Die Selbstbehandlung des eigenen Körpers mit Nahrungsergänzungsmitteln spielt für einige Menschen eine große Rolle. Vitamin-Präparaten wird dabei oft eine positive Wirkung zugesprochen. Umso größer ist die Aufregung in manchen Social-Media-Beiträgen und Messenger-Diensten (1,2), dass die EU bzw. die deutsche Verbraucherzentrale nun angeblich in die Gesundheit der Menschen eingreifen möchte, indem sie hoch konzentrierte Präparate für Vitamin C oder Vitamin D verbietet.
Einschätzung: Die EU möchte seit langer Zeit Höchstmengenregelungen für Vitamin-Präparate in den Mitgliedstaaten einführen. Bis jetzt gibt es allerdings keine einheitlichen Regeln. Expertinnen und Experten beurteilen eine unkontrollierte und unbegründete Einnahme bestimmter Nahrungsergänzungsmittel kritisch und warnen vor einer Überdosierung, die vor allem bei Vitamin D gesundheitliche Folgen haben kann.
Überprüfung: In den aktuellen Online-Beiträgen wird zum Teil auf einen Artikel der deutschen Verbraucherzentrale aus dem August 2022 verwiesen (3). Demnach arbeite gerade eine Arbeitsgruppe der EU an einer Höchstmengenregelung für Vitamine und Mineralstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln.
Bereits in den 2000er-Jahren hatte die EU eine Richtlinie für einheitliche und gesetzlich reglementierte Höchstmengen für Verbraucher erlassen (4). In den Mitgliedstaaten gibt es seitdem dennoch unterschiedliche Regelungen. Auf der Homepage der European Food Safety Authority (EFSA) steht, der Prozess sei aufgrund der komplexen Natur des Problems und den auseinandergehenden Ansichten der beteiligten Parteien noch im Gange. Erst im April 2020 kam es durch Anstrengungen (5) des deutschen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wieder zu mehr Bewegung in der Sache.
Die EU arbeitet derzeit daran, Fortschritte in diesem jahrzehntelangen Prozess zu erzielen (6). Auf der Webseite der EU-Kommission findet sich eine Initiative für die Festlegung von Höchst- und Mindestgehalten an Vitaminen oder Mineralstoffen, die Nahrungsergänzungsmitteln zugesetzt werden dürfen (7). Nähere Informationen dazu waren auf Nachfrage von APA-Faktencheck nicht einzuholen. Aus EU-Kommissionskreisen wurde lediglich auf die Direktive 2002/46/EC verwiesen, mit der vor mehr als 20 Jahren der Grundstein gelegt worden ist. Nach Angaben der Initiative auf der Webseite ist eine gesetzliche Regelung für das Jahr 2024 geplant. Ob und in welcher Form diese kommen wird, bleibt allerdings unklar.
Vitamin-D-Überdosierung birgt Gefahren
Dass es überhaupt zu einer einheitlichen Regelung kommen soll, liegt daran, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht immer hilfreich oder sogar ungefährlich sind. Vitamine und Mineralstoffe in Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln können „schädlich sein, wenn sie in hohen Mengen aufgenommen werden“, heißt es auf der Seite der EU-Kommission.
In den vergangenen Jahren wurde vor allem Vitamin D im Zusammenhang mit Covid-19 oft thematisiert. Eine Überdosierung kann zu einer Vitamin-D-Vergiftung und Nierenschäden bis hin zu Nierenversagen und Tod führen (8). Diese Art der Vergiftung kann nur auf künstlichem Weg geschehen, eine Überdosierung durch Sonnenlicht oder Nahrung ist ausgeschlossen, schreibt ein Fachportal (9).
Auch in Österreich kam es zu falschen Handhabungen mit Präparaten wie Vitamin D, wie Berichte über Überdosierungen zeigen (10, 11). In Deutschland wurde vor einigen Monaten sogar ein Säugling mit einer Vitamin-D-Überdosierung auf die Intensivstation eingeliefert (12).
In Pandemiejahren Zunahme beobachtet
Die Österreichische Gesellschaft für Knochen und Mineralstoffwechsel (ÖGKM) bezog erst in den vergangenen Wochen Stellung zu dem Thema (13). Grundsätzlich könne eine Vitamin-D-Gabe bei einigen Erkrankungen zu positiven Effekten führen und generell bestehe auch ein Vitamin-D-Mangel in großen Teilen der Gesellschaft. Für Patientinnen und Patienten, Kleinkinder und andere Risikogruppen gebe es dabei klare wissenschaftliche Kriterien, Vitamin D zu verabreichen. Man befürworte aber keine Vitamin-D-Gabe für alle gesunden Menschen. Hinsichtlich Vitamin D sei der Aussendung zufolge nämlich auch ein gewisser „Hype“ zu beobachten. Unüblich hohe Mengen Vitamin D würden bei „dürftiger Beweislage“ oft von „selbst ernannten ExpertInnen“ unreflektiert verordnet und konsumiert. Dennoch könne von einer deutlich höheren Zahl von gesundheitlichen Folgen durch längere Vitamin-D-Defizienz im Vergleich zu den registrierten Überdosierungen ausgegangen werden.
Die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) erklärte auf Anfrage von APA-Faktencheck, keine aktuellen Informationen zur Konsumation und zu Umsatzzahlen von Nahrungsergänzungsmitteln zu haben. „Es ist aber anzunehmen, dass der Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln pandemiebedingt zugenommen hat“, so die AGES. Von der Vergiftungszentrale gebe es immer wieder Berichte von Vitamin-D-Vergiftungen. Personen hätten dann zu viel Kalzium im Blut, was zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen könne. Berichte über Todesfälle lägen der AGES nicht vor.
Auch andere Nahrungsergänzungsmittel oft ohne Nutzen
Eine zu hohe Dosis Vitamin C kann ebenfalls negative gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. Laut einer Meldung des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten kann eine sehr lange zu hohe Einnahme zu Blasen- und Nierensteinen führen (14). Nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung kann zu viel Vitamin C Magen-Darm-Beschwerden zur Folge haben. Darüber hinaus gibt es Personengruppen mit erhöhtem Risiko für schädliche Nebenwirkungen, etwa nierengeschädigte Personen, Menschen mit Veranlagung für Harn- oder Nierensteine sowie Personen mit Störung der Verwertung von Nahrungseisen (15).
Grundsätzlich bieten viele Nahrungsergänzungsmittel bei gesunden Menschen ohne Nährstoffmangel keinen Nutzen. „Lediglich für bestimmte Personengruppen (z.B. Frauen mit Kinderwunsch, Schwangere, Hochleistungssportlerinnen und Hochleistungssportlern, Personen mit sehr einseitigen Ernährungsgewohnheiten, Veganerinnen und Veganern) kann der vorübergehende Verzehr von Nahrungsergänzungsmitteln sinnvoll sein“, steht etwa auf der Webseite der AGES. Bei einer Überprüfung von durchschnittlich 450 Proben jährlich seien in den letzten Jahren ein Drittel der Nahrungsergänzungsmittel aufgrund von „Kennzeichnungsmängel wie inkorrekten Angaben oder nicht zugelassenen gesundheitsbezogenen Aussagen“ beanstandet worden (16). Medizin Transparent schreibt, dass manche antioxidative Substanzen sogar die Lebenserwartung verkürzen könnten (17).
In Österreich existieren Empfehlungen zu Mengen von Vitaminen und Mineralien in Nahrungsergänzungsmitteln vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen aus dem Jahr 2016 (18). Zudem hat die European Food Safety Authority (EFSA) tolerierbare tägliche Aufnahmemengen für Vitamine und Mineralien festgelegt (19). Für Vitamin D liegt demnach die tägliche tolerierbare Höchstmenge bei 100 Mikrogramm für Erwachsene und Kinder ab 11 Jahren. Allerdings ist damit der Gesamtbezug von Vitamin D aus allen Quellen gemeint, also auch über Sonnenstrahlen oder Nahrung (20).
Links
(1) Nachricht auf Telegram: http://go.apa.at/a22KSRjV (archiviert: https://perma.cc/Q564-DKKX)
(2) Facebook-Posting: http://go.apa.at/QhbNOdMz (archiviert: http://go.apa.at/HIOzrpyh)
(3) Artikel der deutschen Verbraucherzentrale: http://go.apa.at/Ho5wIbCD (archiviert: http://go.apa.at/hUa2BHhy)
(4) EU-Richtlinie zu Angleichung der Rechtsvorschriften über Nahrungsergänzungsmittel: http://go.apa.at/GMtW0uEC
(archiviert: http://go.apa.at/OsW6Zj6U)
(5) Pressemitteilung des BMEL: http://go.apa.at/Zc0ROmLK (archiviert: http://go.apa.at/weVLVpKa)
(6) Artikel von The Parliament: http://go.apa.at/sNqBCB42 (archiviert: https://archive.is/F9GMr)
(7) Initiative der EU-Kommission: http://go.apa.at/cAuMlKDV (archiviert: http://go.apa.at/9ntiypnB)
(8) Gesundheit.gv.at zu Vitamin D: http://go.apa.at/vW8RAe9L (archiviert: https://archive.is/3yROV)
(9) Vitamin D-Überdosierung auf netdoktor.at: http://go.apa.at/rHfj1YZW (archiviert: https://archive.is/t1qzU)
(10) Medienbericht über Vitamin D-Überdosis: http://go.apa.at/Kye6mGvZ (archiviert: https://archive.is/FIPsj)
(11) Medienartikel über Überdosierung: http://go.apa.at/U2wgaftR (archiviert: http://go.apa.at/oktBIVnb)
(12) Bekanntgabe der deutschen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: http://go.apa.at/nLyR9vNn
(archiviert: https://perma.cc/ECM2-LB9L)
(13) OTS-Aussendung der ÖGKM: http://go.apa.at/IbRpwNTZ (archiviert: http://go.apa.at/SrZnm9K5)
(14) AGES-Homepage: http://go.apa.at/DMCu80nP (archiviert: http://go.apa.at/wtVsYpKh)
(15) Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten: http://go.apa.at/nb4kRAYW (archiviert: https://perma.cc/FY6Q-2Z96)
(16) Deutsche Gesellschaft für Ernährung: http://go.apa.at/OprE4Cej (archiviert: http://go.apa.at/oVENpMKB)
(17) Medizin Transparent: http://go.apa.at/WDhXT7Ts (archiviert: http://go.apa.at/q5VER6mS)
(18) BMGF-Empfehlungen: http://go.apa.at/vUhq44EX (archiviert: https://perma.cc/GB8M-Y43E)
(19) EFSA über Höchstmengen Vitamine und Mineralien: http://go.apa.at/8hnaEQaw
(archiviert: https://perma.cc/ANR8-TL42)
(20) Stellungnahme vom Deutschen Bund für Risikobewertung: http://go.apa.at/zXX712ko
(archiviert: https://perma.cc/G54L-RM24)
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Florian Schmidt / Valerie Schmid