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blog / Mittwoch 26.03.25

APA Check Avatar Ukrainische Geflüchtete bekommen Grundversorgung

APA/AFP

In den sozialen Medien (1,2,3,4) kursiert momentan erneut die Behauptung, dass Geflüchtete aus der Ukraine das österreichische Sozialsystem ausnützen würden. Eine reichweitenstarke Online-Plattform (5) berichtete ebenso darüber. Ukrainer und Ukrainerinnen würden laut den Postings einmal pro Monat nach Wien fahren, um sich die Mindestsicherung „abzuholen“ und dann von diesem Geld in der Ukraine leben. Beweis dafür sollen etliche Flixbus-Fahrten von Wien nach Kiew sein.

Einschätzung: Ukrainische Geflüchtete haben keinen Anspruch auf Mindestsicherung in Österreich, sondern erhalten lediglich die Grundversorgung sowie Familienbeihilfe. Die Höchstsätze in der Grundversorgung liegen deutlich unter der Mindestsicherung. Bei Reisen in ihr Heimatland riskieren Ukrainer und Ukrainerinnen den Verlust ihres Aufenthaltsrechts sowie den permanenten oder temporären Entzug der Grundversorgung.

Überprüfung: In Österreich haben EU- bzw. EWR-Bürger/EU- bzw. EWR-Bürgerinnen nur dann einen Anspruch auf Mindestsicherung (6), wenn sie sich als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin in Österreich aufhalten oder schon länger als fünf Jahre in Österreich wohnen. Genauso haben grundsätzlich Drittstaatsangehörige Anspruch auf Mindestsicherung, wenn sie schon mehr als fünf Jahre rechtmäßig in Österreich gelebt haben. Asylberechtigte haben ab dem Zeitpunkt, ab dem ihnen der Schutzstatus als Flüchtling zuerkannt wird, Anspruch auf Mindestsicherung. Asylwerber und Asylwerberinnen haben keinen Anspruch auf Mindestsicherung. Nichts davon trifft auf Geflüchtete aus der Ukraine zu.

Am 4. März 2022 wurde die EU-Richtlinie 2001/55/EG (7) zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen auf Geflüchtete aus der Ukraine angewandt. In Österreich regelt das vorübergehende Aufenthaltsrecht die „Vertriebenen-Verordnung“ (8) vom 11. März 2022. Ukrainische Flüchtlinge erhalten also in Österreich ein vorübergehendes Aufenthaltsrechts, das kürzlich um ein weiteres Jahr bis 4. März 2026 verlängert wurde (9). Dokumentiert wird das Aufenthaltsrecht durch einen „Ausweis für Vertriebene“.

Finanzielle Unterstützung ausschließlich über Grundversorgung und Familienbeihilfe

Durch dieses vorübergehende Aufenthaltsrecht ist es für Ukrainer und Ukrainerinnen in Österreich nicht notwendig einen Asylantrag zu stellen. Finanziell unterstützt werden ukrainische Flüchtlinge hauptsächlich über die Grundversorgung (10). Hilfs- und schutzbedürftige Fremde erhalten dadurch Leistungen, welche zur Deckung der täglichen Grundbedürfnisse sorgen. Dazu zählen unter anderem Verpflegung, Unterkunft, medizinische Versorgung und Bekleidungshilfe (11).

Das Sozialministerium reagierte auf eine Anfrage von APA-Faktencheck zu Details bisher nicht. Das Bundeskanzleramt stellte gegenüber APA-Faktencheck klar, dass ukrainische Geflüchtete neben der Grundsicherung auch Anspruch auf Familienleistungen haben. Geregelt ist das in einer Novelle des Familienlastenausgleichsgesetzes (FLAG 1967). 

Da der Lebensmittelpunkt von Vertriebenen nicht in Österreich begründet wird, kommt für die Dauer ihres Aufenthaltes laut Bundeskanzleramt eine “Fiktion des Lebensmittelpunktes” zum Tragen, durch die diese Anspruchsvoraussetzung erfüllt wird. Für solche Ukrainerinnen und Ukrainer besteht der Anspruch auf Familienbeihilfe laut Paragraph 55, Absatz 57 FLAG 1967 längstens bis 31. Oktober 2025 (18).

Mit dem „Ausweis für Vertriebene“ ist es ukrainischen Flüchtlingen möglich, innerhalb des Schengen-Raums für 90 Tage innerhalb von 180 Tagen visafrei touristisch zu reisen. Wenn sie jedoch Österreich nicht nur kurzfristig verlassen, sondern in einen anderen Staat übersiedeln, kann das Aufenthaltsrecht vorzeitig die Gültigkeit verlieren (12). Auch Reisen in ihr Heimatland sind für Ukrainer und Ukrainerinnen erlaubt, jedoch teilte das Innenministerium auf APA-Anfrage mit, dass diese Reisen meldepflichtig sind. Weiter heißt es, dass ein Anspruch auf die Grundversorgung nur bei Aufenthalt im Bundesgebiet besteht.

Mindestsicherung deutlich höher

Die Höchstsätze in der Grundversorgung liegen in allen Bundesländern deutlich unter der Mindestsicherung und sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Wien erhalten Betroffene unabhängig von der Wohnform 150 Euro pro Jahr für Bekleidung, in Form von Gutscheinen. Schüler und Schülerinnen erhalten nach Bedarf 200 Euro pro Jahr für Schulunterlagen. In einer betreuten Unterkunft wird die Verpflegung (Lebensmittel) entweder angeboten oder man bekommt 6,50 Euro pro Tag.

Zusätzlich erhält jede Person 40 Euro Taschengeld pro Monat und 10 Euro Freizeitgeld pro Monat. Bei privaten Unterkünften erhält eine Einzelperson einen Mietzuschuss von 165 Euro pro Monat und Familien einen Mietzuschuss von 330 Euro pro Monat. Für das Verpflegungsgeld ist für Erwachsene ein Betrag von 260 Euro pro Person und Monat vorgesehen, für Minderjährige ein Betrag von 145 Euro pro Person und Monat (13).

Angenommen eine ukrainische Frau wohnt allein in einer privaten Unterkunft und bezieht die Grundversorgung, dann erhält sie pro Monat 425 Euro. Von den 1.572 Euro pro Person pro Monat, wie in dem Facebook Posting behauptet, ist der Betrag weit entfernt. Noch dazu bezieht sich der Betrag in dem Posting auf die maximale Mindestsicherung, die beträgt jedoch nur im Fall eines gleichzeitigen Beitrags zur Deckung der Wohnkosten – und weil das Ländersache ist auch nicht in ganz Österreich – die genannten 1.572 Euro, ohne diesen Zuschuss ist sie derzeit mit 1.209 Euro gedeckelt (14) und kommt für Ukrainer, wie schon erläutert, gar nicht in Frage.

Flixbus-Behauptung kursiert seit 2022

Das Verkehrsunternehmen Flixbus bietet tatsächlich täglich mehrere Fahrten von Wien nach Kiew und retour an (15,16). Wenn man die Höhe der Grundversorgung mit den angebotenen Ticket-Preisen einer Flixbus-Fahrt nach Kiew vergleicht, wirkt die behauptete These wenig lukrativ. Die Preise für eine Fahrt schwanken zwischen 60 und 90 Euro. Eine Fahrt nach Kiew und zurück könnte also fast die Hälfte der monatlichen Grundversorgung beanspruchen. Zudem verringerst sich der Anspruch auf die finanzielle Unterstützung um die Dauer des Auslandsaufenthaltes.

Die APA veröffentlichte bereits im September 2022 einen Faktencheck (17) zu den Busfahrten nach Kiew, bereits damals wurden sie als vermeintlicher Beweis für den Sozialbetrug von ukrainischen Geflüchteten verwendet. Damals teilte ein Pressesprecher von Flixbus der APA auf Anfrage mit, dass dem Unternehmen keinerlei Auffälligkeiten in Bezug auf das Reiseverhalten von Ukrainern bekannt seien.

Quellen:
(1) X-Post: https://go.apa.at/KbMUiyJ1 (archiviert: https://go.apa.at/6xwwGwp2)
(2) Facebook-Post I: https://go.apa.at/4PqFb8mC (archiviert: https://go.apa.at/bIKLYJOu)
(3) Facebook-Post II: https://go.apa.at/Z0BHQPk8 (archiviert: https://go.apa.at/LWe8i1U8)
(4) Facebook-Post III: https://go.apa.at/ps6bao3L (archiviert: https://go.apa.at/s1gW0CQd)
(5) Online-Plattform: https://go.apa.at/hFzwTjeA (archiviert: https://go.apa.at/0IaWUxuH)
(6) Sozialministerium Anspruchsvoraussetzungen: https://go.apa.at/thuTbp93 (archiviert: https://go.apa.at/5gejM8ew)
(7) EU-Richtlinie: https://go.apa.at/hwbB0BCU (archiviert: https://go.apa.at/xoyo6of7)
(8) Vertriebenen Verordnung: https://go.apa.at/AZ3VscZk (archiviert: https://go.apa.at/YrltnOmO)
(9) Verlängerung des Aufenthaltsrechts: https://go.apa.at/wGTaN0KS (archiviert: https://go.apa.at/W2HUdz5k)
(10) Informationen für ukrainische Staatsangehörige: https://go.apa.at/PtswgOHu (archiviert: https://go.apa.at/RohlV5cq)
(11) Bundesministerium für Inneres zur Grundversorgung: https://go.apa.at/oAqIBitQ (archiviert: https://go.apa.at/oevkNQ5M)
(12) FAQ für Vertriebene aus der Ukraine: https://go.apa.at/X0pIlbFk (archiviert: https://go.apa.at/xQor1Ofw)
(13) Grundversorgung Wien: https://go.apa.at/cDZ0rvWB (archiviert: https://go.apa.at/wyjomKIR)
(14) Sozialministerium zur Mindestsicherung: https://go.apa.at/XlsRuCuh (archiviert: https://go.apa.at/BdlEWyyp)
(15) Flixbus-Fahrten von Wien nach Kiew am 26. März 2025: https://go.apa.at/L10lT286 (archiviert: https://go.apa.at/z35wcYJD)
(16) Flixbus-Fahrten von Kiew nach Wien am 26. März 2025: https://go.apa.at/kO4IIPhY (archiviert: https://go.apa.at/0fHoasHc)
(17) APA-Faktencheck von 2022: https://go.apa.at/ktK70Y9m
(18) FLAG 1967 in der derzeit geltenden Fassung: https://go.apa.at/py6tDsc4 (archiviert: https://go.apa.at/Ak4nvrZb)

 

Hinweis: Dieser Text wurde am 27. März 2025 nach einer Richtigstellung durch das Bundeskanzleramt verändert und ergänzt. Die hinzugefügten Passagen sind kursiv gehalten. Im Titel wurde ein „nur“ entfernt.

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Lea Baumgartner / Stefan Rathmanner / Christina Schwaha