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blog / Freitag 03.05.24

APA Check Avatar Falschinformationen rund um mutmaßlichen Wolfsbiss

APA/dpa/Symbolbild

Postings mit einem tausendfach geteilten Video eines verwundeten Ponys sorgen derzeit für Aufsehen im Internet (1). In Zell am Moos am Irrsee in Oberösterreich soll demnach ein Wolf das Tier attackiert und aus dem Stall gezerrt haben. Der Wolfsbeauftragte hätte den Mantel des Schweigens über diesen Vorfall hüllen wollen und die Besitzer zu einer entsprechenden Unterschrift genötigt haben (2,3,4).

Relevanz hat das Thema nicht erst seit im Spätsommer 2022 das Pony von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Niedersachsen von einem Wolf gerissen wurde (5). Dieser Wolf war zu diesem Zeitpunkt per Ausnahmegenehmigung zum Abschuss freigegeben. Der Interessenskonflikt rund um Wölfe in Teilen Europas kochte ein Jahr später erneut hoch (6).

Einschätzung: Das Video ist echt und stammt von einem Vorfall Mitte April in Oberösterreich. Aufgenommen wurde es vom Besitzer des Ponys. Sowohl er als auch der herbeigerufene Wolfsbeauftragte versicherten gegenüber der APA, dass keine Vereinbarung zum Stillschweigen aufgesetzt wurde. Weiters wurden in verschiedenen Postings zum Ort, Zeitpunkt und Hergang der Attacke falsche Angaben gemacht und Aussagen falsch wiedergegeben. Ob es sich bei dem Angreifer tatsächlich um einen Wolf handelte, wird sich zudem nicht zu 100 Prozent beweisen lassen.

Überprüfung: Nach einem Hinweis per E-Mail begab sich APA-Faktencheck auf Spurensuche im Fall rund um das kurze Video. Im Zuge der Recherchen wurden der Besitzer des Tieres, die zur Versorgung herbeigerufene Veterinärmedizinerin, sowie der oberösterreichische Wolfsbeauftragte für die Region südlich der Donau und ein Vertreter der Abteilung Land- und Forstwirtschaft des Landes Oberösterreich kontaktiert.

Damit konnten der Hergang der Ereignisse rekonstruiert und bei Facebook kursierende Falschbehauptungen widerlegt und richtiggestellt werden: In der Nacht von Montag, 15. April 2024, auf Dienstag, 16. April 2024, wurden die Besitzer des attackierten Ponys laut dem zuständigen Wolfsbeauftragten Georg Schmidinger von Hundegebell und anderen tierischen Geräuschen geweckt.

Verletztes Pony vom Besitzer erstversorgt

„Der Vorfall ereignete sich ungefähr zu Mitternacht. Es ist rund gegangen im Stall, die Hunde wurden hellhörig, liefen in den Stall und vertrieben das fremde Tier“, erklärte Schmidinger gegenüber APA-Faktencheck. Die herbeieilenden Besitzer nahmen demnach die Erstversorgung des verletzten Tieres vor. Diese Aussagen decken sich mit jenen des Besitzers.

„Sie haben in den frühen Morgenstunden den Tierarzt verständigt, der hat es sofort verarztet, so wie es gehört. Anschließend haben sie die Wolfshotline angerufen. Das ist das übliche Procedere“, erklärt Schmidinger, einer von aktuell drei Wolfsbeauftragten im Land Oberösterreich.

Beim herbeigerufenen Tierarzt handelte es sich um eine Veterinärmedizinerin. Für sie war es laut eigener Aussage der erste Angriff, der möglicherweise auf einen Wolf zurückzuführen ist. Eine DNA-Probe konnte sie nicht mehr entnehmen, da die Besitzer das Pony „sehr gut grundversorgt“ und die Wunden bereits genäht und desinfiziert hätten. Sie habe das Pony dann, wie auf dem Video zu sehen ist, an den verwundeten Stellen rasiert.

Sie und Schmidinger begegneten einander nicht. Der Wolfsbeauftragte begutachtete den Schauplatz erst am 17. April. Gerufen wurde er nicht nur wegen des verwundeten Ponys, sondern auch wegen eines gerissenen Rehbocks. „Witterung und Rehbock waren frisch. DNA hält sich bei diesen Temperaturen eine Woche lang“, erklärte Schmidinger. Da am Pony keine verwertbaren DNA-Proben mehr abzunehmen waren, reichte auch dort ein Begutachtung am Folgetag.

Zahlreiche Falschangaben in Postings zum Video

Falsch ist laut einem in mehreren Gruppen geteilten Beitrag, an den das Video gehängt wurde, nicht nur die Ortsangabe. Der Vorfall ereignete sich nicht in Zell am Moos, sondern an anderen Ufer des Irrsees im Gemeindegebiet von Oberhofen am Irrsee. Auch das Datum wird in den am 25. und 26. April geteilten Postings mit „gestern Nacht“ falsch angegeben (7).

Dass der noch unbekannte Angreifer das Pony aus dem Stall gezerrt haben soll, ist laut Schmidinger „vom Anfang bis zum Ende voller Unsinn.“ Der Vorfall habe in einem sogenannten Offenstall (8) stattgefunden. Dort können die Tiere frei ein- und ausgehen. „Dass er das Pony aus dem Stall gezogen haben soll, ist Blödsinn“, sagte auch der Tierbesitzer. Das angreifende Tier dürfte über eine Absperrung gesprungen sein und habe das Pony attackiert – ob direkt im Stall oder im Außenbereich, lässt sich nicht rekonstruieren.

Gutes Einvernehmen statt Zwang zum Stillschweigen

Am schlimmsten findet Schmidinger allerdings die Behauptung, er habe dem Besitzer des Ponys eine Unterschrift abgerungen, nicht über den Vorfall zu sprechen. Das sei eine „fast kriminelle“ Unterstellung. „Ich war von Anfang bis zum Ende mit dem Jagdleiter und dem Ponybesitzer in gutem Einvernehmen. Man hat alles klar und sachlich ausgeredet“, sagte der Wolfsbeauftragte gegenüber APA-Faktencheck.

Das bestätigte auch der Besitzer des verwundeten Tieres (9): „Der Wolfsbeauftragte war etwa drei Stunden da und hat sehr genau gearbeitet. Er hat sechs DNA-Proben vom Rehbock entnommen. Beim Pony keine, weil wir es erstversorgen mussten. Sonst wäre es am nächsten Tag verendet.“ Dem Tier gehe es mittlerweile wieder gut.

Die Erstversorgung des Ponys war auch laut dem Wolfsbeauftragten die richtige Entscheidung. Diese stehe über dem Nachweis, ob es sich bei dem Angreifer um einen Wolf handle oder nicht. „Tierleid geht vor irgendwelchem Bürokratismus“, so Schmidinger, der selbst Forstverwalter ist.

Video war nicht für Öffentlichkeit bestimmt

Der Besitzer des Tieres erklärte gegenüber APA-Faktencheck, dass er selbst das Video angefertigt hatte, um es den Wolfsbeauftragten des Landes zu schicken: „Erst in späterer Folge haben das auch andere Leute bekommen. Irgendwer dürfte das dann online gestellt und etwas dazu gedichtet haben.“

Nie habe er von einer Wolfsattacke gesprochen. „Ich habe geschrieben ‚vermeintlich‘. In Klammer habe ich dazu geschrieben ’noch nicht bestätigt‘, damit das alles auch seine Richtigkeit hat. Auch, dass sich der Wolfsbeauftragte vom Land vorbildlich verhalten hat. Der war wirklich lang da“ – all das ist in den Postings nicht zu lesen.

Wolf als Angreifer nur eine Theorie

Dass es sich bei dem angreifenden Tier um einen Wolf handeln könnte, war nicht sofort seine Mutmaßung: „Das hat sich erst am nächsten Tag zusammengefügt, als mein Jagdkollege zirka 800 Meter entfernt einen gerissenen Rehbock gefunden hat. In der flanke hatte er die gleichen Bissspuren wie mein Pony.“

Dennoch könne man die beiden Attacken nur schwer miteinander vergleichen, so Schmidinger: „Der Wildkörper Reh ist viel weicher, da ist die Verletzung mit einem Biss schon fürchterlich. Beim Pony hat es sicher zwei bis drei Minuten gedauert.“ Der Wolfsbeauftragte zählte an die sieben Beißversuche, aber: „Er ist nicht durchgedrungen.“

„Er“ könnte in diesem Fall den Spuren nach ein einjähriger, ungeübter Wolf sein, erklärte Schmidinger. Manche Tiere entfernen sich demnach in diesem Alter bereits vom elterlichen Rudel. In seltenen Fällen könnten sie in diesem Alter bereits durch Proben identifiziert werden. Wolfsnachweise nach sogenannten SCALP-Kriterien (10) werden vom „Österreichzentrum Bär Wolf Luchs“ (ÖZ) veröffentlicht (11).

Auch DNA-Proben bringen keine totale Sicherheit

Die DNA-Proben vom gerissenen Rehbock wurden laut Benjamin Öllinger von der Direktion für Landesplanung, wirtschaftliche und ländliche Entwicklung an das Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien (FIWI) geschickt (12). Die Ergebnisse sollen Mitte nächster Woche vorliegen.

Diese sind vor allem für eine eventuelle finanzielle Entschädigung des Grundbesitzers wichtig. Erst dann würde es tatsächlich „Papiere zum Unterschreiben“ geben, so Schmidinger. Die Höhe solcher Entschädigungsauszahlungen orientiere sich an kalkulierten und regelmäßig valorisierten Beträgen je Tierart, erläuterte Öllinger. Diese würden vorrangig von der Landwirtschaftskammer für Oberösterreich festgelegt. „Im Einzelfall können auch bestimmte Tierarztkosten abgegolten werden“, so Öllinger.

Die Erstellung des Gutachtens obliegt dem zuständigen Wolfsbeauftragten. Im Zweifelsfall wie hier, wo Proben lediglich an einem in der Nähe gerissenen Wildtier entnommen werden konnten, werde zugunsten des Grundeigentümers ausbezahlt. „Ich kann den Wolf nicht ausschließen, auch wenn ich nicht sicher behaupten kann, dass er es war. Den 100-prozentigen Beweis wird es in diesem Fall nicht geben“, schloss Schmidinger.

Update 10. Mai 2024: Mittlerweile hat eine DNA-Auswertung bestätigt, dass es sich bei der Attacke auf den Rehbock um einen Wolfsriss gehandelt hat: https://ooe.orf.at/stories/3256472/ .

Quellen:

(1) Posting in der Facebook-Gruppe „Bauern Informieren“: https://go.apa.at/eAPMpaQD (archiviert: https://perma.cc/28FE-VJ34)

(2) Posting in der Facebook-Gruppe „Aktuelle Risse“: https://go.apa.at/iNUikabJ (archiviert: https://archive.ph/812WK)

(3) Posting mit verkürztem Zitat des Tierhalters: https://go.apa.at/rUUeTF89 (archiviert: https://perma.cc/H6DJ-2D54)

(4) Archiviertes Video zu allen Postings: https://go.apa.at/9w7NpBCN

(5) derstandard.at zu Von der Leyens Pony: https://go.apa.at/iMMPOn5R (archiviert: https://archive.ph/8kBGT)

(6) Presseaussendung der EU-Kommission: https://go.apa.at/rj4E6qZX (archiviert: https://archive.ph/xNGPw)

(7) Wolfssichtungen in Oberösterreich: https://go.apa.at/OUfvpmmy (archiviert: https://perma.cc/9REG-VSFM)

(8) Erläuterung Offenstall: https://go.apa.at/dyeL5j44 (archiviert: https://perma.cc/PL4J-UYSH)

(9) Artikel auf meinbezirk.at: https://go.apa.at/X14B6Xqn (archiviert: https://perma.cc/UWG7-6XEG)

(10) Monitoring und SCALP-Kriterien: https://go.apa.at/MUz57hBd (archiviert: https://perma.cc/A5Z6-4KEE)

(11) Aktuelle Verbreitungskarten des ÖZ: https://go.apa.at/ez7cPb8s (archiviert: https://perma.cc/UP86-D9Q6)

(12) Webseite des FIWI: https://go.apa.at/Cs5YqyJF (archiviert: https://perma.cc/3NRU-PHGM)

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Stefan Rathmanner / Florian Schmidt