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blog / Freitag 09.09.22

APA Check Avatar Ärzteblatt-Artikel aus dem Kontext gerissen

APA/Symbolbild

Seit der Coronavirus-Pandemie ist die Menschheit noch sensibler geworden, was Krankheiten sowie Heilmittel betrifft. Einige Kritiker unterstellen Pharmakonzernen, für Gewinne mit der Gesundheit der Menschen zu spielen oder Gesundheit zumindest aus Profitgier nicht als Ziel zu erklären. Derzeit wird dazu erneut ein alter Artikel aus dem „Deutschen Ärzteblatt“ geteilt (1), der diesen perfiden Plan beweisen soll.

Einschätzung: Der abgebildete Artikel ist echt. Dennoch wurden die Aussagen aus dem Kontext gerissen.

Überprüfung: Der geteilte Screenshot verweist auf gelb markierte Textzeilen. Diese lauten: „Der Wettbewerb zwingt zur Erschließung neuer Märkte. Das Ziel muss die Umwandlung aller Gesunden in Kranke sein, also in Menschen, die sich möglichst lebenslang sowohl chemisch-physikalisch als auch psychisch für von Experten therapeutisch, rehabilitativ und präventiv manipulierungsbedürftig halten, um ‚gesund leben‘ zu können.“

Den Artikel gibt es tatsächlich (2). Allerdings wird darin kein Plan beschrieben, wie man Menschen krank halten könne, um an deren Genesung zu profitieren. Im Gegenteil handelt es sich um eine Analyse des Begriffs Gesundheit und der Gefahren, die durch ein falsches Verständnis des Begriffs lauern könnten.

Der Autor des Textes ist Klaus Dörner, ein mittlerweile 88-jähriger deutscher Psychiater (3). In dem 2002 erschienenen Text argumentiert er, dass Gesundheit ein relativer Begriff sei und Menschen zu oft eingeredet werde, dass sie nicht gesund seien. „Gesundheit gibt es nur als Zustand, in dem der Mensch vergisst, dass er gesund ist“, schreibt Dörner. So könne es auch zu dem Paradoxon kommen, dass man sich umso weniger gesund fühle, je mehr man für seine Gesundheit tue.

Dörner spricht vor allem von die Psyche betreffenden gesundheitsverschlechternden Konsequenzen, zum Beispiel einer „Überaufmerksamkeit“ auf das eigene Selbst und den eigenen gesundheitlichen Zustand. Er warnt vor einem falschen Verständnis von Gesundheit, wodurch Menschen denken könnten, Gesundheit sei etwas, das man sich aneignen, rational planen oder herstellen kann. Auch gesamtgesellschaftliche Gefahren sieht er dadurch entstehen.

Der Autor listet im Folgenden mehrere mögliche Einflussfaktoren seiner Zeit auf, die auf diese Entwicklung einwirken könnten. Dabei spricht er bei einem von zwölf Punkten auch den wirtschaftlichen Wettbewerb an, der zur Erschließung neuer Märkte zwingt. Dessen – rein wirtschaftliches – Ziel kann demnach nur lauten, Menschen permanent einzureden, dass sie von einem gesundheitlichen Optimalzustand entfernt sind, diesen aber über Behandlung erreichen könnten.

Im Artikel spricht Dörner hauptsächlich von psychischen Krankheiten bzw. Problemen. Von einer Viruserkrankung ist nie die Rede, weshalb es aus dem Kontext gerissen ist, das Zitat in Verbindung mit der Corona-Pandemie zu bringen. Für die kritische Ansicht, dass Pharmakonzerne Menschen angeblich gar nicht heilen wollten, ist dieser Text kein Beleg.

Der Screenshot geistert schon seit Jahren durchs Netz und war insbesondere nach Beginn der Pandemie im Jahr 2020 Thema in sozialen Netzwerken. Die Faktenchecker von Mimikama haben bereits damals darauf hingewiesen und sind ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass der Text aus dem Kontext gerissen worden ist (4).

Links:
(1) Beitrag auf Facebook: http://go.apa.at/nWw5aJv7 (archiviert: https://archive.ph/TIJf4)
(2) Artikel im „Deutschen Ärzteblatt“: http://go.apa.at/GWP7xNff (archiviert: https://archive.ph/qTSSr)
(3) Artikel über Klaus Dörner: http://go.apa.at/tOKhhJ01 (archiviert: https://archive.ph/pmt3z)
(4) Faktencheck von Mimikama: http://go.apa.at/NJy1GEpy (archiviert: https://archive.ph/bg15q)

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Florian Schmidt / Stefan Rathmanner