Aktuell sorgt eine Gesetzesnovelle aus Irland international für Aufsehen. Hintergrund ist ein ehemaliges Gesetz zur Bekämpfung von Hass aus dem Jahr 1989 (1), dem Zahnlosigkeit vorgeworfen wurde (2). 2022 wurde es novelliert und nun ist es als Gesetzesentwurf in Bearbeitung (3,4). Das nehmen angebliche Demokratie-Verfechter zum Anlass, einen Angriff auf die Redefreiheit bzw. sogar ein Verbot des Teilens von nicht am „Mainstream“ orientierten Medieninhalten zu orten (5,6,7).
Einschätzung: Die Gesetzesnovelle ist in Irland tatsächlich umstritten. Während es mehrere Änderungen zwischen dem alten Gesetz und dem aktuellen Gesetzesentwurf gibt, bleibt das Teilen von „alternativen Medien“ aber weiterhin erlaubt.
Überprüfung: Die Behauptungen in Sozialen Medien und Online-Blogs beziehen sich meistens direkt auf die Gesetzesnovelle, allerdings scheinen sie entweder die Inhalte misszuverstehen oder falsch darzustellen. Weder im alten noch im neuen Gesetz gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass das Lesen oder Teilen von „alternativen Medien“ verboten wäre. Das bestätigten sowohl das irische Justizministerium als auch die irische NGO Irish Council for Civil Liberties (ICCL) der APA auf Anfrage.
Unter dem Gesetzesentwurf ist die Verbreitung von Material, das zu Hass oder Gewalt anstiftet, strafbar – egal welche Plattform die Inhalte verbreitet. Das heißt, „Nicht-Mainstream-Medien“ könnten natürlich schon unter den Anwendungsbereich des künftigen Gesetzes fallen, es ist aber nicht darauf ausgelegt.
Das irische Justizministerium erklärte gegenüber der APA, dass mit dem Gesetzesentwurf neben der Verurteilung von Hassverbrechen gleichzeitig die Meinungsfreiheit ausreichend geschützt werde und verwies auf den Abschnitt 12 des Entwurfs. Demzufolge würde eine Diskussion oder Kritik beispielsweise zu einem gesellschaftspolitischen Thema nicht als Hassrede eingestuft werden. Vielmehr gehe es darum, die vorsätzliche oder fahrlässige Verbreitung von Hassrede zu kriminalisieren. „Das Recht auf freie Meinungsäußerung gibt niemandem das Recht, es zum Aufruf von Gewalt oder Hass zu missbrauchen“, betonte das Ministerium.
Die Behauptungen im Internet drehen sich auch um eine angebliche Beweislastumkehr. Usern zufolge müsse ab sofort der Beschuldigte seine Unschuld beweisen – und nicht umgekehrt. Auch diese Darstellung ist bis zu einem gewissen Grad irreführend.
Wie das Irish Council for Civil Liberties (ICCL) der APA mitteilte, geht sowohl aus dem Gesetz von 1989 als auch aus dem aktuellen Gesetzesentwurf hervor, dass theoretisch alleine der Besitz von zu Hass anstiftendem Material für eine Anklage reicht, wenn die plausible Annahme vorliegt, dass das Material zur Veröffentlichung bestimmt war. Die beschuldigte Person müsste dann glaubhaft das Gegenteil beweisen. Das ist tatsächlich eine Umkehrung der Beweislast. Allerdings war diese laut ICCL bereits Teil des alten Gesetzes und führte zu sehr wenigen Anklagen.
Was stimmt, ist, dass sich Beschuldigte zuvor in Bezug auf den Inhalt der Hassbotschaft auf Unwissenheit oder fehlende böse Absicht berufen konnten. Das dürfte jetzt schwieriger werden. „Euronews“ (8) zufolge gilt die Behauptung der Unschuld nun nicht mehr als „Ausrede“. Das ICCL, das diesem Teil des Gesetzesentwurfs kritisch gegenübersteht, wies darauf hin, dass die Beschuldigten jetzt auch wegen fahrlässiger Anstiftung zu Hass verurteilt werden könnten. Die Schwelle für fahrlässiges Verhalten sei niedriger als für Absicht, sagte das ICCL auf APA-Anfrage.
Die Organisation macht sich dafür stark, dass diese Passage gestrichen wird, da ihrer Ansicht nach die eindeutige Absicht zur Verbreitung fehle. Ein Schlüsselelement des Verbrechens „Anstiftung zum Hass“ („incitement to hatred“) sei schließlich die öffentliche Dimension.
Das Justizministerium wies darauf hin, dass Beschuldigte sowohl im bisher gültigen Gesetz als auch in der neuen Vorlage die Möglichkeit hätten, glaubhaft zu machen, dass sie niemals geplant hätten, das zu Hass oder Gewalt anstiftende Material zu veröffentlichen. Mit dem neuen Gesetz wollte die irische Justizministerin Helen McEntee verhindern, dass eine Verurteilung nur zustande komme, wenn dem Beschuldigten eine „subjektive Motivation“ eine Straftat zu begehen nachgewiesen werden könne.
Das alte Gesetz hat nach Angaben von McEntee (9) in 30 Jahren nur zu rund 50 Anklagen geführt, weswegen es häufig als wirkungslos kritisiert wurde. Sie und andere Unterstützer der Neuerung hoffen, dass „hate crimes“ ab sofort einfacher vor Gericht landen können.
Die geplante Gesetzesänderung schlug ungewohnt hohe Wellen: So kritisierte sie Donald Trump Jr. als „verrückt“, während sie Twitter-Chef Elon Musk als „sehr beunruhigend“ bezeichnete (10). Der irische Interims-Justizminister Simon Harris, der McEntee während ihrer Karenz vertritt, entgegnete, der Gesetzesentwurf ziele nicht darauf ab, „die Gedanken der Menschen zu kontrollieren“. Vielmehr gehe es darum, Minderheiten vor Hass und körperlicher Gewalt zu schützen (11).
Es gibt noch weitere Änderungen zwischen den beiden Gesetzestexten. Unter anderem wird nun die Verleugnung von Genozid oder Kriegsverbrechen explizit kriminalisiert. Auch neu ist, dass eine fahrlässige Anstiftung zu Gewalt im Ernstfall für eine Strafe reicht – ebenso eine erfolglose Anstiftung, also wenn ein Versuch scheiterte, andere zu Hass oder Gewalt anzustiften.
Der Entwurf von 2022/2023 nennt auch mehr geschützte Minderheiten. Neben Ethnie, Geschlecht und sexueller Orientierung sind unter anderem auch Behinderung oder Gender-Identität mitgemeint. Zudem wird klargestellt, dass der Entwurf im Gegensatz zum alten Gesetz auch explizit Hass im Netz beinhaltet.
Außerdem soll die Strafverfolgung vereinfacht werden. Bisher wurde Hassrede nach dem „Prohibition of Incitement to Hatred Act“ von 1989 geahndet, Hassverbrechen indes unter dem Allgemeinen Strafrecht. Die neue Gesetzesvorlage soll sicherstellen, dass Hass-motivierte Straftaten als Hassverbrechen verfolgt werden können, so das irische Justizministerium.
Der aktuelle Gesetzesentwurf befindet sich noch im Gesetzgebungsverfahren (12). Ende April verabschiedete das Dail (irisches Repräsentantenhaus) die Gesetzesvorlage mit 110 zu 14 Stimmen. Jetzt liegt sie vor dem Seanad (irisches Oberhaus), dem letzten Schritt vor der Unterzeichnung durch den irischen Präsidenten Michael D. Higgins.
Quellen:
(1) Gesetz zur Bekämpfung von Hass von 1989: https://go.apa.at/TbrX4cRN (archiviert: https://archive.ph/jz8Gn)
(2) Beitrag von irischer Justizministerin Helen McEntee: https://go.apa.at/A4wCvv5L (archiviert: https://archive.ph/Un080)
(3) Neuer Gesetzesentwurf: https://go.apa.at/awOBiU96 (archiviert: https://perma.cc/X4PZ-MRS3)
(4) Status Quo im Verfahren zur Novelle: https://go.apa.at/2l8FNzbA (archiviert: https://archive.ph/cUppi)
(5) Artikel von „tkp“: https://go.apa.at/jt2uLQrl (archiviert: https://archive.ph/ge8AZ)
(6) Artikel von „Mercatornet“: https://go.apa.at/dm37xgh0 (archiviert: https://archive.ph/oj7QU)
(7) Archivierter Tweet: https://go.apa.at/xrNMOVwm
(8) Artikel von „Euronews“: https://go.apa.at/OicXzeum (archiviert: https://archive.ph/x1e4X)
(9) Presseaussendung von irischer Regierung zu Gesetzesentwurf: https://go.apa.at/ktr8whjy (archiviert: https://archive.ph/zYehX)
(10) Artikel der „Irish Times“ über Aussagen von Trump Jr. und Musk: https://go.apa.at/pM60FOUh (archiviert: https://archive.ph/5Pv1P)
(11) Artikel der „Irish Times“ über Aussagen von Harris: https://go.apa.at/DdzZzf90 (archiviert: https://archive.ph/fOfUT)
(12) Der Weg zum Gesetz in Irland: https://go.apa.at/OIUo408c (archiviert: https://archive.ph/LBC22)
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Jules Walker/Valerie Schmid/Stefan Rathmanner