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blog / Samstag 23.07.22

APA Check Avatar Sprit-Vergleich zwischen Flugzeug und Traktor hinkt

APA/dpa/Archiv

Die Bauernproteste in den Niederlanden, über die seit Wochen berichtet wird (1,2), rückten die Umweltverträglichkeit der Landwirtschaft in den Fokus. Die hohen Stickstoff-Emissionen niederländischer Viehbetriebe hatten die dortige Regierung auf den Plan gerufen. Deren Maßnahmen ließen wiederum die Landwirte auf die Barrikaden steigen. Ein sehr häufig geteiltes Sharepic versucht, die Umweltbilanzen von landwirtschaftlichen Betrieben und Flugzeugen gegenüberzustellen (3).

Mit einer vollen Tankladung einer Boeing 747 könne ein Bauer zwölf Jahre lang seine Flächen beackern, wird behauptet. „Damit kann man 20.000.000 Mio ltr. Milch und 132.000 kg Fleisch produzieren“, heißt es in dem Beitrag. Diese Angaben sind aber nicht realistisch.

Einschätzung: Die im Posting genannten Werte sind mit Vorsicht zu genießen und nur schwer miteinander zu vergleichen. Fest steht: Mit der durchschnittlichen Größe eines landwirtschaftlichen Betriebes in Österreich sind diese Zahlen nicht vereinbar.

Überprüfung: Der im Posting genannte Flugzeugtyp, eine Boeing 747 in ihrer Ausführung als Passagierflugzeug, fasst tatsächlich etwas mehr (4) als angegeben, nämlich 216.850 Liter Kerosin (5). Allerdings werden Flugzeuge nur in Ausnahmefällen voll aufgetankt (6). Eine voll ausgelastete Boeing 747 dürfte schon alleine wegen ihres höchstzulässigen Gesamtgewichtes nicht mit vollem Tank abheben.

Im Posting wird dies allerdings nicht behauptet, es geht lediglich um die Treibstoffmenge und die ist korrekt angegeben. Weiter heißt es: „Die gleiche Menge benötigt ein Bauer um 12 Jahre lang seine Flächen zu beackern“ – hier beginnen die Unschärfen.

Treibstoff

Denn verschiedene Tätigkeiten mit Traktoren und anderen Geräten verbrauchen unterschiedlich viel Treibstoff. Im Fall von landwirtschaftlichem Gerät ist das nicht Kerosin, sondern Dieselkraftstoff (7). Zudem beackern Landwirte nicht ihren gesamten Grund. In Österreich lag die für den Ackerbau genutzte Fläche pro Betrieb 2020 im Schnitt bei 19,3 Hektar (8). Der Kraftstoffverbrauch schwankt dabei je nach Arbeitsintensität zwischen 60 und 210 Litern Diesel pro Hektar und Jahr (9).

Da das Posting sich auf Milch- und Fleischmengen bezieht, muss man auch weitere landwirtschaftlich genutzte Flächen (LF, 10), wie etwa Grün- und Weideland, in die Berechnungen miteinbeziehen. Inklusive Ackerflächen lag dieser Wert laut Agrarstrukturerhebung 2016 bei 21,1 Hektar und somit nicht einmal der Hälfte der durchschnittlichen Gesamtfläche pro Betrieb.

Land

Mit einem Mittelwert von 135 Litern pro Jahr und Hektar – wie er etwa beim Mähen von Grünland mit sechs Mähvorgängen pro Jahr oder beim Anbau von Erdäpfeln angegeben wird – könnten mit einer kompletten 747-Tankfüllung in einem Jahr 1.606 Hektar Land bewirtschaftet werden. Für einen österreichischen Durchschnittsbetrieb würde diese Menge in Diesel über 76 Jahre reichen, also deutlich länger, als im Posting angegeben.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Ein Bauer, der diese Treibstoffmenge in zwölf Jahren verbraucht hätte, müsste über knapp 134 Hektar LF verfügen. Das wären mehr als sechsmal so große Anbauflächen wie ein heimischer Durchschnittsbetrieb zur Verfügung hat. Selbst in Deutschland waren landwirtschaftliche Betriebe mit 63 Hektar im Jahr 2020 (11) im Schnitt nicht einmal halb so groß. Die Angabe im Posting bezieht sich also auf einen Großbetrieb und nicht den „Landwirt ums Eck“.

Milch

Milchkühe brauchen nicht nur Platz im Stall, sondern auch auf Weiden. Zudem muss auch für den Anbau weiterer Futtermittel Platz berechnet werden (12). „Für jeden produzierten Liter Milch braucht die Kuh etwa drei Quadratmeter Futterfläche“, rechnet das Forschunginstitut für biologischen Landbau vor (13).

Ein durchschnittlicher heimischer Milchbetrieb hat 22 Kühe (14) und wird familiär geführt. Eine Kuh gab laut Statistik Austria im Jahr 2020 im Schnitt 7.300 Kilogramm Milch (15), das sind laut damaliger Umrechnung (16) 7.108 Liter Milch. Der Platzbedarf an Futterfläche für 22 Kühe liegt also bei knapp 50 Hektar im Jahr. Die Berechnungen gehen der Einfachheit halber von einer ausschließlichen Erzeugung aller Futtermittel am eigenen Hof (17) aus. Die meisten Betriebe versuchen dies aus Kostengründen bestmöglich zu bewerkstelligen.

Im Rechenbeispiel mit dem Sprit aus einer Boeing 747 und dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 135 Litern Diesel pro Hektar würde der Treibstoff für etwas mehr als 32 Jahre reichen – und selbst in dieser Zeit hätten die durchschnittlich 22 Kühe insgesamt „nur“ etwas mehr als fünf Millionen Liter Milch gegeben – nicht einmal ein Viertel der behaupteten Menge in der fast dreifachen Zeit.

Hält man an den zwölf Jahren aus dem Posting fest (und lässt man außer Acht, dass eigentlich von 20 Millionen Millionen, also 20 Billionen Litern die Rede ist), müsste der Milchbetrieb 222 Kühe beherbergen – für deren Bedarf an Ackerfläche von rund 500 Hektar würde der zur Verfügung stehende Diesel nur für etwas mehr als drei Jahre reichen. Die Berechnungen zum Milch-Output aus dem Posting sind also nicht haltbar.

Fleisch

Noch unpräziser wird die Aussage im Posting betreffend der möglichen Fleischmenge. Der Bodenbedarf verschiedener Nutztiere pro Kilogramm Fleisch geht weit auseinander. Laut Zahlen des WWF Deutschland liegt dieser bei Rindern bei 27 zu 49 Quadratmetern, bei Schweinen um 10 Quadratmeter (18).

Die durchschnittliche Anzahl der Tiere pro Halter lag 2020 bei 34 Rindern und 133 Schweinen. Im Fleischkonsum liegt Schwein in Österreich mit knapp 60 Prozent klar vorne, auf Rindfleisch entfallen rund 19 Prozent (19). Ein Schwein wog bei der Schlachtung im Schnitt 100 Kilogramm, ein Rind 358 Kilogramm. Pro Schwein waren rund 81 Kilogramm für Fleischprodukte verwertbar, die Schlachtausbeute pro Rind lag bei 190 Kilogramm (20).

Bei einem gemittelten Bodenbedarf von 38 Quadratmetern pro Kilogramm Rindfleisch und der errechneten Schlachtausbeute kommt der durchschnittliche Bestand aus Rindern und Schweinen pro Betrieb auf einen Bodenbedarf von etwas mehr als 35 Hektar. Die Tiere liefern dabei entsprechend ihrer durchschnittlichen Lebensdauer (21) im Schnitt rund 25 Tonnen Fleisch pro Jahr.

Wie zuvor bei der Milcherzeugung wird für die weiteren Berechnungen eine Futtermittelproduktion direkt am Hof angenommen. Nur bei der Eiweißversorgung müssen die Betriebe importieren. Soja, meist aus Nord- oder Südamerika, macht etwa 15 Prozent des Schweine-Speiseplans aus (22), bei Rindern etwas weniger (23).

Bei konstantem Viehbestand und damit einhergehend gleichbleibendem Bodenbedarf ergibt sich demnach ein Dieselverbrauch von knapp 4.770 Litern pro Jahr. Damit würde der durchschnittliche Landwirt mit einem durchschnittlichen Dieselverbrauch über 45 Jahre lang auskommen.

Um diese Kraftstoffmenge in zwölf Jahren zu verbrauchen, müsste der Durchschnittsbauer bei einem gleichbleibenden Verhältnis von Rindern zu Schweinen viermal so viele Tiere jeder Art haben. Dann hätte er aber auch den vierfachen Platzbedarf, nämlich über 140 Hektar.

Sieht man über einige schwer zu ziehende Vergleiche hinweg, die das Rechenbeispiel im Posting vornimmt, so belegen die oben stehenden Berechnungen: Die Zahlen aus dem Posting passen so nicht zusammen. Die dort aufgestellten Behauptungen halten alleine aufgrund der Berechnungen zur Milchproduktion einer Überprüfung nicht stand. Daher ist es auch irrelevant, ob Milch und Fleisch gesondert oder wie im Posting gemeinsam in die Berechnung einfließen.

Wer sind jetzt die Bösen?

Zurück zum im Posting angesprochenen Grundproblem: Flugzeuge verbrauchen tatsächlich große Mengen an Treibstoff. Sie befördern dabei aber auch viele Menschen über weite Strecken und sind bei entsprechender Auslastung pro Passagier teils deutlich umweltfreundlicher unterwegs als Autos (24), zumal in einem Auto im Schnitt nur etwa 1,4 Personen sitzen (25).

Natürlich tragen nicht alleine Landwirte die Schuld und Maßnahmen wie Grenzwerte beim Stickstoffausstoß lösen nicht sämtliche Umweltprobleme. Das Beispiel des extrem oft geteilten Postings zeigt deutlich, wie emotional geladen die Debatte ist. Sie ist auch nicht einfach zu führen. Allerdings können alle zu weniger Emissionen beitragen – sei es durch Verzicht auf vermeidbare Auto- oder Flugreisen, sowie ein Umdenken beim Konsum von tierischen Produkten, der als Hauptgrund für die Situation in den Niederlanden gilt (26).

Korrektur (25.07.2022 16:34 Uhr): Im 11. Absatz muss es heißen „Eine Kuh gab laut Statistik Austria im Jahr 2020 im Schnitt 7.300 Kilogramm Milch, das sind laut damaliger Umrechnung 7.108 Liter Milch.“ (Nicht: 7.519 Liter Milch)

Quellen:
(1) APA-Faktencheck vom 1.7.2022: http://go.apa.at/TkveUjQO
(2) APA-Faktencheck vom 15.7.2022: http://go.apa.at/Uqq2f9ZV
(3) Beitrag auf Facebook: http://go.apa.at/glkfJakN (archiviert: http://go.apa.at/K9JbkUSd)
(4) Datenblatt einer Boeing 747-400: http://go.apa.at/oUFt3FAS (archiviert: https://archive.ph/cPdOG)
(5) Informationen zu Kerosin: http://go.apa.at/2YW7sxad (archiviert: https://archive.ph/B9O9G)
(6) Betankung von Flugzeugen: http://go.apa.at/pYGWOF5w (archiviert: https://archive.ph/1A8Pd)
(7) Informationen zu Diesel: http://go.apa.at/9mK1qwB7 (archiviert: https://archive.ph/oEcJv)
(8) Zahlen und Fakten zu österreichischer Landwirtschaft: http://go.apa.at/i5WcgkFy (archiviert: https://archive.ph/qbsF1)
(9) PDF-Dokument zum Dieselverbrauch am Feld: http://go.apa.at/eAhd6HAQ (archiviert: http://go.apa.at/gOlkwpVu)
(10) Gesetzestext zu „Benützungsarten“: http://go.apa.at/uQwO9Ue3 (archiviert: https://archive.ph/RKWdq)
(11) Statistik zu deutschen Bauernhöfen: http://go.apa.at/pOHO19AW (archiviert: https://archive.ph/jAiYH)
(12) Informationen zur Milchgewinnung: http://go.apa.at/eMerOu2Q (archiviert: https://archive.ph/oaoqm)
(13) PDF-Broschüre Bio-Milch: http://go.apa.at/pMHuybfy (archiviert: http://go.apa.at/RgGXdflL)
(14) Allgemeine Informationen zu Milch: http://go.apa.at/sXRV3yW5 (archiviert: https://archive.ph/8VUEQ)
(15) Statistik der Landwirtschaft 2020: http://go.apa.at/EUcVUwvi (archiviert: https://perma.cc/J5GF-ZQAZ)
(16) Umrechnung Rohmilch: http://go.apa.at/CBooQx2a (archiviert: https://archive.ph/tbGJ0)
(17) Informationen zu Futtermitteln: http://go.apa.at/gUzaMLgJ (archiviert: https://archive.ph/EEXRD)
(18) PDF-Broschüre des WWF Deutschland: http://go.apa.at/6uu8iHvK (archiviert: http://go.apa.at/9ckia444)
(19) Global-2000-Fleischatlas 2021: http://go.apa.at/AB0QOXZA (archiviert: http://go.apa.at/5dyFPeJt)
(20) Aktuelle AMA-Schlachtgewicht-Statistik: http://go.apa.at/GEedAjhD (archiviert: http://go.apa.at/q6vhX4Sw)
(21) Lebensdauer von Nutztieren: http://go.apa.at/U9qUAB8k (archiviert: https://archive.ph/5pyBg)
(22) Informationen zu Futter für Schweine: http://go.apa.at/oXvDa7gj (archiviert: https://archive.ph/zfD4l)
(23) Futterzusammensetzung bei Rindern: http://go.apa.at/eXKUDf6L (archiviert: https://archive.ph/7YcvA)
(24) Handelsblatt-Berechnung: http://go.apa.at/FqCLl37B (archiviert: https://archive.ph/g1E4n)
(25) Anfragebeantwortung Deutscher Bundestag: http://go.apa.at/JxmoYUmj (archiviert: https://archive.ph/KwUr9)
(26) FAZ-Artikel zu den Bauernprotesten: http://go.apa.at/tX1hxeIf (archiviert: https://archive.ph/QLOq3)

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Stefan Rathmanner / Florian Schmidt