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blog / Mittwoch 13.08.25

APA Check Avatar Geburtenrate in Ungarn zuletzt zurückgegangen

APA/AFP/Symbolbild

Für migrationskritische Stimmen ist Ungarn häufig ein Vorzeigeland, sprechen sich dort doch viele Politiker gegen Zuwanderung aus. In einem viralen Video (1) wird vor allem auf die Maßnahmen zur Förderung der Geburtenrate im österreichischen Nachbarland verwiesen, etwa das Baby-Darlehen. Dies sei exemplarisch für die familienfreundliche Positionierung.

Auch am Arbeitsmarkt sei Ungarn nicht auf Migration angewiesen sei, heißt es. Kein einziger Ökonom spreche sich dafür aus. Das ist allerdings nicht richtig.

Einschätzung: Ungarn konnte die Geburtsrate nur bedingt steigen lassen, zuletzt brach sie wieder ein. Es finden sich Ökonomen, die sich für Zuwanderung aussprechen, vor allem weil bisher verhältnismäßig wenig Gastarbeiter in Ungarn arbeiten. Einige Informationen zum Baby-Darlehen im Video sind nicht korrekt wiedergegeben.

Überprüfung: Tatsächlich hat Ungarn in den letzten Jahren seine Geburtenrate im europäischen Vergleich verbessern können. Während man in den Jahren 2010 und 2011 etwa deutlich unter dem EU-Durchschnitt lag (2), stieg Ungarn etwa in den Jahren 2022 und 2023 in die Top-Plätze auf (3,4).

Ohne den Vergleich zum europäischen Umfeld sehen die Zahlen allerdings etwas ernüchternder aus. Zwar stieg die Geburtenrate in Ungarn (5) von 1.23 Kinder pro Frau im Jahr 2011 auf 1.51 Punkte im Jahr 2016. Sie blieb dort bis zum Jahr 2019, als das Baby-Darlehen eingeführt worden ist, und kletterte danach auf 1.61, den besten Wert seit dem Jahr 1995.

Danach fiel die Geburtenrate allerdings rapide hinab. Im Jahr 2022 auf einen Wert von 1.55, gefolgt von 1.51 im Jahr 2023 und zuletzt auf 1.39 im vergangenen Jahr. Eine niedrigere Geburtenrate verzeichnete Ungarn zuletzt im Jahr 2013.

Wie diese Zahl im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten zu bewerten ist, lässt sich aufgrund noch fehlender Eurostat-Daten schwierig sagen (6). In Deutschland, das zuletzt immer sehr nahe am EU-Durchschnittswert lag, betrug die Geburtenrate im Jahr 2024 etwa 1.35 (7). Österreich, das in den letzten zehn Jahren immer 0,04 bis 0,07 Punkte unter dem EU-Schnitt gelegen ist, verbuchte einen Allzeit-Tiefstand von 1.31 Kinder pro Frau (8).

Baby-Darlehen vor dem ersten Kind beziehbar

In dem viralen Video werden einige Dinge nicht zur Gänze korrekt wiedergegeben. So besteht beim ungarischen Baby-Darlehen der Anspruch auf die maximale Höhe der Kreditsumme von maximal 11 Millionen Forint, heute umgerechnet rund 27.700 Euro (9), schon vor dem ersten Kind. Die Höhe der Darlehenssumme ist also nicht von der Anzahl der Kinder abhängig und erhöht sich auch nicht erst durch die Geburten.

Was tatsächlich von der Anzahl der Kinder eines beziehenden Paares abhängt, ist das Ausmaß der Rückzahlung. Erhält das zum Anspruch berechtigte Paar innerhalb der ersten fünf Jahre nach Kreditbeantragung ein Kind, entfallen für drei Jahre alle Ratenzahlungen und die Familie darf den Restbetrag über die vereinbarte Laufzeit zwischen fünf und 20 Jahren ohne Zinsen abbezahlen. Bei einem zweiten Kind wird neben einer erneuten Aussetzung der Raten über drei Jahre zusätzlich 30 Prozent der Schulden erlassen, bei einem dritten Kind entfällt die gesamte Restschuld.

Auch Ökonomen für Zuwanderung

Nicht korrekt ist allerdings die Aussage, dass sich kein einziger Ökonom für Zuwanderung als Bewältigung eines Facharbeiter-Mangels ausspreche. Bereits eine kurze Recherche führt zu Stellungnahmen des Politökonomen Zoltán Pogátsa, der sich im Dezember 2023 zum ungarischen Arbeitsmarkt äußerte (10). Ungarn hätte aus seiner Sicht bereits Vollbeschäftigung erreicht, es gäbe einen klaren Bedarf an Gastarbeitern.

Tatsächlich ist die ungarische Arbeitslosenquote seit dem Jahr 2019 auf dem tiefsten Stand seit den 90er-Jahren (11) und schwankt zwischen drei und fünf Prozent. Auch die Prognosen für die kommenden Jahren gehen davon aus, dass der Wert auf einem ähnlichen Niveau bleibt. Im EU-Vergleich liegt das Nachbarland bei der Erwerbslosenquote in der unteren Hälfte (12).

Die vorwiegende Inanspruchnahme heimischer Arbeitskräfte zeigt sich anhand des Vergleichs mit den anderen Ländern. Laut der ungarischen Personalvermittlung „Human Center“ (13) hätten in Ungarn mit Stand Ende 2023 nur 100.000 Gastarbeiter gearbeitet, während in Tschechien und in Österreich trotz ähnlicher Bevölkerungsgröße ein Vielfaches an ausländischen Erwerbstätigen arbeiten würden. In Tschechien lag die Zahl im Jahr 2023 bei 940.000 und in Österreich bei 890.000 (14,15).

Der Ex-Nationalratsabgeordnete Gerald Grosz, der in dem vorliegenden Video die Aussagen in einem Interview tätigte, antwortete auf Anfrage der APA bis zur Fertigstellung des Textes nicht. Die ausgeschnittene Stelle ist in längeren Videos auf seinen Kanälen mit großer Reichweite zu finden (16).

 

Quellen:

(1) Video auf Facebook: https://go.apa.at/KIgR3sXZ (archiviert: https://go.apa.at/YFFZH1BN , archiviertes Video: https://go.apa.at/Nb9QN3Yd)

(2) Medienbericht „Hungary Today“: https://go.apa.at/VmrC2LtK (archiviert: https://perma.cc/CL8X-AXYW)

(3) Statistik 2022: https://go.apa.at/Zx1r8psQ (archiviert: https://perma.cc/EC8L-BAE5)

(4) Statistik 2023: https://go.apa.at/f9YPpee1 (archiviert: https://perma.cc/8MHC-TVDM)

(5) Presseaussendung zum Baby-Darlehen: https://go.apa.at/qQpeoL8t (archiviert: https://perma.cc/NWR8-2TV5)

(6) Eurostat: https://go.apa.at/CTmoVIgV (archiviert: https://perma.cc/AA5C-ZJTJ)

(7) Deutschland Geburtenrate 2024: https://go.apa.at/X0c7k9gB (archiviert: https://perma.cc/49CM-L5HJ)

(8) Download Geburtenrate Österreich: https://go.apa.at/1hzCCDSz (archiviert: https://perma.cc/B23C-3HG9)

(9) Währungsrechner: https://go.apa.at/VHaEmE8j (archiviert: https://go.apa.at/IAiJefK3)

(10) Statement des Ökonomen: https://go.apa.at/aN7gskZD (archiviert: https://go.apa.at/6OvAX9P9)

(11) Statista: https://go.apa.at/zwdwvyVe (archiviert: https://perma.cc/P4G9-JX5X)

(12) DE-Statis zu Erwerbslosigkeit: https://go.apa.at/lo21Z5lA (archiviert: https://archive.is/ds22D)

(13) Penzcentrum.hu mit Aussagen vom Human Center: https://go.apa.at/wqM6w30m (archiviert: https://go.apa.at/Mju8TyvE)

(14) Statista: https://go.apa.at/CttYP4BG  (archiviert: https://go.apa.at/JLnOuH0I)

(15) Gastarbeiter in Österreich: https://go.apa.at/VqKNvrLX  (archiviert: https://go.apa.at/nJiPrLeA)

(16) Längeres Video mit Behauptung: https://go.apa.at/WcvZHv04 (archiviert: https://go.apa.at/eP2BhlbK , archiviertes Video: https://go.apa.at/gULqdBnP)

 

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Florian Schmidt / Anna Wintersteller