Seit Monaten suchen Impfgegner nach Argumenten, um auf die Gefahr von Corona-Impfungen hinzuweisen. Nun macht sich in ihren Kreisen eine andere Sorge breit: Die Impfung soll von Mensch zu Mensch einfach über Hautkontakt oder „Inhalation“ übertragbar sein. Dies soll Impfstoffhersteller Pfizer selbst eingestanden haben.
Dabei werden in sozialen Medien vor allem Artikel von umstrittenen Nachrichtenportalen wie „Epoch Times“ (1) oder „Legitim“ (2) geteilt. Auch in einem „Wochenblick“-Artikel war die Behauptung zeitweise zu lesen (3).
Zu überprüfende Information: Der mRNA-Impfstoff von Pfizer kann nach der Impfung durch Hautkontakt oder Aerosole übertragen werden. Pfizer hat dies eingestanden.
Einschätzung: Das ist falsch. Eine Übertragung des Impfstoffes durch Geimpfte an Ungeimpfte ist nicht möglich. Eine Stelle in einer Pfizer-Studie wird missinterpretiert.
Überprüfung: Die Behauptung greift auf einen Mythos zurück, der seit einiger Zeit weltweit unter Impfgegnern kursiert. Diese behaupten, dass Impfstoffe oder im Fall der Covid-Impfung produzierte Spike-Proteine von Mensch zu Mensch übertragen werden können. In ihrem Weltbild bildet dies eine Gefahr. Das geht so weit, dass einige Impfgegner bereits dazu aufrufen, Abstand zu Geimpften zu halten oder sogar über das Tragen von Masken nachdenken, wie etwa „Vice“ (4) berichtet.
Im April waren im englischsprachigen Raum einige Social Media-Postings zu diesem Mythos zu beobachten (5,6). Die aktuellen Beiträge im deutschsprachigen Raum beziehen sich nun konkret auf eine Phase 1/2/3-Studie des Impfstoffentwicklers Pfizer (7) zur Sicherheit des Impfstoffs. In derartigen Studien werden etwa schwere Symptome nach einer Impfung oder auch Expositionen von Schwangeren erfasst.
Tatsächlich finden sich hier zwei Definitionen von Umwelt-Expositionen bei Schwangeren, also Kontakte mit dem Impfstoff, die bei Laien für Verwirrung sorgen. Zum einen sollen laut Studien-Definition etwa Fälle gemeldet werden, in denen eine Schwangere Kontakt mit der „study intervention“, also der Impfung, durch Hautkontakt oder Inhalation hatte. Zum anderen sollen sogar Fälle gemeldet werden, wenn der Partner einer schwangeren Person einer derartigen Exposition ausgesetzt war. Impfgegner legen dies so aus, dass der Impfstoff übertragbar und für Schwangere besonders gefährlich sein müsse.
Mit einer Übertragung habe dies alles aber nichts zu tun, erklärte Sylvia Nanz, Country Medical Director von Pfizer Austria auf APA-Anfrage. Bei derartigen Studien werden lediglich mögliche Expositionswege berücksichtigt, etwa beim Auftauen und Verdünnen des Impfstoffes. Ein versehentlicher Kontakt mit dem Impfstoff sei hier am ehesten durch Hautkontakt oder Einatmen denkbar.
Wichtig sei jedoch festzuhalten, dass der Impfstoff ausschließlich über eine korrekt verabreichte Dosis bzw. Injektion in den menschlichen Körper gelangen könne. „Durch eine sekundäre Exposition bzw. Umweltexposition (Hautkontakt, Inhalation) kann der Impfstoff/Wirkstoff nicht übertragen werden“, so Nanz. Nachdem kein Virus im Körper erzeugt werde, könne dieser auch keine Viren ausscheiden. Auch die produzierten Spike-Proteine seien an die betreffenden Zellen gebunden, weshalb eine Weitergabe nicht vorstellbar ist.
Die Idee der Übertragung von Covid-Impfstoffen sei „völlig absurd“, sagt Herwig Kollaritsch, Infektiologe und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG) auf Anfrage der APA. Inaktivierte Impfstoffe wie die Covid-Impfungen könnten niemals auf Dritte übertragen werden. Allerdings gebe es bei manchen Lebendimpfstoffen wie dem Varicellen-Impfstoff durchaus die Möglichkeit, dass unter ganz bestimmten Voraussetzungen eine „Übertragung“ möglich sei. Bei anderen Lebendimpfstoffen wie Masern oder Gelbfieber sei dies wiederum nicht der Fall.
Es gibt bereits internationale Faktenchecks, die sich mit dem Thema des „Vaccine Sheddings“ befasst haben, etwa von Reuters (8), USA Today (9) oder AP (10). Auch sie kommen zu dem Schluss, dass weder eine Weitergabe des Impfstoffs noch der Spike-Proteine möglich ist.
Technisch gesehen ist es jedoch durchaus möglich, dass die Menschheit einen Impfstoff entwickeln könnte, der sich von Mensch zu Mensch übertragen lässt. So weist etwa die Quelle, die der Artikel der „Epoch Times“ als „Beweis“ verwendet, auf die theoretische Machbarkeit hin. In einem Bericht des Johns Hopkins Centers for Health Security (11) ist auf den Seiten 45 bis 47 ein eigener Aufsatz zu selbstverbreitenden Impfstoffen zu lesen. Auch in anderen wissenschaftlichen Artikeln wird das Thema diskutiert (12, 13, 14).
Dies wäre demnach aber nur mit Lebendimpfstoffen möglich. Zudem stelle sich die ethische Frage, ob dies ohne der Zustimmung eines jeden einzelnen Menschen überhaupt durchführbar wäre. Deswegen sieht man bei derartigen Impfungen eher die Chance, die Übertragung eines Virus von Tieren auf Menschen zu verhindern, indem man Tiere impft. Statt wie bei der Tollwut Tiere einzeln zu impfen, könnte sich die Menschheit eines Tages durch derartige Impfstoffe vor der Übertragung von Viren durch Tiere schützen.
Dies ist jedoch kein neues Forschungsgebiet. Tierversuche mit selbstverbreitenden Impfstoffen wurden schon im Jahr 2001 in einer Hasen-Population (15) durchgeführt.
Quellen:
(1) Epoch Times: http://go.apa.at/bljNdWYT (archiviert: http://go.apa.at/npa3SmAI)
(2) Legitim.ch: http://go.apa.at/N6R163hx (archiviert: https://archive.is/EkxsP)
(3) Wochenblick-Artikel (mittlerweile korrigiert): http://go.apa.at/xj5PNffD (archiviert: https://archive.is/pkwZW)
(4) VICE: http://go.apa.at/B3Ckui9Z (archiviert: https://archive.is/HbchX)
(5) Twitter: http://go.apa.at/7cVN99WN (archiviert: https://archive.is/mSWX0)
(6) Facebook: http://go.apa.at/SXrRMZ1m (archiviert: https://archive.ph/bx9D0)
(7) Pfizer Studie: http://go.apa.at/h417CIw5 (archiviert: https://perma.cc/MP4R-YDVK)
(8) Reuters: http://go.apa.at/MuEEtDBv (archiviert: https://archive.is/00tEG)
(9) USA Today: http://go.apa.at/dzCMBTZb (archiviert: https://archive.is/I6Zca)
(10) AP: http://go.apa.at/r6RSyls7 (archiviert: https://archive.is/DJqRY)
(11) Johns Hopkins Center for Health Security: http://go.apa.at/Kp9K3PMY (archiviert: http://go.apa.at/0t3QUAxC)
(12) „Self-disseminating vaccines to suppress zoonoses“: http://go.apa.at/I4jL3nnA (archiviert: https://archive.is/HpjmK)
(13) „Transmissible Viral Vaccines“: http://go.apa.at/co4gJ6wE (archiviert: https://archive.is/MHA1t)
(14) „Self-disseminating vaccines for emerging infectious diseases“ : http://go.apa.at/FDBULol1 (archiviert: https://archive.is/hyeui)
(15) Versuche in Hasen-Population: http://go.apa.at/gjZ5BSUV (archiviert: https://archive.is/Kx2Yb)
Reichweitestarker Tweet mit Epochtimes-Artikel: http://go.apa.at/kfxPTrjY (archiviert: https://archive.is/m05dM)
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Florian Schmidt / Antonia Potucek