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blog / Freitag 15.07.22

APA Check Avatar Medien berichten über niederländische Bauernproteste

APA/AFP/ANP

Zuletzt organisierten sich Bauern in den Niederlanden wieder, um gegen die geplante Reduktion des landesweiten Stickstoff-Ausstoßes zu demonstrieren. Dabei kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei (1). In sozialen Medien zeigen sich einige Nutzer (2,3) entrüstet: Sie vermissen die Berichterstattung zum Thema.

Einschätzung: Weder stimmt die Behauptung, dass die etablierten Medien die Bauernproteste ignorieren oder gar verheimlichen würden, noch stammt das geteilte Foto von den aktuellen Protesten.

Überprüfung: Das in den Postings meistens verwendete Bild stammt nicht von den niederländischen Bauernprotesten in der ersten Juliwoche 2022. Es wurde am 16. Oktober 2019 in der Stadt Bilthoven aufgenommen (4). Urheber war der ANP-Fotograf Robin van Lonkhuijsen, der den großen Protest (5) gegen die damals schon diskutierten Stickstoffgrenzwerte in vielen Fotos festhielt.

Das Bild aus dem Posting, das teilweise auch für die Bebilderung aktueller Medienartikel (6) verwendet wurde, lässt sich anhand einiger Eckpunkte als jenes des Fotografen ausmachen: Zwar existieren einige ähnliche Versionen (7,8,9) der Szene, doch nur in diesem Foto passen die Positionen der Schaulustigen, der Fahrzeuge und auch der Blickwinkel zum Bild im Posting. Dasselbe Foto wurde – leicht zugeschnitten – in höherer Auflösung am Tag der Veröffentlichung auch auf Twitter (10) verbreitet.

Dass es dazu keine Berichterstattung in den Medien gab, ist ebenso eine Falschbehauptung. Bis zur Veröffentlichung des Postings wurde bereits mehrfach über die Entwicklungen berichtet – beginnend noch bevor sich die ersten Proteste überhaupt formierten (11). Auch eine Suche in Google News zum Thema (12) liefert zahlreiche Treffer, selbst wenn man den Zeitraum bis zum Posting vom 4. Juli einschränkt.

Unklar ist, worauf die Verfasser der Postings abgesehen von der angeblich ausbleibenden Berichterstattung in den Medien hinweisen wollen. Der Grund für die Bauernproteste waren zumindest vordergründig nicht die steigenden Lebensmittelpreise (13) im Land, sondern die geplanten Maßnahmen der niederländischen Regierung zur Reduzierung des Stickstoff-Ausstoßes. Dazu gab es bereits am 1. Juli einen APA-Faktencheck (14).

Der Stickstoff-Ausstoß soll stellenweise um bis zu 70 Prozent reduziert werden. Hauptverursacher ist einer niederländischen Studie zufolge (15) der Agrarsektor mit 61 Prozent. Das deckt sich mit den Werten aus dem Nachbarland Deutschland (16). Das österreichische Umweltbundesamt nannte auf APA-Nachfrage mit Hinweis auf ein derzeit laufendes Forschungsprojekt keine aktuellen Zahlen.

Stickstoff ist als Hauptbestandteil unserer Atemluft grundsätzlich nicht gefährlich. Allerdings ist er in seiner reaktiven Form sehr reaktionsfreudig (17) und bildet relativ einfach Stickoxide oder Ammoniak – und das in immer größeren Mengen, seit er in der Landwirtschaft eingesetzt wird. „Der überschüssige Stickstoff entweicht als Nitrat in Grund- und Oberflächengewässer und als Ammoniak und Lachgas in die Luft“, schreibt dazu die Deutsche Umwelthilfe (18).

Das führe „zur Verunreinigung des Grundwassers, zur Überdüngung von Gewässern und Landökosystemen sowie zur Entstehung von Treibhausgasen und versauernden und gesundheitsgefährdenden Luftschadstoffen.“ Zudem schädige Lachgas die Ozonschicht und trägt so zum Klimawandel bei.

Die von der niederländischen Regierung geforderte drastische Reduktion des Stickstoff-Ausstoßes ist laut deren Angaben für bis zu 30 Prozent aller Viehbetriebe existenzgefährdend (19). Die Diskussion darüber ist nicht neu. Sie entbrannte erstmals 2019, als die Niederlande ein Notstandsgesetz ankündigten, weil ihr Stickstoff-Ausstoß schon damals gegen EU-Recht verstoßen hatte (20).

Teil des im Gesetz vorgesehenen Maßnahmenpakets waren etwa Futterumstellung für niederländische Kühe oder der Umbau von Abluftanlagen in Schweinemastbetrieben. Selbst eine Halbierung des Nutztierbestands stand im Raum (21). Diese Änderungen kosten viel Geld, das in der knapp kalkulierten Landwirtschaft oftmals nicht ausreichend vorhanden ist – und das trieb zahlreiche Bauern schon 2019 auf die Barrikaden. Genau aus dieser Zeit stammt das Bild aus den Postings.

 

Quellen:

(1) „FAZ“-Artikel zu den Bauernprotesten: http://go.apa.at/tX1hxeIf (archiviert: https://archive.ph/QLOq3)

(2) Facebook-Posting vom 4.7.2022: http://go.apa.at/ZFtn255L (archiviert: https://archive.ph/OVGxP)

(3) Facebook-Posting vom 11.7.2022: http://go.apa.at/9os3euNg (archiviert: https://archive.ph/DTCib)

(4) Original-Foto vom 16.10.2019: http://go.apa.at/XfdT8eEr (archiviert: https://archive.ph/nlvUI)

(5) Artikel des niederländischen Rundfunks: http://go.apa.at/NuKOqDj2 (archiviert: https://archive.ph/3mHqO)

(6) Medienartikel mit Bild: http://go.apa.at/lsT09NEF (archiviert: https://archive.ph/A2ARm)

(7) Weiteres Bild zu den Protesten 2019: http://go.apa.at/Ax4a07oF (archiviert: https://archive.ph/19M9o)

(8) Weiteres Bild zu den Protesten 2019: http://go.apa.at/7Ct92vCC (archiviert: https://archive.ph/1Q342)

(9) Weiteres Bild zu den Protesten 2019: http://go.apa.at/jLOfMotX (archiviert: https://archive.ph/ItHJQ)

(10) Tweet vom 16.10.2019: http://go.apa.at/S5GqsTLM (archiviert: https://archive.ph/EKgy3)

(11) dpa-Meldung vom 10.6.2022: http://go.apa.at/IfUaodyi (archiviert: https://archive.ph/1GOOj)

(12) Eingeschränkte Google-News-Suche nach „Bauernproteste Niederlande“: http://go.apa.at/7Ps9g5Rn (archiviert: https://archive.ph/pYK8C)

(13) „Dutch News“-Artikel zur niederländischen Inflation: http://go.apa.at/aMyXr4WP (archiviert: https://archive.ph/nISCJ)

(14) APA-Faktencheck vom 1. Juli 2022: http://go.apa.at/TkveUjQO

(15) Artikel mit Verweis auf die Studie: http://go.apa.at/7bNj7PNh (archiviert: https://archive.ph/QHVW0)

(16) Statistik des deutschen Umweltbundesamtes: http://go.apa.at/ZSa8naQ2 (archiviert: https://archive.ph/08x3W)

(17) Allgemeine Informationen zu Stickstoff: http://go.apa.at/WgxJEEj6 (archiviert: http://go.apa.at/1uD7QWMc)

(18) Hintergrund-PDF der Deutschen Umwelthilfe: http://go.apa.at/fK3rnjB5 (archiviert: https://perma.cc/7RBT-SNNK)

(19) „Der Spiegel“-Artikel zu den Bauernprotesten: http://go.apa.at/6AdLZKL1 (archiviert: https://archive.ph/vGQkl)

(20) „NZZ“-Artikel aus dem Jahr 2019: http://go.apa.at/v5Iu1eH1 (archiviert: https://archive.ph/uaO6D)

(21) „taz“-Artikel aus dem Jahr 2019: http://go.apa.at/NifXJpGe (archiviert: https://archive.ph/DyMcS)

 

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Stefan Rathmanner / Florian Schmidt