Ukrainischen Vertriebenen wird in Österreich von Hilfsorganisationen und Teilen der Zivilgesellschaft unter die Arme gegriffen. Dass die geleistete Hilfe Missgunst hervorrufen kann, sieht man auch an zahlreichen Kommentaren und Postings in sozialen Medien.
In einem ausführlichen Facebook-Posting (1) wird die Unterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen in einem Wiener Hotel scharf kritisiert. Die drei zentralen Behauptungen kritisieren angebliche unterschiedliche Leistungen für Hilfesuchende in Österreich, ukrainische Flüchtlinge, Asylsuchende allgemein und einheimische Obdachlose.
Einschätzung: Das seit längerer Zeit geschlossene Luxushotel „Hotel de France“ wurde bereits als Quarantänequartier genutzt und steht nun für die Unterbringung für Flüchtlinge zu Verfügung. Das bedeutet nicht, dass es sich um Luxusunterkünfte handelt, so können laut Samariterbund etwa nicht einmal die TV-Geräte in den Zimmern genutzt werden. Ukrainische Flüchtlinge haben bis vorerst 3. März 2023 den Anspruch auf vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich. Darüber hinaus sind sie gegenüber Geflüchteten aus anderen Ländern kaum besser gestellt. Obdachlose, gleich welcher Herkunft, müssen in Österreich nicht im Freien übernachten und von Abfällen leben, wie das Posting suggeriert.
Überprüfung: Die Flüchtlingsunterkunft gibt es seit Anfang November für die Dauer von neun Monaten mit Option auf Verlängerung um weitere drei Monate, schreibt die Kronen Zeitung (2). Laut orf.at soll das ehemalige Hotel anschließend saniert und wiedereröffnet werden (3). Das Haus wird nicht zum ersten Mal seit seiner Schließung zwischengenutzt, schon während der Corona-Pandemie stand es für Touristen als Quarantänehotel zur Verfügung.
Für die Unterbringung und Verpflegung der bis zu 350 Schutzsuchenden aus der Ukraine kommen den Medienberichten zufolge private Spender rund um Lifebrain-Chef Michael Havel (4) auf, die tägliche Betreuung übernimmt der Arbeiter-Samariter-Bund Wien. Gefördert wird das Projekt im Rahmen der Grundversorgung des Fonds Soziales Wien. Die ATLAN Privatstiftung als Eigentümer der Immobilie stellt das Haus dafür gratis zur Verfügung.
Der Arbeitersamariterbund Wien erklärt dazu auf APA-Anfrage: „Die Stadt Wien nutzt unterschiedliche leerstehende oder temporär nicht genutzte Immobilien zur Unterbringung von Flüchtlingen – vom ehemaligen Pensionistenwohnhaus über verfügbare Veranstaltungslocations bis hin zu leerstehenden Hotels. Oft geschieht dies in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.“
Diese Art der Flüchtlingsunterbringung ist nicht neu. Bereits 2015 wurde das ehemalige Luxushotel Kobenzl in Salzburg für Flüchtlinge geöffnet (5). Zuvor wurden wertvolle Gegenstände abtransportiert und die Ausstattung des Hauses anderen Aufnahmezentren angepasst, schrieb die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine.
Das Attribut „Luxus“ war bereits in diesem Fall kaum gerechtfertigt. Der Kurier berichtete damals (6): „Ob sich das ehemalige Luxushotel als Flüchtlingsheim eignet, darüber scheiden sich in Salzburg die Geister: Mehrere Wasserrohrbrüche, Kälte und Schimmel hätten den Räumlichkeiten stark zugesetzt, heißt es.“ Mittlerweile ist das Gebäude unbewohnbar (7).
Im aktuellen Posting zum Hotel de France heißt es anlässlich der Hilfestellung, „Österreichs Regierung und Gesellschaft unterscheiden ganz klar zwischen Gästen, Ausländern und Inländern.“ Um diese Aussage zu untermauern, werden drei Kern-Behauptungen aufgestellt:
Die erste Behauptung bezieht sich auf die Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge im ehemaligen Luxushotel de France. Im Auftrag der Stadt Wien übernimmt der Samariterbund Wien die Betreuung und Verpflegung der geflüchteten Menschen in der Unterkunft. Aktuell sind rund 100 der 350 Plätze im ehemaligen Hotel belegt. Wie in jeder anderen Flüchtlingseinrichtung gibt es auch dort Betreuung durch Sozialarbeiter*innen und die Betreuung im psychosozialen Bereich sowie eine Person als Diplomiertes Kranken-und Pflegepersonal.
„Ebenfalls ist es in jeder Flüchtlingseinrichtung üblich, dass im Eingangsbereich eine Ansprechperson (im Hotel de France ist sie im Bereich der Rezeption) zur Verfügung steht, da auch die Anwesenheit der Bewohner*innen kontrolliert wird. Die Einrichtung ist 24/7 betreut“, schreibt der Wiener Samariterbund dazu.
Das Hotel de France werde als Flüchtlingseinrichtung im Rahmen der Grundversorgung geführt und vom Fonds Soziales Wien (FSW) gefördert. Auf dessen Website heißt es dazu (8): „Hilfs- und schutzbedürftige Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchen, erhalten im Rahmen der Grundversorgung die notwendige Unterstützung, um Grundbedürfnisse ihres täglichen Lebens rasch decken zu können. Bei Bedarf können sie einen Wohnplatz in einer betreuten Unterkunft nutzen.“
Da es im Hotel de France keine Möglichkeit gibt, in den Zimmern zu kochen, erhalten die Geflüchteten wie auch in jeder anderen Flüchtlingsunterkunft laut Samariterbund „drei Mal täglich Mahlzeiten (kaltes Frühstück/warmes Mittagessen/kaltes Abendessen)“. Tatsächlich verfügt jedes Zimmer über ein Badezimmer mit WC. Die im Posting genannten TV-Geräte können der Sprecherin zufolge jedoch nicht genutzt werden.
Der zweiten Behauptung zufolge werden Flüchtlingen aus anderen Ländern deutlich weniger Rechte zuerkannt. Zwar haben Asylsuchende anderer Nationalitäten – mit Ausnahme von bereits in der Ukraine schutzberechtigten Personen – nicht (automatisch) den Anspruch auf vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich bis vorläufig 3. März 2023 (9). Allerdings stehen auch Flüchtlingen aus anderen Ländern in Österreich einige Leistungen kostenlos zur Verfügung.
Das Recht auf Grundversorgung haben in Österreich laut Grundversorgungsvereinbarung – Art. 15a B-VG bedürftige „Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen“ (10,11). Die Grundversorgung umfasst laut Caritas „im wesentlichen Krankenversicherung, Versorgung mit Verpflegung, Taschengeld, Bekleidungsgeld und die Unterbringung in geeigneten Unterkünften“ (12).
Letzteres ist entweder in organisierten Unterkünften mit Verpflegung und „Taschengeld“, Unterkünften mit Selbstversorgung und Verpflegungsgeld oder in Privatunterkünften mit Zuschüssen für Miete und Verpflegung möglich (13). Weiters stehen ihnen soziale, medizinische und psychologische Betreuung (14) sowie Rechtshilfe (und weitere Hilfsangebote) zu (15).
Die dritte Behauptung sieht österreichische Obdachlose punkto Sozialleistungen am unteren Ende der Hierarchie der Schutzbedürftigen. Alleine in Wien gibt es allerdings rund zwei Dutzend Notunterkünfte (16) für Obdachlose, die kostenlos (17) oder gegen einen geringen Beitrag (18) nicht nur temporäre Schlafgelegenheiten (19) zur Verfügung stellen. Auch Verpflegung, Dusch- und Waschmöglichkeiten, medizinische Versorgung und Hilfe durch Therapeuten können in Anspruch genommen werden.
Wer dennoch unter freiem Himmel lebt, bekommt von der Caritas bei Bedarf einen Schlafsack zur Verfügung gestellt (20). Auch kostenlose Verköstigung kann in Anspruch genommen werden (21). Wie im Fall der Flüchtlingsunterkunft im Hotel de France wird auch diese Art der Soforthilfe von privaten Spenden finanziert. Zudem wird bei der Hilfe für Obdachlose nicht zwischen Österreichern und Nicht-Österreichern unterschieden (22).
Quellen:
(1) Facebook-Posting: http://go.apa.at/5xgnRdKZ (archiviert: https://archive.ph/PNgJi)
(2) Artikel Kronen Zeitung: http://go.apa.at/WeyrdUyM (archiviert: https://archive.ph/8a9r8)
(3) Artikel orf.at zur Unterkunft: http://go.apa.at/gH97b4K1 (archiviert: https://archive.ph/tDPOI)
(4) Lifebrain-Seite „Über uns“: http://go.apa.at/JZtN24IG (archiviert: http://go.apa.at/1U2zqQCQ)
(5) Artikel HNA zum Hotel Kobenzl: http://go.apa.at/Q1ON9NVs (archiviert: https://archive.ph/WakNw)
(6) Artikel Kurier zum Hotel Kobenzl: http://go.apa.at/rYZpVfsB (archiviert: https://archive.ph/ZijPB)
(7) Artikel orf.at zum baufälligen Hotel Kobenzl: http://go.apa.at/GVVdlpuE (archiviert: https://archive.ph/c9D2Y)
(8) Grundversorgung in Wien: http://go.apa.at/ObCA5EuE (archiviert: https://archive.ph/ZvncZ)
(9) Vorübergehendes Aufenthaltsrecht für Ukrainer: http://go.apa.at/kyheWofT (archiviert: http://go.apa.at/I2xXXEDn)
(10) Allgemeines zum Asyl: http://go.apa.at/JlN1wq9X (archiviert: http://go.apa.at/47vwHcNL)
(11) Gesetzestext Grundversorgungsvereinbarung: http://go.apa.at/oAqIBitQ (archiviert: https://archive.ph/MEbHD)
(12) Caritas-FAQs zum Thema Flucht und Asyl: http://go.apa.at/9Dde4nt3 (archiviert: http://go.apa.at/jTyDMI90)
(13) Informationen AK Oberösterreich: http://go.apa.at/PgYpXFIX (archiviert: http://go.apa.at/tort81tK)
(14) Informationen BBU GmbH: http://go.apa.at/C5oh0zeY (archiviert: https://archive.ph/Xwrkf)
(15) Beratung und Betreuung für Flüchtlinge: http://go.apa.at/eRG9nJGT (archiviert: http://go.apa.at/ZEpvjnm7)
(16) Notunterkünfte in Wien: http://go.apa.at/DpkibPoi (archiviert: http://go.apa.at/TlfqJbKL)
(17) Informationen zur Gruft: http://go.apa.at/UlEeWS4J (archiviert: http://go.apa.at/8Sr54N2O)
(18) FSW-Winterangebote: http://go.apa.at/ycmfAJCR (archiviert: http://go.apa.at/1Abt02L1)
(19) Artikel vienna.at aus 2013 zu Notunterkünften: http://go.apa.at/xbVjAJjL (archiviert: http://go.apa.at/c9RjCd4d)
(20) PDF-Dokument zum Caritas-Kältetelefon: http://go.apa.at/4dMZSAZS (archiviert: http://go.apa.at/uEOU6TL8)
(21) Informationen zum Canisibus der Caritas: http://go.apa.at/yDGUUIJP (archiviert: http://go.apa.at/f15ETevG)
(22) FSW zu Obdach- und Wohnungslosigkeit: http://go.apa.at/kymnFj22 (archiviert: http://go.apa.at/EB1Q4fYw)
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Stefan Rathmanner / Valerie Schmid / Florian Schmidt