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APA Check Avatar MHRA rechnet nicht mit massiven Corona-Impfschäden

APA/dpa/Symbolbild

In den letzten Tagen startete die Impfung gegen das Coronavirus in Großbritannien. Bereits im Vorfeld wurde sie kontrovers diskutiert. Einige Menschen äußerten Zweifel bezüglich möglicher Impfschäden. Ein Facebook-User behauptete gar in einem Posting, dass die britische „Medicines and Healthcare products Regulatory Agency“ (MHRA) mit „massiven Impf-Schäden durch die Corona-Impfung“ rechne. Als Beleg dafür führt er ein Schreiben der britischen Behörde an.

Zu überprüfende Information: Die britische Behörde MHRA rechnet bei der Corona-Impfung mit massiven Impfschäden.

Einschätzung: Bei dem Schreiben der MHRA handelt es sich um eine Ausschreibung. Die Behörde sucht nach einem Software-Tool, um die erwartete große Menge an Meldungen von Nebenwirkungen der Corona-Impfung gut verarbeiten zu können. Von erwarteten massiven Impfschäden ist keine Rede. Nach Angaben des Arzneimittelexperten Christoph Baumgärtel handelt es sich dabei um kein unübliches Vorgehen. Die MHRA erwartet, dass das allgemeine Sicherheitsprofil der Corona-Impfung ähnlich ist wie bei anderen Impfstofftypen.

Überprüfung: Die Ausschreibung wurde am 23. Oktober 2020 auf dem Online-Portal der Europäischen Union, Tenders Electronic Daily (TED), veröffentlicht. Der Online-Dienst macht öffentliche Aufträge aus der Europäischen Union bekannt. Er ist beim „Publications Office of the European Union“ angesiedelt.

In der Ausschreibung wird dringend nach einem Software-Tool mittels Künstlicher Intelligenz gesucht, mit dem „die zu erwartende große Menge an unerwünschten Arzneimittelwirkungen des Impfstoffs Covid-19“ verarbeitet werden sollen. Aufgrund der großen Menge sei es nicht möglich, das Altsystem nachzurüsten. Ohne die Möglichkeit, gemeldete Nebenwirkungen effektiv zu verarbeiten, sei die MHRA nicht in der Lage, „mögliche Sicherheitsprobleme mit dem Covid-19-Impfstoff schnell zu identifizieren“. Das stelle eine „direkte Bedrohung für das Leben von Patienten und die öffentliche Gesundheit“ dar, warnt die Behörde. Von massiven Impfschäden – wie im Posting behauptet – ist in der Ausschreibung aber nirgendwo die Rede.

Der Arzneimittelexperte Christoph Baumgärtel von der AGES Medizinmarktaufsicht teilte der APA am 1. Dezember 2020 telefonisch mit, dass Impfschäden keinesfalls gleichzusetzen seien mit Impfnebenwirkungen. In Bezug auf das Posting sagte er: „Das ist natürlich völlig unhaltbar“, dass der User schreibe, man rechne mit massiven Impfschäden. „Das ist natürlich völliger Unsinn“.

Auch vor dem Gesetz werden Impfnebenwirkungen und Impfschäden voneinander unterschieden. Nebenwirkungen werden im Arzneimittelgesetz abgehandelt. Bei einem Impfschaden ist die gesetzliche Grundlage für eine Entschädigung das Impfschadengesetz, wie auf dem Öffentlichen Gesundheitsportal Österreichs nachzulesen ist. Definiert wird der Impfschaden durch „eine Impfung verursachte schwere bleibende Behinderung“, welche aber äußerst selten auftreten würde. Impfreaktionen können zB. Rötungen oder leichte Schmerzen im Bereich der Injektionsstelle, Fieber oder Abgeschlagenheit sein. Einer Präsentation der AGES Medizinmarktaufsicht von März 2020 zufolge werden Impfnebenwirkungen oft fälschlich mit Impfschäden gleichgesetzt.

Baumgärtel ordnet die MHRA-Ausschreibung folgendermaßen ein: Im Gegensatz zu Medikamenten, wo es ein „massives Underreporting bei den Nebenwirkungen“ gebe, würden Nebenwirkungen von Impfungen eher gemeldet. Bei Impfungen seien die Menschen was das Melden betreffe „sehr, sehr sensibel“. Mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die das Thema Corona und Impfen derzeit habe, könne „man sich ausmalen was passiert, (…) wenn die Leute jetzt flächendeckend geimpft werden“, so Baumgärtel. „Man kann tatsächlich damit rechnen, dass es sehr, sehr viele Rückmeldungen geben wird für Impfnebenwirkungen“.

Das bedeute aber nicht, dass der Impfstoff sehr unsicher sei, sondern nur, dass jeder, der eine leichte Nebenwirkung auf die Impfung habe, diese mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit auch der Behörde melden werde. „Insofern rechnen wir auch mit einem starken Anstieg dieser Meldungen, was ja grundsätzlich gut ist, weil nur durch die Meldungen können wir (…) das Nutzen-, Risikoprofil und die Sicherheit auch abschätzen“, erläutert der Arzneimittelexperte der AGES.

Nebenwirkungsmeldungen von Impfungen seien zu 99 Prozent harmlosester Natur, sagt Baumgärtel. Von den Corona-Impfstoffen kenne man die Nebenwirkungszahlen noch nicht, da sie noch nicht zugelassen seien (Anm. in der EU). Die häufigsten würden aber wahrscheinlich Schmerzen oder Schwellungen an der Injektionsstelle sein. „Es gibt kein Arzneimittel, wo ich gar keine Nebenwirkungen habe. (…) Dort wo Wirkung ist, ist auch eine Nebenwirkung“.

Ein Sprecher der MHRA sagte der APA am 9. Dezember 2020 via Mail, dass die Behörde basierend auf den verfügbaren veröffentlichten Berichten aus den klinischen Studien der Phasen eins und zwei erwarte, dass das allgemeine Sicherheitsprofil der Corona-Impfung ähnlich sei wie das von anderen Impfstofftypen. Ein Covid-19-Impfstoff werde erst dann zugelassen, wenn er in klinischen Studien robuste Standards in Bezug auf Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit erfüllt habe, wurde einmal mehr betont.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz werde ein Element von einer Reihe von Technologien sein, um die Sicherheit des Covid-19-Impfprogramms zu gewährleisten. „Wir nehmen jede Meldung einer vermuteten Nebenwirkung ernst und wir kombinieren die Überprüfung dieser Einzelmeldungen mit der statistischen Analyse der klinischen Aufzeichnungen“, so die Behörde.

Bei vergangenen Erfahrungen mit neuen Impfkampagnen sei in der Regel eine Meldung über vermutete unerwünschte Nebenwirkungen auf 1.000 verabreichte Dosen gekommen und darauf stelle man seine Überwachungssysteme auch jetzt ein. Die meisten der gemeldeten Fälle seien mild und kurzfristig, betont auch die MHRA.

 

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Valerie Schmid/Florian Schmidt

 

AKTUALISIERT AM 11. DEZ. 2020 11:41