Über einen Online-Artikel (1), der in den sozialen Medien Aufsehen erregt, macht ein angeblicher Gesetzesentwurf zum Verbot von Konversionstherapien aktuell die Runde. Laut dem Bericht sollen sich Eltern künftig durch das bloße Hinterfragen der Geschlechtsidentität des eigenen Kindes strafbar machen. In einem weiteren Beitrag behauptet eine Ärztin (2), dass auch Ärzte bei Behandlungen Probleme bekommen könnten. Doch Juristen halten diese Sorgen größtenteils für unbegründet.
Einschätzung
Bei den kursierenden Textpassagen handelt es sich um ein in der Diskussion befindliches Papier aus laufenden Gesprächen zwischen SPÖ und NEOS, keinen fertigen Entwurf. Alle von der APA befragten Juristen gehen davon aus, dass das bloße Hinterfragen der Geschlechtsidentität der Kinder durch die Eltern unter die Meinungsfreiheit fällt. Größtenteils rechnen die Juristen nicht damit, dass durch die vorliegenden Formulierungen wissenschaftlich anerkannte Behandlungen zu Strafen führen könnten. Dennoch wollen einzelne Juristen nicht ausschließen, dass durch die unpräzisen Formulierungen juristische Konsequenzen möglich sein könnten.
Überprüfung
Basierend auf einem Videobeitrag von ServusTV veröffentlichte das Online-Medium „Exxpress“ einen Artikel (1) zu einem angeblichen Gesetzesentwurf von SPÖ und NEOS. Den Entwurf hätten die beiden Regierungsparteien demnach „noch im Juni durchboxen wollen“.
Aufgrund dieser bestehenden Textpassagen wurden Ängste geäußert, dass in Zukunft das bloße Hinterfragen der Geschlechtsidentität des eigenen Kindes strafbar werden könnte. Eine Psychiaterin äußert im Servus TV-Beitrag (2) ihre Sorge, dass Eltern mit dem Gesetz kriminalisiert werden würden. Alle Ärzte und Therapeuten, die Kinder mit dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung „anders“ behandeln wollen, würden sich künftig strafbar machen.
Laut Parteien kein fertiger Entwurf
Auf der Webseite des österreichischen Parlaments (3) findet sich kein Gesetzesentwurf der SPÖ und Neos. Die Grünen hingegen brachten am 22. Mai 2025 einen Gesetzesantrag im Parlament (4) ein. Dieser unterscheidet sich vom Verhandlungsdokument nur in einzelnen Formulierungen, ist aber grundsätzlich strenger angesetzt. So werden Konversionsmaßnahmen im Grünen Gesetzesentwurf als „jegliche Art der Interventionen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung, der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität oder des Geschlechtsausdrucks gerichtet ist“, definiert. Im SPÖ/NEOS-Dokument werden sie jedoch als „jede Art der zielgerichteten und systematischen Intervention an einer anderen Person, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder einer Inkongruenz zwischen empfundenem und zugewiesenem Geschlecht (unabhängig von einer diagnostischen Abklärung) gerichtet ist“ bezeichnet (5).
SPÖ und Neos dementieren auf APA-Anfrage, dass es sich bei dem im Servus TV eingeblendeten und viral geteilten Dokument um einen offiziellen Gesetzesentwurf handelt. Mario Lindner, Gleichbehandlungssprecher der SPÖ, sagt: „Der Screenshot scheint aus einem Dokument zu stammen, das aus den laufenden Gesprächen zur Umsetzung der entsprechenden Zielsetzung aus dem Regierungsprogramm stammt.“ Jedoch gebe es noch „keinen fertigen Entwurf“.
Parteien beschwichtigen Strafbarkeit
Lindner merkt in Bezug auf den Exxpress-Beitrag an, dass der Kontext, in den dieses Thema durch den Artikel gesetzt wird, „grundlegend falsch ist“. Aktuell spreche man mit den Regierungspartnern darüber, „wie das Ziel eines gesetzlichen Schutzes vor hochgefährlichen Konversionsmaßnahmen wegen der sex. Orientierung oder einer Geschlechtsinkongruenz umgesetzt werden kann“. Die UNO vergleiche solche Praktiken nicht zu Unrecht mit Folter (6).
Die Grünen teilten auf Anfrage von APA-Faktencheck mit, dass es mit dem Gesetzesantrag nicht strafbar werde, als Elternteil für das eigene Kind eine Psychotherapie vor einer geschlechtsangleichenden OP zu vereinbaren. „Strafbar kann es für Elternteile dann sein, wenn sie ihr Kind zu nicht-wissenschaftlichen Pseudoheilern schicken mit dem Ziel, die Homosexualität oder Transidentität des Kindes zu beseitigen“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme.
Auch eine Sprecherin der Neos dementiert, dass ein Verbot von Psychotherapie und anderen medizinischen Angeboten für Personen, die sich nicht als „cis“ (7) definieren, je geplant worden sei. Das gelte ebenso für Strafen für Eltern, Ärzte oder Therapeuten, die die Transsexualität eines Jugendlichen „als vorübergehende Phase“ abtun. Anderslautende Medienberichte seien falsch.
Juristen geben Entwarnung
Generell ist es bei noch nicht ausjudizierten Fällen – gerade, wenn es noch keine gültige Rechtslage gibt – immer schwierig, eine Aussage darüber zu geben, wie Gerichte in möglichen Einzelfällen entscheiden würden. Dennoch sollen hier mögliche juristische Folgen mithilfe der Expertise von vier Juristen abgeschätzt werden, die APA-Faktencheck mit der Bitte um eine Einschätzung kontaktiert hat. Bei den Personen handelt es sich um Reinhard Resch, Universitätsprofessor für Medizin- und Sozialrecht an der JKU Linz, den Menschenrechtsanwalt Helmut Graupner, den Professor für Strafrecht an der JKU Linz Alois Birklbauer und den Professor für Medizinrecht an der Universität Wien Karl Stöger.
Einig sind sich alle Juristen darin, dass das Äußern von Kritik, Sorge oder eben das Hinterfragen der Geschlechtsidentität der Kinder durch Eltern von der Meinungsfreiheit geschützt wird. Folgen sind daher unwahrscheinlich. Professor Resch kritisiert allerdings, dass die zirkulierenden Formulierungen für eine Strafnorm „denkbar unpräzise“ seien und will daher nicht ausschließen, dass ein Strafverfahren in Gang gesetzt werden könnte. Beide Entwürfe gehen nämlich auch weiter als etwa das deutsche Gesetz (8). Dennoch verweist Resch ebenfalls darauf, dass kritische Fragen wegen des Grundrechts auf Freiheit zulässig sein müssten.
Problematischer könnte es für Eltern werden, wenn sie sehr intensiven psychischen Druck auf das Kind ausüben oder Konversionsmaßnahmen selbst durchführen bzw. Beihilfe leisten. Dies sei allerdings auch schon jetzt im gesetzlichen Rahmen von psychischer Misshandlung strafbar, sagt etwa Professor Stöger.
Risiken für Ärzte werden als unbegründet gesehen
Die Sorge um die rechtliche Basis für Behandlungen und Therapien können die Juristen nicht nachvollziehen. Medizinische oder psychotherapeutische sowie psychiatrische Maßnahmen, die sowieso nach anerkannten wissenschaftlichen Standards erfolgen müssten, seien von dem Gesetzesentwurf nicht erfasst. Konversionstherapien hingegen hätten keine wissenschaftliche Basis und würden durch das Gesetz verboten.
Ärzte machen sich daher nur bei derartigen Interventionen und zielgerichteten Maßnahmen, die etwa die Änderung oder Unterdrückung der empfundenen Geschlechtsidentität zum Ziel haben, strafbar. Auch Dr. Graupner verweist darauf, dass die UNO dies als Folter einstuft.
Unklare Herkunft
Woher das offenbar geleakte Diskussionspapier von SPÖ/Neos kommt, ist unklar. ServusTV teilte auf Anfrage der APA mit, dass ihnen der Text zugespielt worden sei. Eine Anfrage an Exxpress blieb unbeantwortet, ebenso eine Anfrage an die Psychologin im ServusTV-Beitrag.
Links
(1) Exxpress-Artikel: https://go.apa.at/CQlONi9B (archiviert: https://go.apa.at/0GwHFGqg)
(2) Servus TV-Beitrag: https://go.apa.at/c9ZJttfI (archiviert: https://go.apa.at/fj5KB4hE,
https://go.apa.at/cJ6Y4I5O)
(3) Parlamentsseite: https://go.apa.at/N61apHyJ (archiviert: https://go.apa.at/xxJeHl3g)
(4) Gesetzesentwurf der Grünen: https://go.apa.at/dw311rnV (archiviert: https://perma.cc/ZY2U-YEBZ)
(5) SPÖ/Neos-Dokument auf X: https://go.apa.at/5igNfh3x (archiviert: https://go.apa.at/uesZ9ltd)
(6) Bericht mit UNO-Standpunkt: https://go.apa.at/T3Lx2yUc (archiviert: https://go.apa.at/8FCz3WMb)
(7) Zum Begriff „cis“: https://go.apa.at/TtgW4vyo (archiviert: https://go.apa.at/CggUFZec)
(8) Deutsches Gesetz: https://go.apa.at/vvww7yEW (archiviert: https://go.apa.at/UhLDQqhW)
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Anna Wintersteller / Florian Schmidt / Stefan Rathmanner