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blog / Freitag 07.02.25

APA Check Avatar Ursache des Flugzeugunglücks in Washington unklar

APA/AFP

Das Flugzeugunglück mit 67 Toten vergangene Woche in Washington (1) hat auf der ganzen Welt für Aufsehen gesorgt. Ein derartiges Ereignis zieht nicht nur schnell Verschwörungstheorien nach sich, sondern wird in der heutigen Zeit auch rasch zum Politikum. In sozialen Medien kursieren bereits Postings mit großer Reichweite, die den Vorfall in die Nähe von Terrorismus rücken und die Schuld bei einer Pilotin sehen (2,3).

Einschätzung: Es gibt noch keine konkreten Erklärungen oder offizielle Statements zur Ursache des Unglücks. Ein absichtlich herbeigeführter Crash ist zwar noch nicht gänzlich auszuschließen, viele Hinweise deuten aber darauf hin, dass mehrere unglückliche Faktoren zu der Katastrophe beigetragen haben.

Überprüfung: Am Abend des 29. Februars amerikanischer Ortszeit stieß eine Passagiermaschine mit 64 Insassen mit einem Militärhubschrauber zusammen. Die Fluggeräte fielen mitsamt allen Menschen darin in den Potomac River nahe des Ronald Reagan Washington National Airports. Es wird davon ausgegangen, dass es keine Überlebenden gibt (4).

Vorfall politisch instrumentalisiert

Hochrangige US-Politiker wie Präsident Donald Trump oder Verteidigungsminister Pete Hegseth verwiesen recht schnell auf einen Fehler des Helikopters-Teams als mögliche Ursache (1). Trump nutzte den Vorfall aber auch für seine politischen Motive, da er sogenannte DEI-Politik, eine Abkürzung für Diversity, Equity, Integration (also sämtliche Maßnahmen für Vielfalt, Gleichstellung und Integration), ohne jegliche Belege mit dem Vorfall in Verbindung brachte (5).

Die Argumentation mehrerer republikanischer US-Politiker lautet, dass Gleichstellungspolitik verhindert, dass sich die Bestgeeigneten durchsetzen. Trump geht derzeit vehement gegen DEI-Programme vor (6).

Identität zuerst zurückgehalten

Geraune in sozialen Medien, das in diese Richtung erfolgte, wurde dadurch befeuert, dass das US-Militär den Namen der dritten Person im Helikopter vorerst nicht veröffentlichte. Tatsächlich wurde erst einige Tage später bekannt, dass es sich um eine 28-jährige Pilotin handelte (7). Auf Wunsch der Familie des Opfers war ihr Name zuerst nicht genannt worden (8).

Zuerst ist schon kurz nach dem Absturz eine Transgender-Pilotin im Visier von Falschbehauptungen gestanden. Diese musste dann sogar in einem Video aufklären, dass sie am Leben sei und den Helikopter nicht gesteuert habe (9).

Unklar, wer den Helikopter steuerte

Die tatsächliche Pilotin absolvierte zu dem Zeitpunkt eine jährliche Leistungsbeurteilung gemeinsam mit zwei anderen Soldaten, darunter ein ausgebildeter Fluglehrer. Sie verfügte bereits über 450 Stunden Flugerfahrung, während der Fluglehrer über 1.000 Stunden gesammelt hatte. Wer von den beiden zu dem Zeitpunkt am Steuer des Black Hawks gesessen war, ist noch Gegenstand von Ermittlungen (7).

Dennoch reichten diese spärlichen Infos aus, damit in den sozialen Medien weitreichende Spekulationen geteilt werden. Auch im österreichischen Raum verbreiten sich haltlose Behauptungen, die die Pilotin als „Terroristin“ bezeichnen und davon sprechen, dass sie den Helikopter „absichtlich“ in das Flugzeug geflogen hat (2,3). Dafür gibt es zum derzeitigen Standpunkt aber keinerlei Hinweise oder offizielle Statements. Es sind auch keine Medienberichte über US-Beamte auffindbar, die von Terrorismus sprechen oder es für eine legitime Theorie halten (10,11).

Fluglotse übernahm zwei Jobs

Wahrscheinlich ist derzeit eher, dass es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt hat. Die New York Times recherchierte umfassend zu dem Vorfall und versuchte, den Ablauf des Unglücks zu rekonstruieren (12,13). Sie kommt zu dem Schluss, dass dem tragischen Unglück verschiedene Missstände zugrunde gelegen sein könnten.

Die Zeitung berichtet etwa, dass die Personalbesetzung im Tower am Flughafen nicht regulär gewesen sei. So hätte eine Person die Jobs von normalerweise zwei eingesetzten Tower-Fluglotsen übernommen und sei dadurch sowohl für den Funkverkehr mit Helikoptern als auch mit Flugzeugen zuständig gewesen. Generell sei die Personaldecke in dem Kontrollturm seit längerer Zeit bedenklich niedrig, nämlich nur bei zwei Dritteln der gesetzten Ziele. Dadurch müssten viele Fluglotsen bis zu sechs Tage die Woche und zehn Stunden pro Tag arbeiten (14).

Flugschreiber-Daten und Nachtsichtgeräte

Ein möglicher Faktor in dem Unglück könnten auch von der Anzeige im Tower abweichende Daten des Flugschreibers gewesen sein. Die Daten sollen sich noch bis kurz vor dem Zusammenprall unterschieden haben, derzeit wird dazu ermittelt (15).

Nachtsichtgeräte werden ebenfalls als möglicher Mitgrund angeführt. Laut ehemaligen Piloten schränken diese das Sichtfeld in beide Richtungen auf einen Winkel von etwa 40 Grad ein (16). Auch hier wird noch ermittelt, ob die Besatzung die Geräte trug.

Zahlreiche Ungereimtheiten

Weiterhin gibt es aber zahlreiche noch nicht geklärte Aspekte an dem Vorfall. So ist etwa nicht klar, warum der Helikopter der Aufforderung, erst hinter dem einkommenden Flugzeug den Landekorridor des Flughafens zu kreuzen, nicht nachkam. Es wird spekuliert, dass das Team eventuell zwei landende Flugzeuge miteinander verwechselte (17).

Außergewöhnlich ist auch, dass das militärische Fluggerät vermutlich deutlich über der erlaubten Maximalhöhe für Helikopter geflogen ist. Offizielle Vertreter des Militärs mahnen allerdings vor vorzeitigen Spekulationen. Es gäbe zahlreiche Erklärungen für das Abweichen der Flughöhe, etwa Vogelschwärme oder andere Hindernisse (18).

Vorsicht vor Interpretationen

Insgesamt gibt es also noch viel Unklarheit um die Ursache der ungewöhnlichen und folgenschweren Kollision. Ein initiierter Zusammenstoß ist nicht auszuschließen, allerdings lassen sich hier derzeit keine Hinweise auf mögliche Motive finden. Ein katastrophales Zusammenkommen mehrerer unglücklicher Aspekte ist mindestens ebenso wahrscheinlich.

Dass auf derart bedeutende Ereignisse schnell auch allerlei Gerüchte und Scheinerklärungen ohne Faktenbasis folgen, ist gerade in sozialen Medien Normalität. In der Psychologie gibt es für dieses Phänomen eine eigene Bezeichnung, den Proportionality Bias (19). Dieser besagt, dass in der Vorstellung einiger Menschen signifikante Geschehnisse auch bedeutende Ursachen haben müssen und nicht „einfach so“ entstehen können. Dadurch wirkt eine Erklärung durch das Herbeirufen eines Terroranschlags oder einer großen Verschwörung (20) attraktiver als das Analysieren von kleineren Aspekten, die möglicherweise das Geschehene sogar rationaler erklären würden.

Links

(1) ORF-Bericht: https://go.apa.at/oI6bxuHq (archiviert: https://archive.is/FXKus)

(2) Behauptung auf Facebook: https://go.apa.at/iKdWHMcB (archiviert: https://go.apa.at/n6VWURoN)

(3) Behauptung auf Facebook: https://go.apa.at/PYMEh6AR (archiviert: https://go.apa.at/swuUYiEP)

(4) Focus-Bericht über Unglück: https://go.apa.at/tnZqJH2A (archiviert: https://perma.cc/CS2M-U4C6)

(5) Guardian-Bericht: https://go.apa.at/eY3sRJQI (archiviert: https://archive.is/JvaVq)

(6) Tagesschau-Bericht: https://go.apa.at/IItqOeG9 (archiviert: https://perma.cc/C6T4-KKUE)

(7) The Times-Bericht: https://go.apa.at/zwnlQ9VH (archiviert: https://go.apa.at/jd0yeU8K)

(8) Statement der US-Army: https://go.apa.at/7m3PZ8JM (archiviert: https://perma.cc/F6SU-VL4S)

(9) NBC über falsche Beschuldigungen: https://go.apa.at/6F6aaCob (archiviert: https://archive.is/iT8mO)

(10) Google-Suche nach Terrorismus in Artikeln: https://go.apa.at/8wWfHnTi (archiviert: https://go.apa.at/hUdMpNlF)

(11) Google Suche nach Terrorismus auf gov.us: https://go.apa.at/AQbNz3cd (archiviert: https://go.apa.at/PiJrjMRr)

(12) NYT-Bericht: https://go.apa.at/PC6tQ4ab (archiviert: https://go.apa.at/CRjvpHXc)

(13): NYT-Rekonstruktion des Unglücks als Video (nur Live-Link): https://go.apa.at/MjgSXJFr

(14) NYT-Bericht: https://go.apa.at/yXwSx4eA (archiviert: https://archive.is/2cqCO)

(15) Bericht in Frankfurter Rundschau: https://go.apa.at/7IBcei0e (archiviert: https://archive.is/7EhUf)

(16) Wric-Bericht zu Nachtsichtgeräten: https://go.apa.at/ngBXfxMW (archiviert: https://archive.is/oeviF)

(17) FAZ über Flugzeuge: https://go.apa.at/D8KXpfOC (archiviert: https://archive.is/2CZAB)

(18) Dailymail über den Vorfall: https://go.apa.at/E0OkPOmQ (archiviert: https://go.apa.at/XPP7OlPN)

(19) Newristics über Proportionality Bias: https://go.apa.at/LUj5XGG1 (archiviert: https://archive.is/8hQ3U)

(20) Psychology Today über Proportionality Bias: https://go.apa.at/7wcr4efH (archiviert: https://archive.is/gVSdO)

(21) Neueste Analyse der New York Times: https://go.apa.at/wpnikCgY

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Florian Schmidt / Gisela Linschinger