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blog / Montag 03.05.21

APA Check Avatar Indischer Zeitungsbericht wird falsch interpretiert

APA/AFP

Über die Covid-Situation in Indien wird derzeit viel berichtet. Während sich Artikel über die Notlage in den Krankenhäusern und die steigenden Infektionszahlen häufen, lässt sich in Sozialen Medien auch mehrfach die Behauptung finden, dass die Lage den Impfungen geschuldet sei.

Mehrere Postings (1,2) verbreiten etwa einen Artikel der „Times of India“, wonach ihrer Interpretation zufolge 75 Prozent der „unerwünschten Toten“ innerhalb von drei Tagen nach der Impfung gestorben sein sollen. „In Indien sterben gerade Hunderttausende Innerhalb 3 Tagen nach der Covid-19 Impfung“ (sic!), schreibt etwa ein User (3), der sich auch auf diese Quelle beruft. Andere (4) stellen die Effektivität der Impfungen infrage oder sehen gar einen Zusammenhang der Impfungen mit den Todesfällen.

Zu überprüfende Information: Einer indischen Zeitung zufolge sterben zahlreiche Menschen kurz nach der Impfung. Die Impfungen sind ineffektiv oder gefährlich.

Einschätzung: Das ist falsch. Die Zeitung berichtet, dass unter 180 Verdachtsfällen, bei denen ein Zusammenhang zwischen Tod und Impfung untersucht wird, 75 Prozent nach drei Tagen gestorben sind. Studien zeigen, dass der Impfstoff von AstraZeneca effektiv und grundsätzlich sicher ist.

Überprüfung: Durch die Suchfunktion auf der Webseite von „Times of India“, der größten englischsprachigen Zeitung in Indien, lassen sich alle Artikel auflisten, die „75 Prozent“ enthalten (5). Dadurch ist auch der Artikel (6) zu finden, auf den sich derzeit die Facebook-Postings beziehen.

Am 12. April 2021 griff die Zeitung aktuelle Daten auf, die das indische Überwachungsprogramm für schwere Reaktionen nach Impfungen (AEFI, 7) präsentierte. Demnach seien dort bisher 180 Todesfälle nach Impfungen gemeldet worden. Auffällig sei dabei, dass drei Viertel dieser Verdachtsfälle innerhalb von drei Tagen nach der Impfung gemeldet worden sind. Auch bei den im AEFI-Programm erfassten Hospitalisierungen sei der Großteil innerhalb dieses Zeitraums beobachtet worden.

Eine Public Health-Aktivistin weist deshalb im Artikel darauf hin, dass der große Prozentsatz der gemeldeten Todesfälle, die kurz nach der Impfung beobachtet worden sind, auf einen Bias beim Meldeprozess hindeuten könnte. Eventuell würden möglicherweise in Zusammenhang zur Impfung stehende Todesfälle gar nicht erfasst, wenn sie später passieren.

Informationen aus dem Artikel zufolge waren in Indien bis dahin etwa 90 Millionen Impfdosen an Menschen verabreicht worden. Auch in Indien wird vor allem der Impfstoff von AstraZeneca verimpft, der dort jedoch vom nationalen Serum Institut unter dem Namen „Covishield“ verimpft wird (8). Nachdem es in Europa zu Impfstopps und Warnungen aufgrund möglicherweise mit dem Impfstoff in Zusammenhang stehenden Sinusvenenthrombosen kam, fordert die Aktivistin in dem Artikel, dass es auch in Indien mehr Warnhinweise und Informationen für die Bevölkerung geben sollte. Auch Personal solle geschult werden, um Anzeichen erkennen zu können.

In den AEFI-Richtlinien (7) steht, dass auch relevante Vorfälle zu melden sind, die innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung auftreten. Dabei muss es allerdings nicht unbedingt einen kausalen Zusammenhang mit der Impfung geben, da auch Reaktionen unbekannter Ursache gemeldet werden sollen. Das heißt, dass die 180 AEFI-Todesfälle nicht unbedingt automatisch mit dem Impfstoff in Verbindung stehen.

Schwerwiegende Ereignisse wie Todesfälle werden nach der Meldung im System genauer untersucht. Um dabei einen möglichen kausalen Zusammenhang festzustellen, gibt die WHO ein festes Prozedere mit bestimmten Definitionen (9) vor.

Bisher wurden vom indischen Gesundheitsministerium (10) nur zwei Berichte zu solchen Untersuchungen veröffentlicht. Bei einem Bericht wurden acht Todesfälle (11) untersucht, beim anderen fünf (12). Von diesen insgesamt 13 untersuchten Verdachtsfällen wurde bei sechs ein konsistenter kausaler Zusammenhang festgestellt. Die bedeutet laut der WHO-Definition allerdings nur, dass es einen Zusammenhang mit dem Impfstoff, einen Zusammenhang mit der Impfstoff-Qualität, einen Zusammenhang mit Fehlern bei der Impfung selbst oder einen Zusammenhang mit Angst vor der Impfung gegeben hat. In beiden Berichten steht, dass man keine Hinweise gefunden habe, dass ein Todesfall durch die Covid-19-Impfung verursacht worden sei.

Zur Effektivität und Sicherheit des Covishield-Impfstoffes in Indien existiert eine aktuelle Studie als Preprint (13), die sich noch im Peer Review befindet. Dabei wurden mehr als 1.600 Mitarbeiter im indischen Gesundheitswesen geimpft, um zwei Wochen nach der ersten Dosis Unterschiede bei Antikörperwerten festzustellen und Nebenwirkungen zu dokumentieren. Der Serostatus, also das Vorhandensein von Antikörpern, erhöhte sich in diesen zwei Wochen von 48,2 Prozent auf 79,0 Prozent.

In diesem Zeitraum ist es laut den Studienergebnissen zu keiner einzigen Hospitalisierung oder Notaufnahme unter den geimpften Personen gekommen. Die am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren etwa generelle Schmerzen (62,7 Prozent) bzw. Muskelschmerzen (24,1 Prozent). Zudem hätten am ersten Tag nach der Impfung 48,4 Prozent der Teilnehmenden Fieber gehabt, 43,4 Prozent Kopfschmerzen, 38,4 Prozent Myalgie und etwa ein Drittel Müdigkeit. Innerhalb des zweiten Tages wurden weniger Reaktionen festgestellt und danach hätten sich die meisten aufgelöst.

Schon in der Studie zu den Trials von AstraZenecas Impfstoff ChAdOx1 (14) waren keine besonderen Sicherheitsbedenken festgestellt worden. Unter rund 35.000 Teilnehmenden bis November 2020 handelte es sich bei allen zehn dokumentierten Hospitalisierungen um Menschen, die ein Placebo bekommen haben. Unter drei möglicherweise in Verbindung mit der Impfung stehenden ernsten Vorfällen konnte nur ein Fall der Gruppe zugeordnet werden, die den Impfstoff bekamen.

In dieser Woche wurde eine aktuellere Studie (15) publiziert, die über 300.000 Menschen umfasst, die zwischen Dezember 2020 und März 2021 mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpft worden waren. Hier konnte ein um 69 Prozent reduziertes Infektionsrisiko 12 Tage nach der Impfung der ersten Dosis festgestellt werden. Die Reaktionen nach der Impfung hätten meistens nur 1-2 Tage angedauert.

Anfang April hat die European Medicines Agency (EMA) bekannt gegeben (16), dass es einen Zusammenhang zwischen der Vakzine von AstraZeneca und seltenen Blutgerinnseln in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen geben könnte. Dies wurde in die Liste der Nebenwirkungen aufgenommen, die EMA sieht das Nutzen-Risiko-Verhältnis aber weiterhin positiv. In Deutschland zählte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) laut einem aktuellen Bericht (17) bis zum 21. April bei knapp fünf Millionen verimpften Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs 63 Fälle einer Hirn-/Sinusvenenthrombose nach einer Impfung. Davon verliefen zwölf tödlich.

Quellen:

(1) Beitrag auf Facebook: http://go.apa.at/7LYPV1V8 (archiviert: https://archive.is/Rxu3N)

(2) Beitrag auf Facebook: http://go.apa.at/G7xljU88 (archiviert: https://archive.is/oMbCm)

(3) Beitrag auf Facebook: http://go.apa.at/WHhrOGEl (archiviert: https://archive.is/p3foc)

(4) Beitrag auf Facebook: http://go.apa.at/0C4qdwZ1 (archiviert: https://archive.is/WjBfh)

(5) Suche bei „Times of India“: http://go.apa.at/pGrKRH0h (archiviert: https://perma.cc/QTE2-897L)

(6) „Times of India“-Artikel zu AEFI-Bericht: http://go.apa.at/RxGz2DOk (archiviert: https://archive.is/bC3B3)

(7) Richtlinien zum AEFI-Überwachungsprogramm: http://go.apa.at/t3slbFCn (archiviert: http://go.apa.at/ZHE18iqb)

(8) Serum Institute Indien: http://go.apa.at/zKPW0Aou (archiviert: http://go.apa.at/I3UaX9JA)

(9) WHO zu AEFI: http://go.apa.at/fIVgklMm (archiviert: https://perma.cc/2LUQ-UFD3)

(10) Indisches Gesundheitsministerium: http://go.apa.at/9yIVLkPL (archiviert: http://go.apa.at/BWoXTOLP)

(11) Bericht zu Todesfällen: http://go.apa.at/wknrnOg1 (archiviert: https://archive.is/CYddV)

(12) Bericht zu Todesfällen: http://go.apa.at/ZJyNQyQU (archiviert: https://archive.is/D0SeC)

(13) Studie in Indien im Preprint: http://go.apa.at/fc0JzVrH (archiviert: https://archive.is/qeY7E)

(14) Studie zu Trials von AstraZeneca: http://go.apa.at/n0Ro1bAM (archiviert: https://archive.is/R7xhg)

(15) Aktuelle Studie zu AstraZeneca und Biontech/Pfizer: http://go.apa.at/i7mKUIlh (archiviert: https://archive.is/UyLLl)

(16) EMA zu Thrombosen: http://go.apa.at/VyYc85sH (archiviert: https://archive.is/zeWt4)

(17) Aktueller Bericht des PEI zu Sinusvenenthrombosen: http://go.apa.at/o7q5rXAk (archiviert: https://archive.is/QBVFj)

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Florian Schmidt / Valerie Schmid