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blog / Dienstag 30.06.20

APA Check Avatar London Bridge-Attentäter war nicht einziges POC-Todesopfer in GB

Bei einer Messerattacke in der britischen Stadt Reading sind vergangene Woche drei Menschen getötet und drei weitere schwer verletzt worden. Einige User wiesen in Sozialen Netzwerken auf eine mutmaßliche Verbindung zwischen dem Angriff am 20. Juni und der kurz davor stattgefundenen Black Lives Matter-Demonstration hin. (Beispiel 1Beispiel 2).

Auch der FPÖ-Politiker Leo Kohlbauer äußerte sich zu dem Vorfall und schrieb, dass die Tat „am Rande einer BlackLivesMatter Demo“ erfolgte. Der Landtagsabgeordnete behauptete in einem Facebook-Posting auch, dass die Medien über die Herkunft des libyschen Tatverdächtigen schweigen würden. Dazu teilte er einen Screenshot von einem Facebook-ZIB-Bericht, in dem die Herkunft des Tatverdächtigen nicht vorkommt. Zudem schrieb Kohlbauer, dass „grotesker“ als die Tat nur noch der Umstand sei, dass die einzige „Person of Colour“, die im vergangenen Jahr von der britischen Polizei getötet worden sei, der Terrorist auf der London Bridge gewesen sei. Da diese Behauptungen durch ein Posting eines österreichischen Politikers auch hierzulande Relevanz bekommen, wollen wir sie überprüfen.

Zu überprüfende Information: Medien berichteten nach dem Vorfall nicht über die Herkunft des Reading-Täters. Die Tat stand im Zusammenhang mit der Black Lives Matter-Demonstration. Im vergangenen Jahr war die einzige „Person of Colour“, die von der britischen Polizei getötet wurde, der Terrorist auf der London Bridge.

Einschätzung: Die meisten der Behauptungen sind nicht richtig. Medien berichteten schon früh über die Herkunft des Täters. Die Tat steht laut Ermittlern in keinem Zusammenhang mit der Black Lives Matter-Demonstration. In den Jahren 2018/19 gab es 33 Fälle, in denen nicht-weiße Menschen durch oder nach dem Kontakt mit der britischen Polizei verstarben, beispielsweise durch Schießereien oder während bzw. nachdem sie sich in Polizeigewahrsam befanden. Durch Schießereien kamen im Jahr 2019 zwei schwarze Personen ums Leben, eine davon war der London Bridge-Täter.

Überprüfung: Die APA – Austria Presse Agentur berichtete am 21. Juni um 0:20 Uhr zum ersten Mal darüber, dass es sich bei dem Reading-Täter laut der Nachrichtenagentur PA um einen Libyer handeln soll. Die Meldung ist noch immer auf der Informationsplattform AOM der APA einsehbar. Auch Onlineportale übernahmen laut APA-Redaktionssystem diese Meldung, was jedoch schwer gezeigt werden kann, da die Portale mittlerweile aktuellere Versionen des Artikels drübergespielt haben.

Die deutsche Zeitung „Frankfurter Allgemeine“ berichtete um 03:29 Uhr über die Herkunft des Täters. Der Facebook-ZIB-Beitrag stammt vom 21. Juni um 11.28 Uhr, darin wurde tatsächlich die Herkunft des Tatverdächtigen nicht erwähnt – in der ZIB um 13.00 Uhr am 21. Juni allerdings schon.

Kohlbauer verfasste sein Facebook-Posting am 21. Juni um 11.17 Uhr. Es wurde danach mehrfach aktualisiert, zuletzt zwei Tage später am 23. Juni um 13:13 Uhr. Der Text des Postings wurde aber nicht verändert. Auf APA-Anfrage wies Leo Kohlbauer auf den „Stand der Medienberichterstattung“ beim Verfassen seines Postings am 21.06.2020 um 11:17 Uhr hin.

Bild: Screenshot/ORF TvThek

Die britische Polizei schloss bereits in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni aus, dass die Stunden vor der Messerstecherei stattgefundene friedliche Demonstration der Bewegung Black Lives Matter in der Nähe des Tatorts in Zusammenhang mit der Tat stehe: „Das Ganze geschah drei Stunden nach dem Abschluss der Kundgebung“, hieß es in einer Mitteilung der Ermittler laut APA-Bericht, den einige Medien übernahmen. Zum Beispiel die „Wiener Zeitung“ berichtete am 21. Juni in der Früh darüber. Auch auf Twitter verwies die Thames Valley Police darauf, dass es keine Hinweise auf eine Verbindung zur Demo gab.Kohlbauer sagte gegenüber der APA via Email dazu, dass er nicht den Konnex zur Demo hergestellt, sondern lediglich zitiert habe. Er beziehe sich auf erste Berichte, die schrieben, dass sich der Vorfall kurz nach der Demo ereignet habe. Erst später sei ein Zusammenhang von offizieller Stelle ausgeschlossen worden, so Kohlbauer.

Als „Person of Colour“ wird laut Cambridge Dictionary eine Person bezeichnet, die sich nicht als weiß definiert – also verkürzt gesagt, alle Menschen, die nicht weiß sind.

2018/19 kamen den Angaben des „Independent Office for Police Conduct“ (IOPC) (archiviert) zufolge in England und Wales zusammengerechnet 33 Menschen, die nicht weiß waren, durch oder nach dem Kontakt mit der britischen Polizei ums Leben. Hinzugezählt wurden die ethnischen Gruppen schwarz, asiatisch, gemischt und auch die Kategorie andere. Als Todesopfer durch oder nach dem Kontakt mit der britischen Polizei werden Todesopfer im Straßenverkehr, bei Schießereien, Menschen, die während oder nachdem sie in Polizeigewahrsam waren, starben, Selbstmorde nach Polizeigewahrsam und andere Todesfälle nach Polizeikontakt definiert. Unklar dabei ist natürlich, ob – wenn es um eine Tötung durch die Polizei ging – diese angemessen oder notwendig war oder nicht.

Durch Schießereien kamen laut IOPC im Zeitraum 2018/19 (letzter vollständiger Bericht) drei Menschen ums Leben: zwei davon waren weiß, einer war schwarz. Ein Vergleich mit einem BBC-Artikel zeigt, dass es sich bei dem Schwarzen wohl um den 52-jährigen Trevor Smith handelt, welcher am 15. März 2019 starb. Der Täter des Terroranschlags auf der London Bridge im November 2019, Usman Khan, wird in der IOPC-Statistik, obwohl er durch Polizeischüsse ums Leben kam, nicht aufgeführt.

Kohlbauer verwies in seiner Stellungnahme auf eine Wikipedia-Seite, welche ebenfalls jene durch Polizeigewalt ums Leben gekommene Menschen aufweist und zusätzlich den London-Bridge Attentäter. Es zeigt sich aber auch hier, dass der Attentäter nicht die einzige „Person of Colour“ war, die durch die Polizei im Jahr 2019 ums Leben kam.

Es gibt aber weitere mögliche Todesfälle mit Polizei-Bezug. Eine schwarze Person starb IOPC (Seite 17/18) zufolge im untersuchten Zeitraum 2018/19 während oder nachdem sie in Polizeigewahrsam war. Sieben schwarze und vier asiatische Menschen sowie zwei Menschen aus der ethnischen Kategorie „gemischt“ und drei aus der Kategorie „andere“ sind in der Rubrik „andere Todesfälle nach Polizeikontakt“ zu finden.

Das IOPC ist eine eigenständige öffentliche Organisation, die schwerwiegende Fälle, die im Zusammenhang mit der Polizei in England und Wales stehen, untersucht. Es betreibt für seine Berichte einen aufwendigen Investigationsprozess, welcher hier nachgelesen werden kann. Die britische Polizei ist zudem verpflichtet, alle Vorfälle mit Todesfolge oder schweren Verletzungen an das IOPC zu melden. Nach eigenen Angaben trifft die Organisation völlig unabhängig von Regierung und Polizei Entscheidungen.

Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at

Valerie Schmid/Florian Schmidt