Muslimen in Österreich wird oft unterstellt, dass sie bei Beihilfen oder staatlichen Geldern bevorzugt werden. Vor allem in den sozialen Medien verbreiten sich Behauptungen, die oft aber auf Fehlinterpretationen basieren. So auch mit einem Sharepic (1), das seit 2015 kursiert und behauptet, Muslimas dürften ihre Ehemänner auf Kosten der Krankenkasse auf Kur mitnehmen. Diese „Ausnahme“ erfolge aus religiösen Gründen.
Einschätzung: Unabhängig von Religion gelten bei österreichischen Krankenkassen für alle Versicherten dieselben Regeln. Daher werden Muslimas weder bei Kassenplätzen für Kuraufenthalte bevorzugt noch dürfen sie männliche Familienmitglieder mitnehmen. Muslimas sind auch laut einem Experten nicht mehr aus religiösen Gründen verpflichtet, mit Begleitung zu reisen.
Überprüfung: Was Muslimas dürfen oder nicht dürfen, ist im Rahmen religiöser Parameter kein Monolith und hängt von Zeit und Ort ab. Laut Dr. Ahmed Gad Makhlouf, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter an dem Institut für Islamisch-Theologische Studien an der Universität Wien geht der Ansatzpunkt für den Diskurs auf eine Überlieferung des Propheten Muhammad zurück. Diese beanstandet, dass eine Frau eine Reise ohne einen Mahram (eines männlichen Verwandten ersten oder zweiten Grades der Frau) unternimmt. „Aufgrund dessen verbieten viele muslimische Gelehrte in der klassischen Rechtsliteratur Frauen, derartige Reisen alleine zu unternehmen“, sagte Makhlouf in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA.
„In der Gegenwart plädieren mehrere offizielle Gremien für die islamische Jurisprudenz (Fiqh) innerhalb mehrheitlich muslimischer Länder (z. B. das ägyptische Fatwa-Amt und das Fatwa-Amt in Jordanien) für die Zulässigkeit der Reise einer Frau ohne männliche Begleitung,“ sagte er weiter. Dies erfolge unter anderem „aufgrund der größeren Sicherheit im Verkehr in der Gegenwart verglichen mit der Vergangenheit.“
Obwohl verschiedene Parteien innerhalb des Islams solche Verbote noch vertreten, sind diese laut Makhlouf oft nicht mehr zeitgemäß – vor allem wenn man etwa an das vorliegende Szenario eines Kuraufenthaltes denkt. Einerseits spreche die Änderung von sozialen Umständen wie etwa die Sicherheit moderner Verkehrsmittel dagegen, andererseits die Notwendigkeit einer Kur für die Gesundheit der Frau. „Hinter dieser steht die Prämisse des ‚Schutz des Lebens‘, die eines der wesentlichen islamischen Rechtsgüter bildet. Somit untermauert die Berücksichtigung der genannten Faktoren die Zulässigkeit einer Muslimin alleine auf Kur zu fahren, und trägt zur Erleichterung der Planung derartiger Reisen durch die Krankenkassen und Kurorte bei“, sagte er.
Auch von Seite der österreichischen Gesundheitskassen wird die Behauptung abgelehnt. Laut der stellvertretenden Pressesprecherin der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK, 2), Viktoria Frieser, stimmt die Behauptung nicht: „In verschiedenen Konstellationen und auch bei entsprechenden freien Ressourcen besteht die Möglichkeit, auf Eigenkosten als Begleitperson bei einer Kur vor Ort zu sein“, sagte sie auf Anfrage von APA-Faktencheck. „Das gilt für alle unsere Versicherten, unabhängig von Nationalität, Geschlecht oder Alter.“ Die Ausnahme bildete die Kinderrehabilitation, sagte Frieser weiter in dem Statement. „Im Rahmen der Kinderrehabilitation sind Begleitpersonen üblich, weil es Sinn macht, über die Weiterführung der Therapie zu Hause Bescheid zu wissen.“
Die Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS), die etwa 1.3 Millionen Menschen in Österreich betreut (3), wies die Behauptung ebenfalls ab. „(…) Kuraufenthalte (stellen) grundsätzlich freiwillige Leistungen dar, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Sämtliche Kuraufenthalte müssen über einen Antrag des Haus- oder Facharztes bei der SVS bewilligt werden,“ hieß es seitens der SVS Newsroom auf APA-Anfrage. „Seitens SVS werden generell keine Daten zu Religion oder Herkunft erhoben. Es kommt zu keiner Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund von Religion/Herkunft. Damit ist die Behauptung des Postings haltlos. Bei Kuraufenthalten sind Begleitpersonen grundsätzlich nicht vorgesehen, in therapeutisch begründeten Ausnahmefällen kann eine Begleitperson bewilligt werden.“ Ob es eine private Versicherung gibt, die solche Leistungen anbietet, bleibt unklar.
Laut Paragraph 155 (4) des österreichischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz gilt, dass die Krankenkasse Kuren gewähren kann, aber dass man als Versicherte:r keinen Rechtsanspruch darauf hat. Unter „Maßnahmen der Krankenversicherungsträger zur Festigung der Gesundheit“ steht, dass Reisekosten an den „wirtschaftlichen Verhältnissen der Versicherten bzw. Angehörigen“ laut Abs. Z 1 bis 3 festgemacht werden. Religiöse Begründungen für Kostenerstattungen werden nicht erwähnt.
Links:
(1) Behauptung auf Facebook: https://go.apa.at/2PKO9hh9 (archiviert: https://archive.ph/tbmDS)
(2) Österreichische Gesundheitskasse: https://go.apa.at/C5NBHFqr (archiviert: https://archive.ph/AhYYU)
(3) SVS: https://go.apa.at/tUtx4pxY (archiviert: https://archive.ph/NgQ8e)
(4) Allgemeines Sozialversicherungsgesetz: https://go.apa.at/FLGq4EaJ (archiviert: https://archive.ph/uuZfP)
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Jules Walker / Stefan Rathmanner / Florian Schmidt