Korruptionsvorwürfe gegen Ukraine mit falschen Daten

In prorussischen Kreisen sind Korruptionsvorwürfe gegen die Ukraine ein gängiges Narrativ. In Sozialen Medien (1) wurde zuletzt etwa behauptet, dass Hunderte Millionen und somit fast die gesamte EU-Hilfe in der Ukraine der Korruption zum Opfer gefallen sei. Als Quelle dafür wird die Staatengruppe gegen Korruption (Greco) genannt. Diese Behauptung wird mit einem Verdachtsfall von Korruption in einer ukrainischen Region in Verbindung gebracht.

Einschätzung: Für eine Veruntreuung von EU-Geldern in dieser Höhe gibt es weder Hinweise noch eine diesbezügliche Stellungnahme von Greco. In Saporischschja gibt es aber den Verdacht des Diebstahls von mehreren Lieferungen an Hilfsgütern.

Überprüfung: Greco (2) gehört zum Europarat (3), der seinen Sitz in Straßburg hat. Er setzt sich für den Schutz der Menschenrechte ein und ist kein Organ der Europäischen Union. Das Greco-Gremium gibt seinen 50 Mitgliedstaaten Empfehlungen, um gegen Bestechung und Korruption in Politik, Justiz und anderen Institutionen vorzugehen. Dazu veröffentlicht es in regelmäßigen Abständen Berichte.

Der aktuellste Bericht (4) von Greco zur Ukraine wurde im Dezember 2021 – also vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs – von den Mitgliedern angenommen und im April 2022 veröffentlicht. Darin kommen keine der genannten Zahlen vor.

Greco teilte zudem der Deutschen Presse-Agentur (dpa) (5) im September 2022 mit, zuletzt kein Statement veröffentlicht zu haben, das eine Beurteilung der Hilfsleistungen für die Ukraine enthält. Seither publizierte die Behörde auch keinen weiteren Bericht zur Ukraine, wie aus einer Auflistung der Presseaussendungen (6) hervorgeht.

Korruptionsverdacht in Saporischschja
Auf Social Media werden die haltlosen Behauptungen hinsichtlich der angeblichen Greco-Aussagen mit einem anderen Vorwurf der Korruption in der Ukraine in Verbindung vermischt. In der südukrainischen Region Saporischschja seien Schiffscontainer, Eisenbahnwaggons und Lastwagen mit humanitärer Hilfe aus der EU gestohlen worden, heißt es. Das habe der „Beauftragte des Antikorruptionsbüros der Ukraine“, Yevhen Shevchenko, gesagt, wird zusammen mit einem angeblichen Video von Shevchenko verbreitet. Hauptverdächtig seien der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak sowie Oleksandr Starukh, der Gouverneuer von Saporischschja.

Es gibt tatsächlich den Verdacht der missbräuchlichen Verwendung von Hilfsgütern in Saporischschja. Das berichtete der ukrainische Sicherheitsdienst (7) am 30. August 2022 mit Verweis auf Untersuchungen des Inlandsgeheimdienstes SBU und der Antikorruptionsbehörde NABU. In ukrainischen Medienberichten (8) wurde zudem dieselbe Anzahl an vermeintlich gestohlenen Gütern genannt wie im Online-Beitrag.

Oleksandr Starukh, der Gouverneuer von Saporischschja, wurde Ende Jänner 2023 auch tatsächlich zusammen mit weiteren ukrainischen Regierungsmitgliedern und Gouverneuren in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen entlassen. Darüber gibt es ebenfalls Medienberichte (9,10). Der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, ist weiter im Amt.

Der angebliche „Beauftragte des Antikorruptionsbüros der Ukraine“, Yevhen Shevchenko, („Євген Шевченко“) – auf den die Behauptungen rund um Saporischschja zurückgehen sollen – ist im gezeigten Video (11) aber nicht zu sehen. Die Person in den Videoausschnitten heißt eigentlich Evgeny Shevchenko („Евгений Шевченко“) und ist ein ukrainischer Politiker und Jurist. Das im Posting enthaltene Video des sprechenden Politikers ist fast zwei Jahre alt und hat nichts mit den Korruptionsvorwürfen in Saporischschja zu tun.

Ein ukrainischer Medienbericht (12) verlinkt auf ein Facebook-Posting (13) von Yevhen Shevchenko vom 30. August 2022, in dem er von der Durchsuchung der NABU in Saporischschja berichtet. Das Profil dürfte authentisch (14) sein.

Höhe der EU-Hilfsgelder an Ukraine
Die tatsächliche Summe an EU-Hilfsgeldern für die Ukraine dürfte viel höher sein als im Video behauptet. So schreibt die EU (15), seit Kriegsbeginn 630 Millionen Euro für die Ukraine bereitgestellt zu haben. Darüber hinaus seien 330 Millionen Euro in ein weiteres Nothilfeprogramm geflossen und 192 Millionen Euro über andere Projekte zur Verfügung gestellt worden.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (16) führt sogar noch höhere Zahlen an: Laut dem „Ukraine Support Tracker“ haben die EU-Institutionen 1,6 Milliarden Euro an humanitärer Hilfe aufgewendet. Die Angabe bezieht sich auf den Zeitraum zwischen 24. Jänner 2022 und 15. Jänner 2023.

Quellen:
(1) Facebook-Posting: http://go.apa.at/GX0wHU6a (archiviert: https://archive.vn/Jf7nC, Video archiviert: https://perma.cc/TRL5-RZME)
(2) Über Greco: http://go.apa.at/Ref2tLGn (archiviert: https://archive.is/7yozN)
(3) Informationen über GRECO und Europarat: http://go.apa.at/YufJ9cZV (archiviert: https://archive.is/sphfO)
(4) Aktuellster Bericht von GRECO zu Ukraine: http://go.apa.at/XnlYW3Yq (archiviert: https://perma.cc/FY3L-Y5FH)
(5) Faktencheck der dpa: http://go.apa.at/YDO0g1Qu
(6) Aktuelle Presseaussendungen von Greco: http://go.apa.at/Xzpeyukx (archiviert: http://go.apa.at/jSIpMrrX)
(7) Aussendung des Sicherheitsdienstes der Ukraine: http://go.apa.at/kA6bHWKC (archiviert: https://archive.is/C9E4F)
(8) Ukrainischer Medienbericht über Verdacht der missbräuchlichen Verwendung von Hilfsgütern in Saporischschja: http://go.apa.at/INCUWkCP (archiviert: http://go.apa.at/EK5igNyP)
(9) Bericht der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform über Saporischschja: http://go.apa.at/QTdbPvDV (archiviert: https://archive.is/3X8il)
(10) APA-Bericht über Entlassung der Gouverneure: http://go.apa.at/hMRaAPbh (archiviert: https://archive.is/xL6Kt)
(11) YouTube-Video von Evgeny Shevchenko: http://go.apa.at/lVeVluQo (archiviert: https://perma.cc/2KGC-SCZN, Video archiviert: https://perma.cc/6D5Y-YAL4)
(12) Ukrainischer Medienbericht über Verdacht der missbräuchlichen Verwendung von Hilfsgütern in Saporischschja: http://go.apa.at/ZjbgsV0c (archiviert: https://archive.is/vyiVs)
(13) Facebook-Posting von Yevhen Shevchenko: http://go.apa.at/OoAin1xy (archiviert: https://archive.is/3mEpO)
(14) Ukrainischer Medienbericht über Yevhen Shevchenko: http://go.apa.at/x8umMtS9 (archiviert: https://archive.is/iMO67)
(15) Hilfe der EU für Ukraine: http://go.apa.at/7kSNPncd (archiviert: https://archive.is/PB4gN#25%)
(16) Datensatz des Ukraine Support Trackers (Download): http://go.apa.at/pAgtKcoe (archiviert: https://perma.cc/2HXA-F3VR)

Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at.Die Texte vieler deutschsprachiger Faktencheck-Teams finden Sie auf der Seite des German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO) unter: www.gadmo.eu

Valerie Schmid / Florian Schmidt