APA-Value / Freitag 27.06.25
Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
Am 15. Mai 1955 unterzeichneten die Außenminister der vier Alliiertenmächte Wjatscheslaw Molotow, Harold Macmillan, John Foster Dulles und Antoine Pinay jenen Vertrag, der die zweite Republik und Unabhängigkeit Österreichs besiegelte.

Wie Nachrichtenagenturen die Realität im Bild bewahren – ein Kommentar von Gerald Piffl und Max Herbst

In einer Zeit, in der Deepfakes und KI-generierte Bilder die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer mehr verwischen und das Vertrauen in visuelle Inhalte grundsätzlich in Frage stellen, ist die Rolle von Nachrichtenagenturen entscheidender denn je. Im visuellen Bereich gelten dazu schon lange hohe Standards.

Wenn man sowohl mit aktuellem als auch mit historischem Nachrichtenmaterial arbeitet, fällt die Entwicklung im Umgang mit der „Nachricht“ auf. Das betrifft nicht nur die Art und Weise wie vor Jahrzehnten über ein Ereignis geschrieben, sondern auch, wie im Bild darüber berichtet wurde. Vor diesem Hintergrund betrachtet, sind die Geschichten hinter bekannten Fotografien oft genauso spannend wie das Ereignis, das sie zeigen. Die Frage, warum ein Bild entstanden ist, wer es erstellt hat und warum es so aussieht, wie es aussieht, steht immer im Mittelpunkt der Recherche.

Ein Blick ins Archiv

Eine solche Recherche betraf eines der zentralsten Ereignisse der Zweiten Republik, die Unterzeichnung des Staatsvertrags im Oberen Belvedere am 15. Mai 1955. An diesen Staatsakt wird vor allem in einem berühmten Bild der Bildagentur Votava erinnert, welches Leopold Figl inmitten der Außenminister der vier Alliierten zeigt, wie er am Balkon des Belvederes der Menschenmenge den unterzeichneten Staatsvertrag präsentiert.

Ein schwarz-weiß Foto der Unterzeichnung des Staatsvertrags im Oberen Belvedere
Foto-Ikone der Staatsvertrag-Unterzeichnung

Dieses Bild ging über Jahrzehnte in Schulbücher ein und wurde zu Jubiläen gedruckt – die perfekte Foto-Ikone. Betrachtet man die Veröffentlichungen aber näher, merkt man, dass es zwei Versionen dieses Bildes gibt.

Originalfoto der Staatsvertrag-Unterzeichnung

Auf einem blickt der US-Außenminister John Foster Dulles nach vorne zu den Zuseher:innen, am anderen nach hinten.

Komplette Abfolge der Negative

Analysiert man nun die komplette Abfolge der Negative (Video rechts), sieht man, dass das Bild von Figl mit dem Staatsvertrag auf dem Filmkader 41A/42 zu sehen ist, der Körper von Dulles jedoch auf Filmkader 43A/44. Es liegt also eine Fotomontage vor, in der der Körper von Dulles auf den Print eines anderen Negativs montiert wurde. Doch warum war es für Votava notwendig, sich dieses Tricks zu bedienen?

Animation: APA/Peter Weingartner

Leopold Figl war im Jahr 1955 kein auf Medienpräsenz geschulter Politiker, der das Schriftstück längere Zeit unter Blitzlichtgewitter den Kameras präsentiert hätte. Auf der Abfolge der Negative und in der Aufnahme der Austria Wochenschau[1] sieht man, dass Figl das Buch gereicht bekommt, es aufschlägt, sich mit dem Buch von rechts nach links dreht und es links wieder nach hinten zurückgibt. Die ganze Aktion dauerte ca. 5 Sekunden. Just in dem Augenblick, in dem er das Buch ideal präsentierte, drehte sich Dulles weg. Die einzige Aufnahme des unwiederbringlichen Augenblicks war also nicht perfekt. Wie man an diesem Beispiel sieht, wurde immer nur eine geringe Menge an Negativen belichtet, man konnte also nicht aus dutzenden Aufnahmen die beste aussuchen.

Die originalen Negative sind hier der Beweis und die Authentifizierung der Aufnahme. Im Laufe der Fotogeschichte kam es immer wieder vor, dass Bilder durch Retusche oder Montage angepasst und für den Druck optimiert wurden. So wurde etwa bei entscheidenden Torschüssen der Ball auf die Vergrößerung geklebt, wenn er nicht im Bild zu sehen war. Der Kontext und die Aussage des Bildes wurden nicht verändert. Im Unterschied zur Propagandapraxis in totalitären Regimen ging es nicht um die Manipulation der Nachricht, sondern um eine „Verbesserung“ der Aufnahme. Dies war langjährige Praxis in Redaktionen und ist seit vielen Jahren tabu.

Da die Aufnahme von Votava ein zentrales Motiv der österreichischen Fotogeschichte ist, bietet APA-PictureDesk, mit dem entsprechenden Hinweis versehen, beide Versionen in der Bilddatenbank www.picturedesk.com weiterhin an.

Authentizität durch Qualität

Heute lautet der Grundsatz bei der Bildbearbeitung: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Das bedeutet, dass lediglich minimale Anpassungen vorgenommen werden, wie die maßvolle Korrektur von Helligkeit, Kontrast und Farbe. Der Bildinhalt und die Aussage werden dabei nie grundlegend verändert. Das Wegschneiden bildrelevanter Teile, jegliche Verfremdung und das Hinzufügen oder Entfernen von Objekten sind klare No-Gos im Qualitätsjournalismus.

Die APA stellt im Rahmen ihrer Trusted-AI-Strategie darüber hinaus sicher, dass keine KI-generierten Bilder oder Videos erstellt oder verbreitet werden. Diese strikten Kriterien und deren Einhaltung garantieren das Vertrauen in die Authentizität und Qualität journalistischer Bilder.

Vom Fotonegativ zu Metadaten

Neben hohen Qualitätsstandards steht zunehmend auch der technische Nachweis der Authentizität von Fotos im Fokus. Während im analogen Zeitalter das Fotonegativ als Referenz für das Originalbild und eventuelle Bearbeitungen diente, übernehmen heute zunehmend Metadaten diese Funktion.

Gegenwärtig evaluieren und testen internationale Nachrichtenagenturen und Kamerahersteller neue technische Standards wie C2PA (Coalition for Content Provenance and Authenticity) in ihren Workflows und bilden für deren Implementierung. Dadurch wird der Prozess von der Aufnahme mit der Kamera, über die Bearbeitung am Foto-Desk bis zur Veröffentlichung am Endgerät – also „glass-to-glass“ – dokumentiert und transparent gemacht. Ziel dieses Vorhabens ist es, das Vertrauen in visuellen Journalismus auch im KI-Zeitalter abzusichern.

Quellen

[1] ÖSTERREICH IST FREI Sonderausgabe der Austria Wochenschau in Farbe (Austria Wochenschau 44/1955). https://www.filmarchiv.at/de/filmarchiv-on/video/f_02zpIAoYgkn7MIqMFDrHt2. Die Szene ist bei Minute 5:55 zu sehen. Abgerufen am 16.6.2025

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