Der ehemalige EU-Kommissar Thierry Breton hat sich jüngst für die Einhaltung von EU-Gesetzen durch soziale Netzwerke und ihre Eigentümer ausgesprochen. In ebendiesen wurde seine Äußerung jedoch in einen falschen Kontext gestellt.
Breton soll laut mehreren Facebook-Postings und Artikeln (1, 2 und 3) gedroht haben, die bevorstehende Bundestagswahl in Deutschland für ungültig zu erklären. Gleichzeitig habe er zugegeben, dass die EU-Kommission für die Annullierung der Präsidentenwahl in Rumänien verantwortlich sei, lautet die Behauptung.
Einschätzung: Der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar hat das nicht gesagt. Seine Aussagen wurden einem Interview entnommen und in einen anderen Zusammenhang gestellt.
Überprüfung: „Wir haben es in Rumänien getan und wir werden es offensichtlich, falls nötig, auch in Deutschland tun müssen“, lautet das Zitat, das in den sozialen Medien kursiert und als Angriff auf die Demokratie gewertet wird. Es stammt aus einem Interview (4), das der Ex-EU-Kommissar am 9. Jänner dem französischen Sender BFMTV/RMC gegeben hatte. Breton, der von 2019 bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden im September 2024 EU-Kommissar für den Binnenmarkt und Dienstleistungen war, gilt als federführend bei der Entstehung des Gesetzes über digitale Dienste (5) (Digital Services Act/DSA) der EU. Die Betreiber großer Plattformen wie beispielsweise Facebook werden mit dem DSA (6) verpflichtet, die Verbreitung illegaler Inhalte wirksam zu bekämpfen.
Breton thematisierte Musks Einmischung
In dem Interview mit BFMTV/RMC wurde der Franzose zur Einmischung (6) des amerikanischen Chefs von Tesla und X, Elon Musk, in den Wahlkampf in Deutschland befragt. Musk hatte Breton wegen der Vorschriften des DSA in der Vergangenheit scharf kritisiert. Musks Plattform X und sein Konflikt mit EU-Gesetzen waren auch Themen in dem Gespräch.
„Grundsätzlich hat er (Musk) das Recht zu denken und zu sagen, was er will, auch wenn er es auf schockierende Weise tut“, sagt Breton darin. „Was er hingegen in dem Netzwerk tut, auch wenn es ihm gehört: Sobald er in Europa operiert, regulieren wir. Das Gesetz ist da“, antwortete Breton auf die Frage, ob X in der Europäischen Union verboten werden könne.
Er sei sich sicher, dass „wir alle Maßnahmen ergreifen werden, um sicherzustellen, dass er (Musk, Anm.) sich an das Gesetz hält. Wenn er sich nicht daran hält, drohen Geldstrafen und die Möglichkeit eines Verbots“, unterstrich Breton, dass Musk die EU-Regeln einhalten müsse. „Wir sind ausgerüstet und es ist notwendig, diese Gesetze durchzusetzen, um unsere Demokratien in Europa zu schützen.“
Darauf folgt das missbräuchlich verwendete Zitat (Minute 02:35): „Lassen Sie uns abwarten, was passiert. Bewahren wir einen kühlen Kopf und setzen wir unsere Gesetze in Europa durch, wenn diese umgangen werden könnten. Und die, wenn sie nicht durchgesetzt werden, zu Einmischungen führen könnten. Das haben wir in Rumänien getan und müssen es natürlich auch in Deutschland tun, wenn es nötig ist.“
EU leitete Verfahren gegen TikTok wegen Rumänien ein
Breton bezog sich damit darauf, dass die EU-Kommission vor Weihnachten gemäß dem Digital Services Act ein Verfahren (7) gegen den chinesischen Videodienst TikTok eingeleitet hatte. Laut einer Presseaussendung vom 17. Dezember hegt die EU-Behörde den Verdacht, dass TikTok gegen den DSA verstoßen haben könnte, da die Plattform keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen habe, um Risiken für die Rechtmäßigkeit der Präsidentenwahlen in Rumänien Ende November zu vermeiden.
„Nachdem wir ernste Hinweise darauf erhalten haben, dass ausländische Akteure sich mithilfe von TikTok in die Präsidentschaftswahlen in Rumänien eingemischt haben, prüfen wir nun gründlich, ob TikTok gegen das Gesetz über digitale Dienste verstoßen hat, indem es diesen Risiken nicht entgegengewirkt hat“, teilte die EU-Kommission mit. Es handelt sich dabei bereits um die dritte Untersuchung, die von Brüssel gegen TikTok eingeleitet wurde.
Der zuvor wenig bekannte Nationalist Calin Georgescu hatte am 24. November überraschend die erste Runde der Präsidentenwahl (8) in Rumänien gewonnen. Zwei Tage vor dem Termin für die Stichwahl beschloss Rumäniens Verfassungsgerichtshof (9) die Annullierung des Wahlergebnisses.
Aus Dokumenten gehe hervor, dass Georgescu von einer unfairen Kampagne in den sozialen Netzwerken profitiert habe, die vermutlich von Russland gesteuert worden sei, hieß es in der Begründung. Moskau bestritt, dass es sich in die Wahl eingemischt habe. Seit dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 6. Dezember kam es immer wieder zu Demonstrationen für Georgescu.
EU-Kommissar kommentierte Anwendung des DSA, nicht Wahlannullierungen
Breton hat sich also zur Anwendung des DSA in Rumänien und eventuell in Deutschland geäußert, ohne eine Annullierung von Wahlen in den Raum zu stellen. Dennoch verbreitete beispielsweise die Webseite Visegrad24.com (10) auf Musks Kurznachrichtendienst X: „Der ehemalige EU-Kommissar Thierry Breton sagt, die EU habe Mechanismen, um einen möglichen Wahlsieg der AfD zu verhindern: „Wir haben es in Rumänien getan und wir werden es natürlich auch in Deutschland tun, wenn es nötig ist.““
Von einem derartigen Mechanismus hat Breton zu keinem Zeitpunkt gesprochen. Unter Verweis auf die Behauptung von Visegrad24.com bezeichnete Musk (11) jedoch am 11. Januar den einstigen EU-Kommissar als „Tyrann Europas“. Breton reagierte daraufhin gefasst: „Aber nein, @elonmusk: Die EU hat KEINEN Mechanismus, um irgendeine Wahl irgendwo in der EU zu annullieren.“ Er habe nur über die Anwendung des DSA und der damit verbundenen Pflichten für große Netz-Plattformen gesprochen, stellte der Ex-EU-Kommissar klar.
Auch in Österreich kann die EU-Kommission kein Wahlergebnis annullieren. Über eine Anfechtung von Wahlen (12) erkennt der Verfassungsgerichtshof.
Quellen
(1) Facebook-Posting 1: https://go.apa.at/RnZ7Vbkz (archiviert: https://go.apa.at/MgcxSpG9)
(2) Facebook-Posting 2: https://go.apa.at/Q63jisbw (archiviert: https://go.apa.at/f9rRcZBd)
(3) Facebook-Posting 3: https://go.apa.at/OOVqXpLQ (archiviert: https://go.apa.at/EPera28e)
(4) Interview mit BFMTV/RMC : https://go.apa.at/IXg3GYFv (archiviert: https://go.apa.at/uACPeHKh)
(5) Bundesministerium für Justiz zu DSA: https://go.apa.at/9tzxE2Wx (archiviert: https://go.apa.at/ALu6fPnU)
(6) EU-Kommission zu DSA: https://go.apa.at/fL1pIWio (archiviert: https://go.apa.at/es2ocicU)
(7) EU-Verfahren gegen Tik Tok : https://go.apa.at/twv3HsNw (archiviert: https://go.apa.at/DQJZvhFA)
(8) ÖAW-Historiker Schmitt zur Präsidentenwahl in Rumänien: https://go.apa.at/yeKQtDI2 (archiviert: https://go.apa.at/0soy29ue)
(9) Beschluss Verfassungsgerichtshof Rumäniens: https://go.apa.at/FFcpo6wd (archiviert: https://go.apa.at/5LE3ylqP)
(10) Visegrad24.com: https://go.apa.at/uS4Sm8jf (archiviert: https://go.apa.at/AB3cm7Dh)
(11) Musk und Breton auf X: https://go.apa.at/GKj8wkd1 (archiviert: https://go.apa.at/VRO9RVC3)
(12) Wahlanfechtung in Österreich: https://go.apa.at/06Ng6CNB (archiviert: https://go.apa.at/E1DM4Zgj)
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