Die Klimakrise steht aktuell durch Proteste von Aktivisten der „Letzten Generation“ oder der Räumung des Dorfes Lützerath im Fokus. In Online-Artikeln (1,2) wird diese aber weiter verharmlost. Als scheinbaren Beleg dafür wird etwa aktuell eine Studie im Fachjournal „Nature“ hergenommen und behauptet, diese käme zu dem Schluss, dass eine kühle Strömung des Nordatlantiks den Klimawandel bremse und dass die Erderwärmung nicht auf gestiegene CO2-Emissionen zurückzuführen sei.
Einschätzung: Das ist falsch. Die globale Erwärmung bleibt genauso bestehen wie vorher. Einer der Hauptautoren der Studie warnt vor einer Verharmlosung der Klimakrise.
Überprüfung: Die Publikation im Fachjournal „Nature“ (3) wurde unter anderem von Wissenschaftern und Wissenschafterinnen der Universität Bergen, des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel und des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg verfasst. Darin wird beschrieben, welche Mechanismen genau hinter den Temperatur-Schwankungen (Oszillation) des Nordatlantiks stecken. Die Schwankungen haben einen Einfluss auf die globale Mitteltemperatur und ein Vorhersagepotenzial (4) für Veränderungen beim Klima.
Einer der Hauptautoren, Nour-Eddine Omrani (5), stellt auf der Webseite des Bjerknes Centre for Climate Research (6) der Universität in Bergen klar, dass die multidekadische Schwankungsbreite dem Klimawandel für eine begrenzte Zeit entgegenwirken oder ihn verstärken kann. Eine Schwankung kann für ein paar Jahrzehnte anhalten und sich dann umkehren. Der Klimawandel als Ganzes wird aber nicht davon beeinflusst. Zudem gilt, dass die Temperaturen im Winter gemessen wurden und nicht das Jahresmittel abbilden.
In dem Beitrag ist auch eine Grafik mit Zeitleiste von 1900 bis 2040 eingebettet, die das klimatische Phänomen veranschaulicht. Die schwankende Linie stellt die multidekadische Oszillation dar. Zwischen den 1950er bis 1970er-Jahren etwa geht die Kurve nach unten, das heißt die Meeresoberflächen-Temperatur des Nordatlantiks war auf einem niedrigeren Niveau. Zwischen den 1980er und 2000er-Jahren zeigt die Kurve nach oben, die gemessene Temperatur war also höher. Aktuell befindet sich die Temperatur demnach wieder im Abwärtstrend, vor kurzem wurde der Höhepunkt überschritten.
Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter rechnen also mit einer ähnlichen Entwicklung wie ab 1950, was zu einer Abkühlung des Nordatlantiks und einer Ausdehnung des arktischen Meereseises führen könnte. Das wird von Verharmlosern der Klimakrise fälschlicherweise als Abschwächung des menschengemachten Klimawandels interpretiert.
Das ist falsch, weil das prognostizierte Klima trotz Temperatur-Rückgangs wärmer sein wird als in den 50er-Jahren: „Die mit der multidekadischen Oszillation verbundene globale Abkühlung kann die menschengemachte globale Erderwärmung und die Eisschmelze vorübergehend abschwächen, aber sie kann nicht die klimatischen Bedingungen der 1950er bis 1970er-Jahre wiederherstellen“, heißt es in dem Beitrag.
Die temporäre Abkühlungsphase könne die darauffolgende Beschleunigung der globalen Erderwärmung sowie die Eisschmelze nur vorübergehend verzögern. Der Klimawandel mache die Auswirkungen der multidekadischen Erwärmung und Eisschmelze extremer und die Abkühlung geringer. Vorhersagen kann man nur, dass eine Oszillation eintritt, aber nicht wie stark sie sein wird.
Aus der Grafik geht zudem hervor, dass jeder Erwärmungsbeginn von einem höheren Niveau startete als der vorangegangene. So wird es auch bei der nächsten Phase etwa um 2040 sein und eine „nie da gewesene Erwärmung“ mit sich bringen, prognostizieren die Wissenschafterinnen und Wissenschafter.
In der Grafik ist neben der schwankenden Kurve der multidekadischen Oszillation auch eine augenscheinlich linear steigende Kurve zu sehen. Diese erhöhte sich seit Aufzeichnungsbeginn kontinuierlich und ohne Schwankungen und steigt Prognosen zufolge auch in der Zukunft weiter an – diese Linie stellt die globale Erderwärmung dar.
Ein geringerer Temperaturanstieg in den nächsten Jahren darf also nicht als Zeichen einer Verlangsamung der globalen Erderwärmung interpretiert werden, heißt es an anderer Stelle auf der Webseite des Bjerknes Centre for Climate Research (7) der Universität von Bergen. In dem Beitrag warnt auch Wissenschafter Omrani vor Fehlinterpretationen: „Durch die globale Erderwärmung werden sowohl die kalten als auch die warmen Phasen der Oszillation wärmer. In kalten Phasen wird weniger Eis verschwinden als in warmen Phasen, aber in beiden Fällen wird heute mehr Eis schmelzen als vor fünfzig Jahren.“
Im Gespräch mit der APA verwies Omrani auf die beiden Stellungnahmen der Universität von Bergen zu der Studie und betonte, dass die Sachlage nicht so sei, wie die kursierenden Online-Artikel sie darstellen würden. „Wir werden keine globale Abkühlung erleben“, betonte er. „Die globale Erwärmung bleibt genauso bestehen wie vorher. Die kalten Konditionen der 1950er bis 1970er werden wir aufgrund der Erderwärmung nie wieder bekommen“. Die Publikation dürfe nicht als Verharmlosung der Klimakrise verstanden werden.
Hinlänglich wissenschaftlich bestätigt (8, 9, 10) ist zudem, dass eine Hauptursache des menschengemachten Klimawandels ein Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist. Die CO2-Konzentration lag zuletzt bei über 420 ppm (pars per million) und damit auf dem höchsten Stand seit Millionen von Jahren. In der vorindustriellen Zeit lag sie bei etwa 280 ppm.
Quellen:
(1) Online-Beitrag von „Tichys Einblick“: http://go.apa.at/TyHFNP4r (archiviert: https://archive.ph/qeuIe)
(2) Online-Beitrag von „Ansage“: http://go.apa.at/q7b2i0Xp (archiviert: http://go.apa.at/H2Xk76wV)
(3) Studie in Fachzeitschrift „Nature“ (2022): http://go.apa.at/1l3YZFhc (archiviert: https://archive.ph/VakY1)
(4) Wissenschaftliche Plattform ESKP über Einfluss des Nordatlantiks auf das Klima: http://go.apa.at/gGaCRGOF (archiviert: https://archive.ph/VdBYG)
(5) Über Wissenschaftler Nour-Eddine Omrani: http://go.apa.at/JMC3HRuo (archiviert: https://archive.ph/mkOgI)
(6) Artikel von Autor Nour-Eddine Omrani über Temperatur-Schwankungen im Nordatlantik: http://go.apa.at/Sd7vwZJM (archiviert: https://archive.ph/ssixf)
(7) Stellungnahme des Bjerknes Centre for Climate Research der Universität Bergen zur Studie: http://go.apa.at/mvxlRJAA (archiviert: https://archive.ph/4Uh9h)
(8) ORF-Artikel über CO2-Wert auf Rekordhoch: http://go.apa.at/FJVZdoLb (archiviert: https://archive.ph/BWzvO)
(9) Klimafakten.de über CO2 als Hauptursache des Klimawandels: http://go.apa.at/0jSitqiv (archiviert: https://archive.ph/MzAOM)
(10) Unweltbundesamt über Atmosphärische Treibhausgas-Konzentrationen: http://go.apa.at/eqWtAjah (archiviert: https://archive.ph/k4ddn)
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Valerie Schmid / Florian Schmidt