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blog / Montag 06.04.20

APA Check Avatar Nutzen die Maßnahmen gegen das Coronavirus dem Klimaschutz?

Leere Straßen, verwaiste Flughäfen und stillgelegte Fabriken. Das Coronavirus versetzt nicht nur den Alltag der Menschen in einen Ausnahmezustand. In klassischen und sozialen Medien (Beispiel 1 – archiviertBeispiel 2 – archiviertBeispiel 3 – archiviert) werden seit Wochen die Auswirkungen der Maßnahmen gegen die rasante Ausbreitung des SARS-CoV-2 auf das Klima diskutiert – dabei wird von Chancen, aber auch Gefahren gesprochen.

Zu überprüfende Information: Die Maßnahmen gegen die rasante Ausbreitung des Coronavirus wie etwa Ausgangssperren wirken sich positiv auf das Klima bzw. den Klimaschutz aus, weil die Treibhausgasemissionen sinken.

Einschätzung: Diese Information ist zum Teil richtig. Die für das Klima schädlichen Treibhausgasemissionen sind zumindest in China kurzfristig gesunken. Ob sich der Ausnahmezustand positiv oder gar negativ auf das Klima bzw. den Klimaschutz auswirkt, ist zu diesem Zeitpunkt nicht feststellbar.

Überprüfung: In China hatten die durch das Coronavirus bedingten Einschränkungen in Produktion und Mobilität nach Analysen des finnischen Centers for Energy and Clean Air (CREA) Auswirkungen auf den Ausstoß von Schafstoffen in die Luft: Im Februar 2020 gingen in der Volksrepublik die Treibhausgasemissionen um mehr als 25 Prozent zurück. Das rund 1,4 Mrd.-Einwohner-Land ist weltweit mit Abstand der größte Emittent von Kohlendioxid (CO2), das mit Abstand bedeutendste Treibhausgas.

Dieser Rückgang war allerdings nur von kurzer Dauer: Nach dem am 30. März aktualisierten Bericht des CREA-Forschers Lauri Myllyvirta heißt es unter Berufung auf die Daten des chinesischen Finanzinformationsdienstleisters WIND: Durch die Rückkehr Chinas zum Alltag nach einem vermeintlichen Eindämmen des Virus beginnen sich auch der Energiebedarf und die Emissionen des Landes wieder zu normalisieren.

Weniger Treibhausgasemissionen als Folge einer Wirtschaftskrise sind nicht ungewöhnlich. Der 2019 veröffentlichte Bericht der Datenbasis EDGAR (Emissions Database for Global Atmospheric Research) der Europäischen Kommission zeigt die „Globalen fossilen CO2-Emmissionen“ von 1970 bis 2018 – mit Rückgang oder Stagnation etwa während der Ölpreiskrise (ab 1973) oder zuletzt in der Finanzkrise (ab 2008).

Ein Blick auf die Entwicklungen nach dem Einbruch von vor rund zehn Jahren lässt allerdings für den Klimaschutz wenig Hoffen – ganz im Gegenteil. Helen Mountford von der Denkfabrik World Resources Institut mit Sitz in Washington erklärte laut dem Internetportal Politico: „Nach der globalen Finanzkrise von 2008 beispielsweise stiegen die globalen CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Zementproduktion 2010 um 5,9 Prozent, mehr als den Rückgang von 1,4 Prozent im Jahr 2009 ausgleichen.“ Hier wird auf einen Ende 2011 veröffentlichten Bericht des internationalen Forscherverbunds Global Carbon Project verwiesen.

James Temple vom US-Magazin „Technology Review“ des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) warnte in seinem Anfang März 2020 publizierten Artikel ebenfalls: Wenn Kapitalmärkte blockierten, werde es für Unternehmen unglaublich schwierig sein, Finanzierung für Solar-, Wind und Batterieprojekte voranzutreiben, geschweige denn neue vorzuschlagen. Schwierigkeiten für Elektroautohersteller wie Tesla durch den niedrigen Ölpreis sowie fehlende Aufmerksamkeit für den Klimaschutz in der Bevölkerung, die sich nun vorrangig mit gesundheitlichen und finanziellen Problemen beschäftigen dürfte, sind laut Temple weitere Gefahren. Dem gegenüber führt er aber unter anderem eine mögliche Änderung der Verhaltensweise der Menschen als „potentielle ausgleichende Kraft“ ein.

„Um tatsächlich eine Trendwende zu erreichen, müssen die Treibhausgasemissionen weltweit und vor allem dauerhaft gesenkt werden“, erklärte auch der Grazer Klimaökonom Karl Steininger laut APA in einer Mitteilung. Die neue Situation berge aber dennoch eine Chance wie etwa den Aufbau von „regional konzentrierten Produktionsstrukturen“ oder die Betrachtung der „Notlösungen“ wie Home-Office oder seltenere Einkaufsfahrten als Standard. Die aktuelle Krise könnte die Entscheidung, althergebrachte Wege zu verlassen, leichter machen, zeigte sich Steininger optimistisch.

Dass die Luft derzeit auf jeden Fall eine Verschnaufpause bekommt, zeigen sowohl nationale als auch internationale Daten. Einen Rückgang beim Ausstoß von Schadstoffen (hier Stickoxide Nx) meldeten das österreichische Umweltbundesamt, die Europäische Umweltagentur (EEA) sowie die US-Raumfahrtbehörde NASA.

Hier ist wichtig zu wissen: Während die Folgen von Stickoxiden vor allem für die Luftqualität vor Ort problematisch sind, ist das bedeutendste Treibhausgas Kohlenstoffdioxid CO2 global wirksam und hat einen besonders hohen Einfluss auf die Klimaerwärmung.

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Elisabeth Hilgarth/Florian Schmidt

AKTUALISIERT AM 12. MAI 2020 14:37