegen gekommen. Es sei zu Plünderungen durch bewaffnete regierungsnahe Milizen gekommen.
Die Syrien-Expertin Kristin Helberg sprach am Montag im Live-Gespräch mit dem „Mittagsjournal“ des ORF-Radios Ö1 mangels Bestätigung für eine Einstellung der Kämpfe von der „Hoffnung, dass diese akute Gewalt und diese Massaker jetzt einmal untrer Kontrolle“ seien. Es gebe etwa Berichte, wonach sich Frauen und Kinder nach wie vor in den Wälder und Bergen um die Hafenstadt versteckten.
Zum Ablauf der Ereignisse schilderte Helberg, dass zunächst Pro-Assad-Kräfte in einer konzertierten Aktion die Sicherheitskräfte der neuen Machthaber an mehr als 40 Stellen angegriffen hätten. Die Folge: mehr als 100 Tote aufseiten der Regierungskräfte. Dies sei in Damaskus als Umsturzversuch interpretiert worden. Die darauffolgende Mobilisierung der Regierung sei außer Kontrolle geraten. Tausende Bewaffnete machten sich auf den Weg, hielten sich der Expertin zufolge aber nicht an Befehle und Anordnungen. So sei es zu den Massakern gekommen. Zugleich sorgten viele Falschmeldungen in den Sozialen Medien für Aufruhr und Unklarheit.
Laut Helberg kommen für die Exzesse drei Gruppen auf Regierungsseite infrage: 1. „Radikale“ bei den neuen Sicherheitskräften, die Rache am früheren Regime üben wollen. 2. heimische und ausländische Jihadisten, denen Sharaa zu gemäßigt agiert. 3. Mitglieder der von der Türkei finanzierten Syrische Nationalarmee (SNA), die bereits für Massaker an syrischen Kurden verantwortlich zeichnet. „Die Führung in Damaskus müsste alle ausschließen“, die an den jüngsten Massakern an den Alawiten beteiligt waren, so das Fazit Helbergs.
Meri Disoski, die außen- und europapolitische Sprecherin der Grünen, formulierte Helbergs Analyseergebnis in einer Aussendung als Forderung. Außerdem verlangte Disoski die „Schaffung einer unabhängigen UN-Untersuchungskommission“.