apa.at
blog / Samstag 25.06.22

APA Check Avatar Temperaturkarten werden schon lange rot eingefärbt

APA/dpa/Symbolbild

In Mitteleuropa war der Juni bisher ungewöhnlich heiß und auch in den kommenden Tagen bleiben die Temperaturen vielerorts teils deutlich über 30 Grad Celsius. Das bedeutet auch flächendeckend rote Wetterkarten. Immer wieder taucht eine Behauptung in sozialen Netzwerken auf, die durch Vergleiche mit älteren Wetterkarten belegt werden soll: Früher seien diese nicht so alarmistisch rot eingefärbt gewesen wie heute, heißt es dort (1,1a). Die Klima-Panikmache, so der Vorwurf, werde von den Fernsehanstalten ganz bewusst mitgeschürt, obwohl sich die aktuellen Temperaturen nicht so sehr von früheren unterscheiden.

Einschätzung: Das Phänomen der rot eingefärbten Wetterkarten ist weder neu noch werden diese gezielt zur Panikmache eingesetzt. Zudem sind Rottöne nicht mit „heiß“ gleichzusetzen, sie stellen lediglich das obere Ende der verwendeten Farbpalette dar – und das nicht erst seit Kurzem.

Überprüfung: Schon 2019, als ein sehr oft geteilter Beitrag seine Runden auf Facebook drehte, räumte die deutsche Tagesschau (2) mit dem Vorurteil auf, ihre Wetterkarten manipulativ verändert zu haben. Aus Schweden (3) gibt es ein ähnliches Beispiel. Dort mussten sogar Wetterkarten unterschiedlicher TV-Anstalten zur „Beweisführung“ herhalten. Seither werden beide Vergleiche, oft mit wechselnden Jahreszahlen (4), immer wieder verbreitet.

Was beide Fälle gemeinsam hatten: Die gegenübergestellten Karten waren nicht miteinander vergleichbar. Denn die üblicherweise mit Satellitenbildern vorwiegend grün hinterlegten Karten, sogenannte Wetterkarten, werden zur allgemeinen Vorhersage herangezogen. Die rot eingefärbten Karten hingegen sind sogenannte Temperaturkarten, mit denen auf einen Blick ersichtlich sein soll, wo im Land oder am Kontinent es wärmer oder kühler werden wird.

Die Abstufung von dunklem Rot bis hin zu Blau und Grün in Temperaturkarten ist weit verbreitet (5). Dabei ist ein Farbton nicht zwingend mit einer bestimmten Temperatur verknüpft, erklärt Patrick Gensing von der ARD: „Eine Farbskala, die im Sommer und im Winter im Einsatz wäre – also von minus 20 bis plus 40 Grad – hätte keine klar erkennbaren Farbunterschiede mehr.“ Daher wandern die Farben je nach Jahreszeit mit. „Fünf Grad sind so im Sommer blau und im Winter gelb oder orange“, schreibt Gensing.

Auch im ORF verändert sich die Farbgebung mit der Jahreszeit, das war auch schon vor zehn Jahren so: Während im Hochsommer 2012 Temperaturen knapp unter 25 Grad (6) Celsius orange-gelb dargestellt werden, reichten zu Frühlingsbeginn 2011 (7) schon gut zehn Grad weniger für einen ähnlichen Farbton. Marcus Wadsak betonte gegenüber der APA, dass in seinen bisherigen 10 Jahren als ORF-Wetterchef derselbe Temperaturbereich in derselben Jahreszeit immer dieselbe Farbe hatte.

Für die vier Jahreszeiten gibt es drei Farb-Abstufungen, im Frühling und Herbst wird dieselbe verwendet, erklärte Wadsak. Diese Farbspektren definieren sich als Abweichung von den langjährigen Mittelwerten zur jeweiligen Jahreszeit. Ohne diese saisonalen Abstufungen würden Temperaturunterschiede nicht so gut erkannt werden. Auch die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) arbeitet mit drei Abstufungen.

YouTube-Videos von ORF-Wettersendungen belegen zudem, dass die farblichen Abstufungen nicht erst seit Kurzem existieren und dass Temperaturkarten auch schon vor 30 Jahren durchaus bedrohlich rot sein konnten.

Schon Anfang der 1990er-Jahre, als die Wetterkarten noch vom Karikaturisten und ORF-Grafikchef Erich Sokol designt wurden (9), waren die Temperaturen in 5-Grad-Schritten eingefärbt. Stichproben bis zurück ins Jahr 1990 (10,11,12) belegen das. Erst mit fortschreitenden grafischen Möglichkeiten waren auch feinere Abstufungen möglich. Die Farbgebung blieb aber weitgehend dieselbe.

Neu ist, dass die Karten heute höher auflösend (13) sind als früher. Die Vorhersagemodelle und die geographische Darstellung haben sich massiv geändert, erklärte ZAMG-Pressesprecher Thomas Wostal im Gespräch mit der APA. Heute besteht die Temperaturkarte von Österreich aus fast 84.000 Bildpunkten – ein Pixel pro Quadratkilometer. Frühere Modelle arbeiteten mit einer Farbe für eine Fläche von etwa 20 mal 20 Kilometer.

„Früher ist man grob drübergefahren über Tirol, da standen dann überall die 20 Grad“, erinnerte sich Wostal, der vor Wadsak selbst die ORF-Wetterredaktion geleitet hatte. Heute zeigten diese Karten wesentlich detailliertere Bilder. So könnten sie im genannten Beispiel für Innsbruck 26 Grad ausweisen, auf den nahen Gletschern oder am Alpenhauptkamm aber nur 0 Grad, erklärte Wostal.

„Früher war Österreich in neun Zonen geteilt, weil es keine detaillierteren Karten gab. Der neue Detailgrad erlaubt mehr Dynamik im Bild“, erklärte der ORF-Grafiker Alexander Cech, der schon lange auch für das Design der Wetterkarten verantwortlich ist, gegenüber der APA. Alleine in einer einzigen Stadt wie Innsbruck könnte sich dadurch heute eine Farbpalette von blau bis orange ergeben.

Durch diese höhere Auflösung der Temperaturkarten könnte der Eindruck entstehen, dass die Karten heute eindringlicher wirken, mutmaßt der Grafiker: „Du nimmst auf einmal auch einen Rotton wahr, wo früher noch ein optischer Mittelwert stand.“ Auch Wadsak und Wostal sehen diesen Zusammenhang.

Dass die Karten in den vergangenen Jahren tatsächlich immer öfter in kräftige Rottöne getaucht waren, hat einen ganz banalen Grund: Es wird wirklich immer wärmer (14). Dafür bedarf es keiner zusätzlichen Panikmache, es reicht ein Blick auf Wetterdaten (15,16,17,18) – und auch das ist nicht erst eine Erkenntnis der letzten Jahre (19).

Wadsak erinnerte sich an seine Kindheit im Jahr 1975, als es keinen Tag über 30 Grad Celsius gegeben hatte. Heute seien es bis zu 40 Tage mit teils weit über 30 Grad Celsius. Dabei gab er zu bedenken, dass sich die Temperaturen oftmals schon Richtung 40 Grad bewegen – und die Karte damit noch dunkler wird als bei Temperaturen um die 30 Grad.

Wostal erklärte gegenüber der APA, dass es keine internationalen Richtwerte für Farbabstufungen auf Temperaturkarten gibt und letztlich der jeweilige Kunde darüber entscheidet. Sogenannte Abweichungskarten (20), die die Temperatur im Vergleich zum langjährigen Mittelwert angeben, sind heute sogar toleranter als früher. „Damals hat man gesagt: ‚Bei keiner Abweichung bleibt die Karte weiß, darüber wird sie rot und darunter blau.‘ Heute wird sie erst dann stärker eingefärbt, wenn die Abweichung ein paar Grad beträgt.“

Das sei auch notwendig, weil Abweichungen vom Mittelwert mittlerweile an der Tagesordnung stünden. Aktuelle Abweichungskarten sind Wostal zufolge also nicht alarmistisch, eher sei das Gegenteil der Fall. Aktuelle Temperaturkarten sähen definitiv nicht absichtlich so aus, um irgendeine Klimawandel-Propaganda zu unterstützen, betonte der Meteorologe.
„Hätte man früher exakt die gleiche Farbabstufung verwendet wie heute, wäre es heute öfter und stärker Rot. Weil Hitze in den letzten Jahren häufiger und intensiver geworden ist. Die Rekorde für die Zahl der 30-Grad-Tage im Juni stammen alle aus den 2000er-Jahren“, erklärte Wostal weiter. Spitzenreiter ist demnach Innsbruck mit 17 Tagen mit mindestens 30 Grad im Juni 2019 (21).

Doch warum reicht die Farbpalette von blau bis rot? Keiner der angefragten Experten konnte diese Frage klar beantworten. Wadsaks Assoziation mit Augenzwinkern: „Länger als wir im Fernsehen arbeiten Installateure mit diesen Farben. Alle wissen: Blau ist kalt, rot ist heiß. Wir haben einfach in der Skala dazwischen geschaut.“

Quellen:
(1) Posting auf Facebook: http://go.apa.at/WqAU4nct (archiviert: https://archive.ph/IezzR)
(1a) Posting auf Twitter: http://go.apa.at/xWIDtEg4 (archiviert: https://archive.ph/MLS2x)
(2) Info-Seite der Tagesschau: http://go.apa.at/zTOucoVu (archiviert: https://archive.ph/twgp9)
(3) dpa-Faktencheck zu Schweden: http://go.apa.at/D6noLrSE (archiviert: https://archive.ph/j8F63)
(4) Facebook-Posting aus 2022: http://go.apa.at/8N4uZzvS (archiviert: https://archive.ph/5DFG0)
(5) ZAMG-Temperaturkarte: http://go.apa.at/XZ10Bpkc (archiviert: https://archive.ph/fmzVz)
(6) ORF-Wetter vom 14.8.2012: http://go.apa.at/fx7EkIe0 (archiviert: https://perma.cc/948M-V94N)
(7) ORF-Wetter vom 25.3.2011: http://go.apa.at/zXSmTc2m (archiviert: https://perma.cc/LKC9-V3Z3)
(8) ORF-Wetter vom 21.6.2021: http://go.apa.at/0yNbRscV (archiviert: https://perma.cc/3Z3X-YHDQ)
(9) Infoseite zum ORF-Wetter: http://go.apa.at/dRDxOx4U (archiviert: https://archive.ph/h1ACz)
(10) Todesnachricht von Bernhard Kletter mit Wetter-Video: http://go.apa.at/wI3PtcjX (archiviert: https://perma.cc/3AAV-2FJE)
(11) ORF-Wetter vom 29.5.1992: http://go.apa.at/AwDX0SVN (archiviert: https://perma.cc/QUG3-5V67)
(12) ORF-Wetter vom 2.10.1995: http://go.apa.at/yP94dXvW (archiviert: https://perma.cc/4N9U-DYBK)
(13) ORF-Temperaturkarte auf orf.at: http://go.apa.at/AceiHTR6 (archiviert: https://perma.cc/54K3-LQ8Y)
(14) Facebook-Beitrag von Marcus Wadsak: http://go.apa.at/AAcfNJgG (archiviert: https://archive.ph/5ABlG)
(15) ZAMG-Infos zum Temperaturanstieg: http://go.apa.at/nYZiGO1R (archiviert: https://archive.ph/ZLP9v)
(16) ZAMG: Erster „30er“ immer früher: http://go.apa.at/Jhh0QT6x (archiviert: https://archive.ph/GotOj)
(17) ZAMG: Sehr warmer Mai 2022: http://go.apa.at/Ps3BcExQ (archiviert: https://archive.ph/zw3Br)
(18) ZAMG: Frühling 2022 warm und größtenteils zu trocken: http://go.apa.at/g9Sybcdt (archiviert: https://archive.ph/4nG4g)
(19) Artikel im Kinder-Magazin GEOlino aus 2007: http://go.apa.at/SZPX2TzH (archiviert: https://archive.ph/1obPO)
(20) ZAMG-Abweichungskarte Juni 2022: http://go.apa.at/Mxo6ebSq (archiviert: https://archive.ph/Br8l6)
(21) TT-Artikel zu Hitze im Juni: http://go.apa.at/pqxkpg1b (archiviert: https://archive.ph/KP5sl)
Klimatologische Kenntage Wien: http://go.apa.at/NGIZweTl (archiviert: https://archive.ph/hykdh)
ZAMG zu Hitzetagen: http://go.apa.at/0PM7diAQ (archiviert: https://archive.ph/DsdrQ)
Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at

Stefan Rathmanner / Valerie Schmid / Florian Schmidt