In den letzten Tagen über WhatsApp verbreitete Text- und Sprachnachrichten (abrufbar etwa hier, archiviert: http://archive.is/eGp2n) behaupteten, dass das Medikament Ibuprofen negative Auswirkungen bei Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus Covid-19 haben würde. Dies seien Forschungsergebnisse der „Wiener Uniklinik“, die aber nur mündlich kommuniziert werden sollen. Auch der französische Gesundheitsminister warnte auf Twitter vor der Einnahme entzündungshemmender Medikamente wie Ibuprofen.
Zu überprüfende Information: Die Einnahme des Medikaments Ibuprofen hat negative Auswirkungen bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus Covid-19.
Einschätzung: Es gibt derzeit keine wissenschaftliche Evidenz für negative Auswirkungen von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen bei einer Covid-19-Erkrankung. Die MedUni Wien dementierte die in den Nachrichten enthaltenen angeblichen Forschungsergebnisse. Die WHO riet kurzzeitig von einer Einnahme von Ibuprofen bei Covid-19-Verdacht ohne ärztliche Anweisung ab, nahm dies aber einige Tage darauf wieder zurück.
Überprüfung: Die MedUni Wien meldete sich schnell per Aussendung zu Wort und bezeichnete die verbreiteten Informationen als „Fake News“. Auch auf Twitter dementierte die MedUni (hier archiviert, der Account ist nicht verifiziert, wird aber auf der Homepage der MedUni Wien verlinkt).
In der Diskussion in sozialen Medien wird öfter auf einen Artikel im wissenschaftlichen Medizinjournal Lancet (archiviert:http://archive.is/FKMtV) hingewiesen, der auf drei chinesischen Studien basiert. Auch der Tweet des französischen Gesundheitsministers soll sich laut der deutschen Tagezeitung Welt auf diesen Artikel beziehen, in dem drei Mediziner eine Hypothese formulieren, dass sogenannte ACE-Hemmer den Krankheitsverlauf von Covid-19 verschlimmern könnten und Ibuprofen ähnliche Effekte haben könnte. Die Datenbasis sei für eine wissenschaftliche Studie allerdings zu gering. Die Studien-Autoren räumen auf der Homepage der Universität Basel selbst ein, dass ihre Hypothese eher für Forscher bestimmt ist als für Patienten und weitere Forschungen notwendig sind.
Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) sieht keinen gesicherten Zusammenhang zwischen der Einnahme von NSAR und schweren Verläufen von Covid-19. Er kann sich laut Bayerischem Rundfunk aber vorstellen, dass der Wirkstoff ASS, aber auch Ibuprofen bei der Lungenkrankheit nicht hilfreich sein könnte, da es die Blutgerinnung hemmt.
Wir haben selbst mit der MedUni Kontakt aufgenommen. MedUni-Wien-Direktor Markus Müller dementierte den angeblichen Zusammenhang zwischen schweren Covid-19-Fällen und Ibuprofen. „Da ist nichts dran. Die Sache mit Ibuprofen ist das Problem einer Subgruppenanalyse (in einer Studie; Anm.)“, sagte der klinische Pharmakologe gegenüber der APA (hier auch in der Tageszeitung Kurier zu lesen).
Der Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien, Michael Freissmuth, meinte auf APA-Nachfrage (auch in der burgenländischen Wochenzeitung BVZ nachzulesen), es gäbe „überhaupt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass da irgendetwas gefährlich sein könnte.“
Bei Blutdruckmitteln könne man laut Freissmuth „keine Aussage treffen, ob sie einen Effekt bei Covid-19 haben“. Es gebe sowohl Meinungen, wonach sie schützen können als auch das Gegenteil.
Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gab folgende Stellungnahme ab: „Diese Spekulationen über die Sicherheit von ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern haben keine solide wissenschaftliche Basis. In Wirklichkeit gibt es Evidenz aus Tierstudien, die darauf hindeuten, dass diese Medikamente eher einen schützenden Effekt vor schweren Lungenkomplikationen haben könnten. Es gibt aber bisher keine Daten (über den Effekt; Anm.) beim Menschen.“
Die spanische Agentur für Medizin und Gesundheitsprodukte (AEMPS) berichtet, dass es keine Daten für einen Zusammenhang zwischen einer Verschlechterung einer Covid-19-Erkrankung mit Ibuprofen oder anderen NSAR gibt.
Allerdings riet die WHO am 17. März Verdachtsfällen davon ab, Ibuprofen ohne ärztliche Anweisung einzunehmen. WHO-Sprecher Christian Lindmeier sagte, dass es zwar keine neuen Studien gebe, dass Ibuprofen mit höherer Sterblichkeit verbunden sei. Experten würden die Lage aber derzeit prüfen. Wenige Tage später nahm die WHO diese Warnung zurück.
Korrektur/Update 21. März 2020: Die WHO hat mittlerweile ihre Warnung vor Ibuprofen bei Coronavirus-Verdacht zurückgenommen. „Auf der Basis der heute vorhandenen Informationen rät die WHO nicht von der Einnahme von Ibuprofen ab“, teilte die WHO mit. Im ursprünglichen APA-Faktencheck hieß es in der Bewertung: „Die WHO rät von einer Einnahme von Ibuprofen bei Covid-19-Verdacht ohne ärztliche Anweisung ab.“ Der Hinweis, dass dies nur kurzfristig der Fall war und die Warnung zurückgenommen wurde, wurde ergänzt.
Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at.
Florian Schmidt/Wolfgang Wagner
AKTUALISIERT AM 18. MAI 2020 16:22