Die Klimakrise wird regelmäßig zum Gegenstand von Aussagen, die zu Missverständnissen führen können. Zuletzt veröffentlichte der ehemalige BZÖ-Politiker Gerald Grosz ein virales Facebook-Video (1), das bei zahlreichen Usern dazu führte, dass sie in den Kommentaren die Klimakrise relativierten.
Grosz argumentiert darin, dass während Medien und Klimaschützer wegen der Erderwärmung Panikmache betreiben würden, es im April bei Dauer-Regen nur neun Grad gehabt habe. „Es gibt keinen Klimawandel“ (2) oder „Die Temperaturen haben sich schon immer auf und ab bewegt!“ (3) schrieben daraufhin User unter dem Video.
Einschätzung: Das nasskalte Wetter im April ist kein Hinweis darauf, dass die Klimakrise nicht existiert oder dass sie doch nicht so gravierende Folgen hat, wie von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern angenommen.
Überprüfung: Im April 2023 hat es tatsächlich viel geregnet und es war vergleichsweise kühl. Wie ein Pressesprecher von Geosphere Austria der APA auf Anfrage mitteilte, lag die Niederschlagsmenge im Großteil Österreichs von 1. Jänner bis 19. April 2023 – vor allem durch das Wetter Mitte des Monats – im Bereich des vieljährigen Durchschnitts (1991-2020) bzw. 20 bis 30 Prozent darüber. Im Großteil von Tirol, im Pinzgau und in Oberkärnten seien die Niederschlagsmengen unter dem Durchschnitt gewesen. Geosphere Austria ist ein in diesem Jahr ins Leben gerufener Zusammenschluss von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) und der Geologischen Bundesanstalt (GBA).
Das geht auch aus einer Karte auf der Webseite von Geosphere Austria (4) zur Jahressumme des Niederschlags für 2023 heraus. Vereinfacht gesagt bedeuten die blauen Felder überdurchschnittliche Niederschlagsmengen und die orangenen Felder unterdurchschnittliche Niederschlagsmengen.
Sieht man sich nur den April 2023 an, so liegt laut Geosphere Austria (5) auch in dem Zeitraum der Großteil Österreichs im Bereich eines durchschnittlichen Aprils. Regionen in Oberösterreich, Niederösterreich, Wien und dem Nordburgenland seien aber deutlich darüber. Einzelne Regionen in anderen Bundesländern lagen wiederum unter dem Durchschnitt.
Aus dem Landwirtschaftsministerium hieß es am 20. April gegenüber der APA, dass obwohl die Niederschlagssummen für April in Teilen Österreichs über den Vergleichswerten lagen, die Defizite in den Grundwasserständen vor allem im Osten (noch) nicht ausgeglichen werden konnten. Trotzdem habe der Regen „eine wesentliche Niederschlagsversorgung für Getreide und Grünland“ gebracht. „Aufgrund des kontinuierlichen Niederschlages konnte der Boden das Wasser gut aufnehmen und auch speichern. (…) Zusätzlich waren auch die Temperaturen relativ niedrig, was natürlich zu weniger Verdunstung geführt hat.“, hieß es.
Auch Helmut Habersack, Leiter des Instituts für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), bestätigte gegenüber der APA einen kurzen Aufwärtstrend durch überdurchschnittliche April-Niederschläge. Es müsse aber mehr regnen, um die vorangegangenen trockenen Monate auszugleichen, daher handle es sich bloß um eine kurzfristige Entspannung. Die Niederschläge würden nicht ausreichen, um die Grundwasserspeicher zu füllen, so Habersack.
Starke Temperaturzunahme in Österreich
Fest steht, dass das kühle Regenwetter im April nicht als Beleg für die Nichtexistenz oder eine Relativierung der Klimakrise verstanden werden sollte. Tatsächlich wird es nämlich immer wärmer. Einzelne kältere Wetterereignisse sprechen nicht gegen einen globalen Anstieg der Lufttemperatur. Zum Beispiel war der März 2023 einer der 20 wärmsten bisher gemessenen März-Monate (6). Global gesehen war der vergangene März sogar der zweitwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen (7).
Laut Daten der Geosphere Austria (8) war das Winterhalbjahr von Oktober 2022 bis März 2023 in Österreich im Vergleich zum Mittel der Jahre 1991 bis 2020 um 1,7 Grad Celsius wärmer und ebenfalls das zweitwärmste der 256-jährigen Messgeschichte (6). Das gesamte letzte Jahr war um 1,2 Grad wärmer im Vergleich zum Mittel der Jahre 1991 bis 2020. Sieht man sich den Zeitraum von 1961 bis 1990 an, sind es sogar 2,4 Grad.
Weltweit gab es laut Geosphere Austria (9) seit 1900 einen Anstieg der Lufttemperatur um etwa 1 Grad. Besonders Österreich ist davon betroffen: Demnach gehört Österreich „zu den Regionen, in denen die Temperaturzunahme stärker als im weltweiten Mittel ausgefallen ist – und zwar etwa doppelt so stark.“ Die Folgen der Klimakrise zeigen sich in Österreich – wie das Umweltbundesamt ausführt (10) – nicht nur durch gestiegene Temperaturen, sondern etwa auch durch Starkregenereignisse, Gletscherschmelze, Hitze und Dürre.
Gerald Grosz bezog auf APA-Anfrage Stellung zu seinem Video: „Aus dem Inhalt des Videos und meiner übrigen medial getätigten Äußerungen geht klar hervor, dass ich den Klimawandel an sich nicht ‚leugne‘ sondern die mediale Hysterie rund um das Thema kritisch bisweilen satirisch beleuchte.“
Wasserspiegelstände als weiteres Diskussionsthema
Grosz greift in seinem Video noch ein anderes Thema auf, das bereits in der Vergangenheit von vielen Menschen als Beleg für eine „Klimalüge“ verwendet wurde: Das Austrocknen des Neusiedlersees von 1865 bis 1870. Tatsächlich trocknete der See im Burgenland vor etwas mehr als 150 Jahren, wie auch schon mehrmals davor, aus.
Der Unterschied zu heute ist aber: Trockenen Jahren, selbst wenn sie aufeinander folgten, lag keine generelle Tendenz zu permanent steigenden Durchschnittstemperaturen zugrunde, wie sich in einem früheren APA-Faktencheck (11) nachlesen lässt. Und auch nachdem es im April 2023 viel geregnet hat, ist der Wasserstand des Neusiedlersees aktuell immer noch mehr als zehn Zentimeter niedriger als im April 2022 (12).
Im Video lässt Grosz Eiswürfel in einem Wasserglas schmelzen. Er verweist darauf, dass sich der Wasserspiegel im Glas dadurch nicht erhöht. Dieses Prinzip gilt vor allem für freischwimmende Körper in einem fluiden Medium, bei dem die Verdrängung der Flüssigkeit bereits erfolgt ist. Auf die Klimakrise und abschmelzendes Festland-Eis, welches den Wasserspiegel ansteigen lässt, ist es allerdings nicht übertragbar (13).
Das Ansteigen des Meeresspiegels (14) hat außerdem einen anderen wesentlichen Grund: Das Wasser, das ohnehin schon in den Ozeanen ist, erwärmt sich aufgrund der gestiegenen Lufttemperatur und gewinnt daher an Volumen. Es dehnt sich aus und lässt den Meeresspiegel ansteigen.
Ergänzung 27,4,2023, 12:30 Uhr: Eine nach Veröffentlichung des Textes eingegangene Stellungnahme des BOKU-Professors Helmut Habersack wurde im fünften Absatz der Überprüfung ergänzt.
Quellen:
(1) Facebook-Video: http://go.apa.at/XCH8ohnZ (archiviert: http://go.apa.at/GIGZu8iq, Video archiviert: https://perma.cc/NC8C-DYGM)
(2) Kommentar 1: http://go.apa.at/fR6jHKqL (archiviert: http://go.apa.at/ldjjjXsh)
(3) Kommentar 2: http://go.apa.at/s6EKgogQ (archiviert: http://go.apa.at/ApSpBx1M)
(4) Karte zur Jahressumme des Niederschlags für 2023 in Österreich: http://go.apa.at/uHr38HE3 (archiviert: http://go.apa.at/svzywGb1)
(5) Karte zur Monatssumme des Niederschlags für April 2023 in Österreich: http://go.apa.at/sFRBnGu1 (archiviert: http://go.apa.at/tSPUQlBC)
(6) APA-Bericht über Wetter im März in Österreich: http://go.apa.at/zlYnV3bf (archiviert: https://archive.is/IKI9L)
(7) „Deutsche Welle“-Bericht über Temperaturen im März 2023: http://go.apa.at/5XQXORuh (archiviert: https://archive.is/atnAv)
(8) Jahreszeitenmittel der Lufttemperatur für Winter 2022/2023: http://go.apa.at/XRmNv9bM (archiviert: http://go.apa.at/P4NjGCUU)
(9) GeoSphere Austria über Erwärmung in Österreich: http://go.apa.at/nYZiGO1R (archiviert: https://archive.is/l95nc)
(10) Umweltbundesamt über Folgen des Klimawandels in Österreich: http://go.apa.at/jIZvZ3Ah (archiviert: https://archive.is/Ehl2D)
(11) APA-Faktencheck zum Neusiedlersee: http://go.apa.at/D1T0V6Pj
(12) Wasserstand des Neusiedlersees: http://go.apa.at/9l5vaq2a (archiviert: http://go.apa.at/cW2KYQGv)
(13) „Arte“-Video über Anstieg des Meeresspiegels: http://go.apa.at/u1LI6AFA (Video archiviert: https://perma.cc/8ZSK-UUZP)
(14) „Quarks“ über Anstieg des Meeresspiegels: http://go.apa.at/48cCUGzA (archiviert: https://archive.is/4gAUG)
Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at. Die Texte vieler deutschsprachiger Faktencheck-Teams finden Sie auf der Seite des German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO) unter: www.gadmo.eu
Valerie Schmid / Florian Schmidt