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blog / Donnerstag 09.04.20

APA Check Avatar Warnten Wissenschafter 2007 vor neuem Coronavirus?

Wenn man sich in diesen Tagen in sozialen Medien über das Coronavirus informieren will, stolpert man über viele Postings, in denen behauptet wird, dass das Virus bereits vor einigen Jahren vorhergesagt wurde. Die mutmaßlichen Prophezeiungen werden dabei den Simpsons, Asterix-Heften, Wahrsagern oder Nostradamus selbst zugeschrieben. Wenn allerdings in Postings – Beispiel 1 (archiviert), Beispiel 2 (archiviert) – behauptet wird, dass selbst Wissenschafter ein erneutes Erscheinen des SARS-Virus vorausgesehen haben, spitzen wir die Ohren. Vor allem, wenn sich diese Behauptung belegen lässt.

 

Zu überprüfende Information: Wissenschafter aus Hongkong haben bereits im Jahr 2007 vor dem Ausbruch des Coronavirus gewarnt. Das Vorkommen von Viren in Fledermäusen und die chinesische Tradition des Essens exotischer Lebewesen sei eine „Zeitbombe“.

Einschätzung: Diese Behauptung ist wahr. In einem wissenschaftlichen Artikel zur SARS-Pandemie 2002/2003 warnten Wissenschafter vor einem Ausbruch ähnlicher Viren und verwiesen dabei explizit auf Fledermäuse, die derzeit als ursprünglicher Wirt des neuen Coronavirus gelten.

Überprüfung: Da bei den meisten Tweets zu dieser Behauptung Screenshots angehängt sind, lässt sich auch die Quelle gut überprüfen. Erschienen soll der Text nämlich im Jahr 2007 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Clinical Microbiology Reviews“ (CMR) sein. Diese wird von der American Society for Microbiology herausgegeben.

Die einzelnen Ausgaben werden nach einer 12-monatigen Sperrfrist verzögert in der PubMed Central des National Center for Biotechnology Information (NCBI) veröffentlicht. Dort lässt sich auch die Ausgabe aus dem Oktober 2007 finden, die den gesuchten Beitrag enthält. Der Artikel „Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus as an Agent of Emerging and Reemerging Infection“ ist dann nicht nur in diesem Archiv zu finden, sondern auch auf der CMR-Homepage selbst.

Tatsächlich finden sich dort die in den Postings erwähnten Stellen wieder. Am Ende des Artikels findet sich im Schlusskapitel „Should we be ready for the reemergence of SARS?“ folgende Textstelle:

„Coronaviruses are well known to undergo genetic recombination, which may lead to new genotypes and outbreaks. The presence of a large reservoir of SARS-CoV-like viruses in horseshoe bats, together with the culture of eating exotic mammals in southern China, is a time bomb. The possibility of the reemergence of SARS and other novel viruses from animals or laboratories and therefore the need for preparedness should not be ignored.“

Die Forscher verwiesen also mit Blick auf die SARS-Pandemie 2002/2003 darauf, dass es zu neuen Coronavirus-Ausbrüchen kommen könnte. Das Vorkommen von SARS-ähnlichen Viren in Hufeisennasen, einer Familie aus der Ordnung der Fledermäuse, sei gemeinsam mit dem Brauch des Essens exotischer Säugetiere eine „Zeitbombe“. Die Chance eines Wiederaufkommens von SARS oder ähnlichen neuen Viren durch Tiere oder Labore und die dadurch bestehende Notwendigkeit des Vorbereitetseins sollte nicht ignoriert werden.

In der Zusammenfassung zu Beginn des Artikels verweisen die Forscher ebenfalls auf die Bedeutung sogenannter „wet markets“, also traditionelle Märkte im asiatischen Raum, auf denen meistens Fleisch verkauft wird. Diese können als Quelle und verstärkende Faktoren für entstehende Infektionen dienen.

In einem Interview mit singapurischen Tageszeitung „The Straits Times“ greift einer der Forscher hinter dem Artikel, Mikrobiologe Yuen Kwok-Yung, diese Aussagen von 2007 nochmals auf. Das Bedürfnis des Verzehrs von Wildtieren habe immer wieder den Ausbruch von Krankheiten verursacht, während das rasche Bevölkerungswachstum die Ausbreitung beschleunigt habe.

Fledermäuse gelten laut MedUni Wien als mögliche Überträger des neuartigen Coronavirus und werden laut Robert Koch Institut sogar als Quelle des Virus vermutet. Die Infektionskette ist laut „The Guardian“ allerdings noch umstritten. Weder kann mit Sicherheit gesagt werden, welches Tier das Virus auf den Menschen übertragen hat, noch, ob dies auf einem Markt in der chinesischen Stadt Wuhan geschah. Tatsächlich wurden aber „wet markets“ bereits mit dem SARS-Ausbruch 2002/2003 in Verbindung gebracht, wie dieser Artikel in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ zeigt.

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Florian Schmidt/Valerie Schmidt

AKTUALISIERT AM 27. MAI 2020 10:17