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blog / Freitag 29.05.20

APA Check Avatar Kann man die Zahl der Influenza-Todesfälle mit jener der Corona-Todesfälle vergleichen?

Seit Wochen werden immer wieder Stimmen laut, die die Anzahl der am Coronavirus Verstorbenen mit der Zahl der jährlichen Influenza-Toten vergleichen und dabei durchklingen lassen, dass es vergleichsweise wenige Corona-Tote gebe und die gesetzten Maßnahmen zur Eindämmung daher übertrieben seien. So heißt es zum Beispiel im einem Posting auf Facebook, dass 2017/18 bei der „schlimmsten Grippewelle seit 30 Jahren“ es 25.100 Tote innerhalb von drei Monaten gegeben hätte. Bei „Corona 2020“ seien es 3.000 Tote innerhalb von drei Monaten gewesen. Die Anzahl der Todesfälle lässt darauf schließen, dass es sich dabei um deutsche Zahlen handelt.
Wir wollen uns dieses Thema aufgrund der Verbreitung derartiger Behauptungen und der Relevanz für die Gesellschaft genauer ansehen.
Zu überprüfende Information: Aufgrund eines Vergleiches der aktuellen Corona-Toten mit den Todesopfern vergangener Influenzawellen können Erkenntnisse zur Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 gewonnen werden.
Einschätzung: Ein Vergleich ist aufgrund einer geringen Aussagekraft umstritten. Influenza-Todesfälle beruhen auf Schätzwerten, Corona-Todesfälle nicht. Doch auch die Erhebung der Corona-Todesfälle ist eher ungenau. Zudem macht – wenn überhaupt – ein Vergleich erst mit zeitlichem Abstand Sinn. Man kann außerdem nicht wissen, wie hoch die Zahl der Corona-Toten ohne gesetzte Maßnahmen wäre.
Überprüfung: Die jährliche Anzahl an Influenza-Toten beruht sowohl in Deutschland als auch in Österreich auf Schätzwerten. Das liegt daran, dass „die Influenza als Todesursache häufig nicht erkannt oder registriert wird“, heißt es auf der Website der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES), die die jährlichen Influenza-Todesfälle aufführt. Daher würden die mit Influenza in Zusammenhang stehenden Todesfälle durch Modellierungen geschätzt.
Österreich ist Partner des EuroMOMO-Netzwerkes zur Überwachung der Sterblichkeit in Europa. Zur Berechnung der Influenza-Sterblichkeit wird das FluMOMO-Model verwendet. Eine detaillierte Beschreibung dessen findet sich etwa in der wissenschaftlichen Datenbank PubMed Central, das von der US-amerikanischen Behörde National Institutes of Healt finanziert wird.
Auf APA-Anfrage erklärte AGES, dass hierfür „Daten der wöchentlichen All-Ursachen Sterblichkeit (Statistik Austria), der Influenza-Positivrate (DINÖ, Diagnostisches Influenza Netzwerk Österreich) und der ILI-Inzidenz (klinisches Sentinel-Surveillancesystem) sowie von österreichweiten Temperaturmessungen (NOAA, National Oceanic and Atmospheric Administration)“ verwendet werden. Dadurch könne die „Influenza-assoziierte Übersterblichkeit (Exzess-Mortalität)“ eingeschätzt werden. All diese Informationen und genauere Erklärungen zur Berechnung finden sich auch auf der AGES-Website.
Auch das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) schreibt, dass bei Influenza-Todesfällen die Todesursachenstatistik nicht geeignet sei. Todesfälle, die der Influenza zuzuschreiben seien, könnten sich in anderen Todesursachen, wie z. B. Diabetes oder Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems verbergen.
Daher wird auch in Deutschland mit der „Exzessmortalität“ gearbeitet. Dabei wird eine Hintergrundmortalität modelliert. Während „hinreichend starker“ Influenzasaisons könne ein Mortalitätsanstieg beobachtet werden, der über die Hintergrundmortalität hinausgeht und der Influenza zugeschrieben wird. Diese werde mittels statistischer Verfahren geschätzt und als Exzessmortalität bezeichnet, so das RKI.
2017/18 war tatsächlich ein starkes Grippe-Jahr, wie im Posting dargelegt. Laut dem RKI wurden die Influenza-bedingten Todesfälle in Deutschland auf rund 25.000 geschätzt. Verstorbene Fälle mit laborbestätigter Influenzainfektion gab es hingegen nur 1.674, so das RKI.
In Österreich betrug im ebenfalls starken Grippe-Jahr 2017/18 die Anzahl geschätzter Todesfälle assoziiert mit Influenza laut AGES 2.851. Zu den verstorbenen Fällen mit laborbestätigter Influenzainfektion liegen soweit ersichtlich keine Zahlen vor.
Zur heurigen Grippe-Saison 2019/20 gibt es noch keine abschließenden Daten. In Deutschland stammen die aktuellsten Zahlen Stand 28. Mai von der Kalenderwoche 20/2020 (9.5. bis 15.5.2020). Bis dahin gab es laut RKI 518 Todesfälle mit einer Influenzavirusinfektion. Dabei dürfte es sich um laborbestätigte Fälle handeln. In Österreich sind die letzten vorliegenden Daten aus der Kalenderwoche 07/20 (10.2.-16.2. 2020), da betrug die Zahl der geschätzten Influenza-Todesfälle laut AGES 643. Die Zahl der laborbestätigten Influenza-Toten sind wiederum keine ersichtlich.
Mit Stand 28. Mai gab es in Deutschland laut RKI hingegen 8.411 Covid-19-Todesfälle. In Österreich waren es mit Stand 28.5.2020 laut Sozial- und Gesundheitsministerium 668 Corona-Tote. In beiden Ländern werden jene Todesfälle gezählt, bei denen ein laborbestätigter Nachweis von SARS-CoV-2 bzw. der Erkrankung Covid-19 vorliegt. Es werden sowohl jene angegeben, die unmittelbar an der Erkrankung gestorben sind, als auch die, die mit der Erkrankung gestorben sind, zB. wenn die Todesursache aufgrund von Vorerkrankungen unklar war (DeutschlandÖsterreich).
In beiden Ländern gäbe es somit derzeit mehr Covid-19-Tote als Grippe-Tote. Eine aussagekräftige Vergleichbarkeit ist aber aufgrund der dargelegten Gründe nicht gegeben. Die Corona-Pandemie ist auch noch recht jung, wodurch Einschätzungen durch fehlenden zeitlichen Abstand und ungewisse weitere Entwicklungen schwierig sind. Vermutlich hatten auch die Social Distancing-Maßnahmen Einfluss auf die Grippe-Zahlen.
Was zudem überhaupt nicht in einen Vergleich hineinfließen kann, ist, wie hoch die Zahl der Corona-Toten heute ohne Maßnahmen wie den verpflichtenden Mund-Nasen-Schutz oder die Abstandsregel wäre. Das sagte auch Martin Posch vom Zentrum für Medizinische Statistik an der Med-Uni Wien gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“. Er hält es für unzulässig, von der Sterblichkeit darauf zu schließen, wie gefährlich SARS-CoV-2 sei. Wie viele Menschen ohne die gesetzten Maßnahmen gestorben wären, werde sich nie abschließend beantworten lassen.
Unter Wissenschaftern ist ein Vergleich umstritten. Der österreichische Rundfunk ORF sprach zum dem Thema mit einigen renommierten Experten und brachte folgende Ergebnisse zutage: Laut Robert Krause von der MedUni Graz lasse sich der Wert der Corona- sowie Influenza-Todeszahlen „nicht seriös bestimmen“. Möglich sei eine quantitative Gegenüberstellung allenfalls in einer überschaubaren Patientengruppe.
Nach Angaben des Physikers Karl Svozil könnten sich hinter der statistisch feststellbaren Übersterblichkeit „viele Effekte verbergen. Nicht überall, wo ein quantitatives Maß vorliegt, ist automatisch Eindeutigkeit gegeben.“
Auch Ralf Reintjes von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg hält „Maßzahlen wie Fall- und Infektionssterblichkeit“ für „wenig aussagekräftig.“ So auch die Influenza-Expertin Daniela Schmid, Leiterin der Abteilung für Infektionsepidemiologie der AGES: Sie findet Vergleiche zwischen Grippe und Covid-19 „aus methodischen Gründen“ für „wenig sinnvoll“. Die Bestimmung von Erkrankungen und Todeszahlen sei in beiden Fällen so unterschiedlich, dass sich eine Gegenüberstellung verbiete, so Schmid zum ORF.

 

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Valerie Schmid/Florian Schmidt