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blog / Freitag 14.10.22

APA Check Avatar Verwendung von Antigen-Schnelltests ist unbedenklich

APA/AFP/Symbolbild

Die Gruppierung „Wir-EMUs“, die sich selbst als Unternehmer-Plattform mit über 1.000 Mitgliedern „für eine gemeinschaftliche Haltung in der Gesellschaft“ bezeichnet, sorgte kürzlich für Aufsehen. In einer Pressekonferenz präsentierte sie Laborergebnisse ISO-genormter Tests, laut denen zwei Inhaltsstoffe der Pufferlösung in Antigen-Schnelltests hochgiftig sein sollen (1).
Zudem stellte sie in den Raum, dass die Tests durch ein gesetzliches Prüf-Verbot der Bundesregierung vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) nicht ausreichend geprüft worden wären.

Einschätzung: Die beiden toxischen Substanzen Natriumazid und Triton X-100 kommen in der Pufferlösung zwar vor, sind aber in so geringer Menge vorhanden, dass das Hantieren mit ihnen laut Experten und zuständigen Prüfstellen unbedenklich ist. In Beipackzetteln der Tests für Heimanwender müssen sie nicht speziell ausgewiesen werden. Die Testanordnung von „Wir-EMUs“ basierte laut BASG auf teils unzulässigen ISO-Normen für diese Art von Produkten. Das BASG arbeitet in enger Abstimmung mit anderen Prüfbehörden im Europäischen Wirtschaftsraum zusammen, die die Pufferlösungen laufend überprüfen, weshalb eine eigene Überprüfung ausgeblieben ist.

Überprüfung:

Toxische Bestandteile
„Alle auf dem Markt verfügbaren Corona-Schnelltests enthalten chemische Stoffe. Anders wäre ein solcher Test gar nicht möglich. Sie sind notwendig, um zu einem verlässlichen Ergebnis zu kommen“, erklärt das BASG gegenüber APA-Faktencheck in einer schriftlichen Anfragebeantwortung. Das BASG ist eine dem Gesundheitsministerium nachgeordnete Behörde, die mit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) organisatorisch eng verbunden ist.

In der Pufferlösung von Antigen-Schnelltests befinden sich unter vielen anderen Substanzen auch die beiden Komponenten Natriumazid (2) und Octoxinol 9 (3), das auch unter seinem Handelsnamen Triton X-100 bekannt ist. Beide sind als toxisch klassifiziert. Bei einer zweckmäßigen Verwendung kommt die Pufferlösung allerdings nicht in Kontakt mit dem Menschen, sondern dient nur dazu, die durch ein langes Stäbchen entnommene Probe aus dem Rachen für den Teststreifen vorzubereiten.

Natriumazid, das Natriumsalz der Stickstoffwasserstoffsäure, kann laut Uni Münster (4) bereits in kleinen Mengen Hautreizungen verursachen, fünf bis zehn Milligramm reichen aus, um den Sehnerv zu lähmen oder Ohnmacht hervorzurufen. Laut einem Infoblatt der Deutschen Gesetzlichen Unfallsversicherung DGUV (5) soll es als Konservierungsmittel in der Pufferlösung „verhindern, dass die Pufferlösung vor der Nutzung durch Mikroorganismen oder Viren kontaminiert wird.“ In der Pufferlösung betrage sein Anteil lediglich maximal 0,1 Prozent – das sind pro Röhrchen 0,35 mg Natriumazid. Damit läge der Wert weit unter der oben erwähnten Menge und auch weit entfernt von den 0,65 bis 3,9 mg, die früher in therapeutischen Anwendungen zur Anwendung gekommen seien und keine gesundheitlichen Schäden hervorgerufen hätten.

Triton X-100 ist ein nichtionisches Tensid (6). Es wird in der Pufferlösung als Lösungsmittel verwendet, das die Viren in der Probe inaktiviert und die Zellen aufschließt, um das Virus-spezifische Protein herauszulösen. Das Tensid kann schwere Augenschäden verursachen und ist vor allem im unverdünnten Zustand gefährlich. Es ist in der Pufferlösung allerdings nur in einer sehr geringen Konzentration von maximal 2,5 Prozent vorhanden.

Kennzeichnung und Prüfung
Dass die beiden Stoffe in den Beipackzetteln der Schnelltests nicht erwähnt werden, erklärt das BASG folgendermaßen: „Die Notwendigkeit der Kennzeichnung von Stoffen, welche als gefährlich betrachtet werden können, hängt von der Art des Stoffes, der Menge und dessen Konzentration in der Pufferlösung ab. Sofern dieser unterhalb definierter Grenzen liegt, sind keine Angaben in der Kennzeichnung erforderlich.“

Viele Produkte, die in der EU verkauft werden, benötigen eine CE-Kennzeichnung (7). Das gilt laut BASG auch für sogenannte Wohnzimmertests. Verfügt ein Produkt über eine vierstellige Nummer hinter dem CE-Zeichen, handelt es sich demnach „um ein Produkt für die Laienanwendung“. Daraus könne man ableiten, dass eine „unabhängige Prüfstelle im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens involviert war“.

Alle vier von der Plattform „Wir-EMUs“ überprüften Testkits tragen laut deren Website (8) eine solche Nummer. Drei der vier Tests verfügen über die Identifikationsnummer „CE 0123“, die laut TÜV SÜD (9) garantiert, dass „alle produktspezifisch geltenden EU-Richtlinien hinsichtlich Sicherheit und Funktionalität des Produkts eingehalten“ wurden. Das Zertifikat der Konformitätserklärung für den vierten Test der Untersuchung (CE 1434) ist online abrufbar (10).

Kritik an Testung
Das BASG bemängelt die Behauptungen über eine angebliche Gefährlichkeit der Antigen-Schnelltests: Da die Pufferlösung bei Wohnzimmertests stets in einem separaten Behältnis abgefüllt ist, sei „gemäß der Zweckbestimmung kein Kontakt zwischen dem Anwender und der Pufferlösung vorgesehen“. Dies bringe bei konformer Anwendung keinerlei Gefahr mit sich.

Laut Angaben auf der Website zu den Tests wurden die von „Wir-EMUs“ publizierten Prüfungen etwa anhand der Norm EN ISO 10993 vorgenommen. „Diese Norm befasst sich mit der Biokompatibilität von Medizinprodukten, bei denen ein Kontakt zwischen dem Produkt und dem Körper im Sinne der Zweckbestimmung vorgesehen ist“, so das BASG. Dies treffe auf die untersuchten Produkte nicht zu. „Es wurden die rechtlichen Spielregeln zur Prüfung der Rechtskonformität für diese Art der Produkte nicht eingehalten, da eine falsche Norm verwendet wurde“, kritisiert das BASG.

Labor weiß nichts von Tests
„Wir-EMUs“ gibt auf seiner Website an, „eines der größten Fachlabors Österreichs, einen Partner der AGES“ mit der Analyse der eingereichten Stoffe beauftragt zu haben. Auf Nachfrage von APA-Faktencheck nannte „Wir-EMUs“ als durchführendes Labor das Österreichische Forschungsinstitut für Chemie & Technik (OFI). Diese akkreditierte Prüfstelle für Medizin- und andere Produkte erklärte jedoch, dass sie „weder im Auftrag von EMU, noch eines anderen Kunden, eine Substanzanalyse von bei Antigentests eingesetzten Flüssigkeiten durchgeführt hat“.

Weitere Nachfragen blieben seitens „Wir-EMUs“ unbeantwortet. Ein Notariatsakt (11) soll zumindest eine Übergabe an das Labor bestätigen, in welcher Form blieb bis zuletzt unklar. Die unabhängige Überprüfung soll nach Angaben der Gruppe erst mittels eines „Tricks“ möglich geworden sein. Originalflüssigkeiten aus den Tests seien „durch einen zertifizierten Fachmann (Doktor der Biochemie und Molekularen Genetik) in neutrale Gefäße umgefüllt“ worden.

Als einen weiteren Beweis für die Schädlichkeit von Antigen-Tests neben den eigens beauftragten Labortests führt „Wir-EMUs“ eine Ausarbeitung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) vom 24.2. an. Zwar wird dort auch auf die toxischen Bestandteile verwiesen, insgesamt wird jedoch mit Hinweis auf das geringe Vorkommen der Substanzen beschwichtigt. Eine Sprecherin der DGUV distanzierte sich auf APA-Anfrage von der Behauptung, dass Antigentests für die Nutzer eine Gefahr darstellen: „Unsere Stellungnahme informiert über die Inhaltsstoffe von Antigen-Schnelltests und stellt zusammenfassend fest, dass bei bestimmungsgemäßem Gebrauch dieser Tests keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten ist.“

Prüfung durch das BASG
Dem BASG warfen „Wir-EMUs“ im Rahmen der Pressekonferenz vor, Antigen-Schnelltests bis heute nicht geprüft zu haben. Mehr noch: „Der BASG wurde zwar zwischenzeitlich von der Regierung per Gesetz verboten, die Tests zu untersuchen. Dieses Gesetz ist bereits ausgelaufen, geprüft wurde seither dennoch nicht.“

Das BASG sagt dazu, dass „aufgrund der Prüfaktivität einer Behörde des EWR und deren Ergebnis“ keine parallele Überprüfung der gleichen Produkte in Österreich nötig war. „Gemäß den dem BASG vorliegenden Informationen waren von dieser Evaluierung über 100 Antigentests unterschiedlicher Hersteller erfasst“, darunter auch Produkte der auf der Website von „Wir-EMUs“ genannten Hersteller.

Trotzdem prüft das BASG weiterhin stichprobenartig, „ob deklarationspflichtige Substanzen in der Pufferlösung vorkommen und ob dem Hersteller schwerwiegende Vorkommnisse aufgrund der Pufferlösung bekannt sind.“ Bis dato bestand keine Deklarationspflicht bei den verwendeten Substanzen, zudem lagen keine schwerwiegenden Vorkommnisse vor.

„Die betroffenen Schnelltests zur Eigenanwendung unterlagen immer der Marktüberwachung für Medizinprodukte gemäß § 75 MPG. Wären also gesundheitlichen Risiken für den Anwender solcher Produkte zu einem späteren Zeitpunkt erkannt worden, wären seitens des BASG Maßnahmen getroffen worden“, stellt das Bundesamt klar (12).

Kennzeichnung der Flüssigkeiten
Ein weiterer Vorwurf von „Wir-EMUs“ ist jener der unzureichenden Kennzeichnung und Auskunft zur Zusammensetzung der verwendeten Flüssigkeiten. „Die Verpflichtung zur Übermittlung von Sicherheitsdatenblättern ergibt sich aus der REACH-Verordnung der EU (13, Anm.) sowie dem Chemikaliengesetz“, heißt es etwa in der Presseaussendung.

Ein Sicherheitsdatenblatt (14) zu kritischen Bestandteilen – etwa einer Pufferlösung – müssen Hersteller laut einem Artikel der Deutschen Apotheker Zeitung (15) nur Händlern und professionellen Anwendern zur Verfügung stellen. Dies lässt sich auch im Gesetzestext selbst nachlesen. In der REACH-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 lautet es in Artikel 31(4): „Sofern dies nicht von einem nachgeschalteten Anwender oder Händler verlangt wird, braucht das Sicherheitsdatenblatt nicht zur Verfügung gestellt zu werden, wenn gefährliche Stoffe oder Zubereitungen, die der breiten Öffentlichkeit angeboten oder verkauft werden, mit ausreichenden Informationen versehen sind, die es dem Anwender ermöglichen, die erforderlichen Maßnahmen für den Schutz der menschlichen Gesundheit, für die Sicherheit und für die Umwelt zu ergreifen“.

Das Schweizer Pharmaunternehmen Roche bestätigte dies auf APA-Anfrage. Die Hinweise in Beipackzetteln beträfen primär die professionelle Anwendung mit solchen Substanzen in hoher Konzentration. Eine REACH-konforme Auflistung läge bei Antigen-Schnelltests im Sicherheitsdatenblatt für nachgeschaltete Anwender (z.B. professionelle Nutzer) vor. Die Informationspflicht für Anwender sehe man durch die beiliegende Produktinformation gewährleistet. Gesundheitliche Schäden seien selbst bei Nichtbeachtung der Gebrauchsanweisung durch die geringe Konzentration der Stoffe in der Pufferlösung sehr unwahrscheinlich.

Dennoch empfiehlt der Hersteller die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nur unter Aufsicht eines Erwachsenen. Das BASG schreibt dazu, dies solle „die ordnungsgemäße Probenentnahme und -analyse garantieren.“ Gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, dass „die Umsetzung dieser Aspekte im Schulsetting“ durch das BASG nicht beurteilt werden könne.

Ergänzung 25. Oktober 2022, 17.00 Uhr: Das Notariat bestätigte nach der Veröffentlichung des Textes die Umfüllung der Proben außerhalb des Labors und die Abgabe der Proben im Labor. Details dazu blieben jedoch weiterhin unklar.

Links
(1) OTS-Aussendung „Wir-EMUs“: http://go.apa.at/HiIMwXw9 (archiviert: https://perma.cc/XLK9-VEMT)
(2) Informationen zu Natriumazid: http://go.apa.at/MHVIIAPr (archiviert: https://perma.cc/5MBC-PFT4)
(3) Informationen zu Octoxinol-9: http://go.apa.at/m76RMuJS (archiviert: https://archive.ph/pTxOd)
(4) Uni Münster zu Natriumazid: http://go.apa.at/4nmhCCgZ (archiviert: https://perma.cc/BC3W-9XJB)
(5) Infoblatt der DGUV: http://go.apa.at/Mrkj7vyp (archiviert: https://perma.cc/JG7L-BW8S)
(6) Gefahreneinstufung Octoxinol-9: http://go.apa.at/chd28PfG (archiviert: https://perma.cc/C7GT-HFU5)
(7) Informationen zur CE-Kennzeichnung: http://go.apa.at/owSEyLfc (archiviert: https://archive.ph/Nn1fZ)
(8) Webseite zu den Testungen: http://go.apa.at/HmsBRLch (archiviert: https://perma.cc/B9P7-VG9Y)
(9) TÜV SÜD: http://go.apa.at/dMI8GADj (archiviert: https://archive.ph/bFXAi)
(10) Zertifikat Konformitätserklärung: http://go.apa.at/yNJ8VT9D (archiviert: https://perma.cc/UHE9-F2V9)
(11) Webseite zu den Testungen: http://go.apa.at/APZznSVo (archiviert: https://perma.cc/KPY9-58D8)
(12) Medizinproduktgesetz: http://go.apa.at/vZfnV4Q4 (archiviert: https://perma.cc/5C3S-N9M8)
(13) REACH-Verordnung: http://go.apa.at/fLFtqgYD (archiviert: https://perma.cc/NF7R-3V5T)
(14) Sicherheitsdatenblatt Roche: http://go.apa.at/HcOkNLBv (archiviert: https://perma.cc/W2NX-H2MZ)
(15) Deutsche Apotheker Zeitung: http://go.apa.at/0IsxClIm (archiviert: https://perma.cc/CD3D-YXXN)
Webseite zu den Testungen: http://go.apa.at/lxXbMfN4 (archiviert: https://perma.cc/4C69-W5WA)

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Stefan Rathmanner / Florian Schmidt