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blog / Dienstag 07.03.17

Alles nur gefälscht? Trusted Content und der Medienwandel

„Fake News“ – ein Begriff mit einer steilen Karriere. Erst kürzlich wurde er in Deutschland sogar zum „Anglizismus des Jahres“ gekürt. Aber grenzt der Hype schon an Hysterie? Worüber reden wir, wenn wir uns darüber aufregen? Und welche Gegenstrategien gibt es für Medien und User? Im APA-medialab haben wir uns einer grundlegenden Begriffsklärung gewidmet, um die Mechanismen hinter den Phrasen zu begreifen: eine notwendige Vorarbeit für die Entwicklung möglicher Tools.
APA

Der Hype um die Fake News

Bis Ende 2016 war das Thema in Österreich ein überschaubares. Doch die US-Wahl (Stichwort: “Der Papst würde Trump wählen”) hat das Phänomen hierzulande in die Schlagzeilen gebracht. In Deutschland lässt nun die nahende Bundestags-Wahl erneut die Debatte überschwappen. Auch der Urnengang in Frankreich ist ein Motor. In Österreich können wir sicher sein: Steht die nächste Nationalratswahl ins Haus, wird das Thema auch hier eine Herausforderung für Medien und Politik. Doch “richtige” Fake News sind hierzulande derzeit kein Massenphänomen – was nicht heißt, dass nicht massenhaft manipulative Information kursiert.

“There is danger of exaggerating the extent of fake news.“
Reuters Institute: „Journalism, Media, and Technology Trends and Prediction“ 2017

 

Die Angst vor der Filter Bubble

Um User mit verifizierten Informationen zu versorgen, muss man sie erreichen. Aber leben denn nicht schon viele in ihrer Blase und erhalten nur mehr die Geschichten, die sie auch hören wollen? Algorithmen wie jener von Facebook stellen die etablierten Medienmarken in vieler Hinsicht vor völlig neue Herausforderungen, was die Distribution ihres Contents und die Durchdringung der Leserschichten betrifft. Diese Herausforderung ist aber nicht nur eine Frage des Geschäftsmodells, sondern hat massiven gesellschaftspolitischen Impact. Umgekehrt müssen sich auch Journalisten fragen lassen, ob sie bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen. Wollen sie “raus aus ihrer Blase”?

 

„Fact-Checking“ zwischen Handwerk und Marketing

Fact Checking-Units und Verifizierungsteams haben Hochkonjunktur in den Newsrooms. Polemisch könnte man fragen, wie denn diese Medien bisher Journalismus betrieben haben. Informationen zu hinterfragen, zu überprüfen und zu verifizieren ist zentrale Aufgabe von Medien mit Qualitätsanspruch. Der Trend zum ausgewiesenen Faktencheck kann in diesem Sinn als generelle und klar kommunizierte Rückbesinnung auf dieses wesentliche Kriterien des Qualitätsjournalismus gedeutet werden. Aber auch als redaktionelles Marketing-Instrument. Und schließlich ist der Faktencheck als neues journalistisches Format zu begreifen, mit dem die Redaktionen auf die geänderte – und unsichere – Nachrichtenlage reagieren.

Beispiel: Automatische Texterstellung

Fake News: Definition

Der Terminus “Fake News” wird zur Zeit inflationär eingesetzt, neuerdings ergänzt durch Buzzwords wie “Alternative Fakten” oder “postfaktisches Zeitalter”. Eine seriöse und produktive Diskussion über das Phänomen erfordert eine präzise Definition. Denn, so wird in der Diskussion stets – und zu Recht – eingewendet: “Falschmeldungen” gab es doch immer schon. Was ist neu?

Die fehlende Differenzierung, obwohl es im allgemeinen Sprachgebrauch genügend Beschreibungen für Falschmeldungen aller Art gibt, hat zu der Verwässerung und auch oftmals falschen Nutzung des Wortes geführt.

André Wolf, Mimikama in APA-Science

Zum einen die enorme Potenzierung ihrer Verbreitung durch Netzwerke und Plattformen und die algorithmen-gesteuerte Distribution; zum anderen die steigende Anzahl an Quellen, die sich als Medien maskieren, aber andere Ziele verfolgen als eine Information der Öffentlichkeit.

Beispiel: Automatische Texterstellung

Quelle: Anglizismus des Jahres

Was also unterscheidet Fake News von der Falschmeldung? Die Jury des “Anglizismus des Jahres”, eine “Auszeichnung”, die in Deutschland jedes Jahr verliehen wird, hat eine präzise und nachvollziehbare Definition geliefert. Die Linguisten hinter diesem Projekt verstehen diesen Preis übrigens als dezidiert affirmativ: Sie würdigen damit alljährlich Begriffe, die ihrer Ansicht nach eine Bereicherung des deutschen Wortschatzes darstellen. Im Folgenden die Begründung der Jury in Auszügen:

„Überzeugt hat die Jury an Fake News neben seiner überwältigenden und anhaltenden öffentlichen Präsenz vor allem, dass es eine Lücke im deutschen Wortschatz füllt, die ohne das Wort fake nicht ganz einfach zu schließen ist. Dies zeigt sich an Versuchen, das Wort etwa durch das bestehende Wort Falschmeldung wiederzugeben, das aber nicht zwischen bewusster Irreführung und ehrlichen Fehlern in der Berichterstattung unterscheidet.

Anders als falsch (oder das englische false) bezeichnet das Adjektiv fake bewusste, in Täuschungsabsicht hergestellte Nachbildungen von Dingen – vom Pelz oder dem Reisepass über ein Lächeln bis eben zu Nachrichten.“

Was an dieser Definition besticht: Sie leistet die Abgrenzung zur gern ins Treffen geführten klassischen Falschmeldung oder zu “ehrlichen Fehlern in der Berichterstattung”. Und sie macht deutlich, dass bewusste Irreführung mit einer bestimmten Absicht ein entscheidendes Definitionskriterium. Oder, wie es die BBC formuliert:

„Deliberately misleading stories masquerading as news.“

Wer hat die Deutungshoheit?

So rasch von Journalistenseite das Schlagwort Fake News als Bedrohungsszenario ausgemacht wurde, so rasch folgte eine Gegenbewegung. Der Begriff wurde zur Killerphrase, die keine weitere Diskussion zulässt, und wird inflationär eingesetzt, um angebliche oder tatsächliche “falsche Behauptungen” anzuprangern.

Hinzu kommt, dass er sich bestens eignet, um dem bereits hinlänglich bekannten Schlachtruf gegen die “Lügenpresse” oder “Systempresse” in ein leicht fassliches und quasi sprachlich modisches Outfit zu verpassen.

Als bekannt vorauszusetzen und exemplarisch für diese Entwicklung ist der Auftritt von US-Präsident Donald Trump, der einen CNN-Reporter beschimpfte:

 

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte einiges an einem Zeitungsbericht auszusetzen und nannte den entsprechenden Artikel im “Falter” deshalb “Fake News”:

 

“Falter”-Chefredakteur Florian Klenk wiederum sah in der Auseinandersetzung in dieser Causa in einer Richtigstellung seitens der APA den Vorwurf von “Fake News”:

Die rechte Online-Plattform “unzensuriert.at” erstellt seit einiger Zeit eine regelmäßige “Fake News”-Wochenschau:

Wer also bestimmt, ob eine Nachricht “gefälscht” ist? Der Kampf um die Deutungshoheit ist nicht zu gewinnen. Je inflationärer und unreflektierter aber der Begriff “Fake News” in die Runde geworfen wird, desto schwieriger wird es, Lösungsansätze zu finden.

Die Strategien der Desinformation

  • “Framing“ und Kontext
  • Selektive Information
  • Als bekannt vorauszusetzende Ursprungsquellen
  • Faktensuggestion
  • Starke Bildsprache, visuelle Kommunikation
  • Generalisierung und Zuspitzung
  • Emotionalisierung und Generierung von Engagenment

Beispiel für “Framing”

Ein Screenshot einer Kurzmeldung der “Kronen Zeitung” wird von einer Facebook-Gruppe in einen spezifischen (Asyl-)Kontext gesetzt. Im Artikel selbst wird auf den Aufenthalts- bzw. Asylstatus der festgenommenen nicht Bezug genommen.

Beispiel “Faktensuggestion”

Wiederum Bezug nehmend auf einen Bericht einer etablierten Medienmarke (und wiederum die “Kronen Zeitung”) wird die Nationalität des mutmaßlichen Täters als gegebenes und bestätigtes Faktum suggeriert.

 

 

Beispiel “ein Bild sagt mehr”…

So mancher Facebook-User mag sich gewundert haben, als er rund um die Inauguration von US-Präsident Donald Trump auf diese augenscheinliche Botschaft der einstigen First Lady Michelle Obama stieß. Einige Rechercheschritte ergaben, dass dieses Meme von einer der unzähligen Facebookgruppen stammte, die sich für eine Kandidatur von Michelle Obama stark machen. Der Sharing-Mechanismus von Facebook ermöglicht es, beim Teilen von Bildern die Quelle mit nur einem Klick zu entfernen. Zugleich priorisiert der Facebook-Algorithmus visuelle Elemente, was die Verbreitung solcher Inhalte zusätzlich pusht.

 

Beispiel “Generalisierung und Zuspitzung”

In den sozialen Medien wird derzeit ein Aufruf geteilt, eine Petition gegen die Besteuerung von Monats-Hygieneartikeln zu unterzeichnen. Aus der Tatsache, dass diese dem selben Mehrwertsteuersatz (20 Prozent) unterliegen wie Champagner, wird eine Luxusbesteuerung suggeriert.

“Wir sind keine Profi Journalisten“

Eine Facebook-Gruppe teilte diese “Information” und suggerierte einen rassistischen Hintergrund der angeblichen Tat. APA-Recherchen ergaben, dass ein solcher Vorfall nicht stattgefunden hatte. Hinweise auf dieses Recherche-Ergebnis wurden zuerst mit Anzeigedrohungen quittiert, einige Tage später entschuldigte sich die Gruppe – deren Betreiber nicht offengelegt wurden – für die falsche Information: “Bitte um Verständnis wir sind keine Profi Journalisten.” Selbst wenn dieses Beispiel nicht alle oben skizzierten Definitionskriterien für “Fake News” erfüllt: Die Akteure sehen ihre Arbeit als journalistisch an.

Es zeigt sich, dass bei weitem nicht alle dieser Beispiele “klassische” Fake News sind. Die Strategien der Desinformation im Web sind vielfältig, die Verifizierung kann daher oft mit einem simplen Faktencheck nicht geleistet werden.

Statt Fake News haben wir es häufig mit “manipulative news” zu tun, die einer differenzierten Beschreibung bedürfen, um sie zu demaskieren. Das Netzwerk First Draft hat dies ebenfalls erkannt und dafür eine “Checkliste” erstellt:

 

Die Konsequenz für den Faktencheck

“Wahr” und “falsch” sind gewagte Aussagen.

“It is very rare that something is absolutely true or false.”

Jenni Sargent, First Draft News

Auch in Österreich ist der Faktencheck modern geworden. Wie Fake News wird der Begriff allerdings mittlerweile häufig unreflektiert in die Diskussion geworfen. Bei aller Euphorie der Redaktionen muss man sich vor Augen halten, dass diese Mode ein zweischneidiges Schwert ist. Das Label Faktencheck kann Recherche-Prozesse transparent machen und den Wert der journalistischen Arbeit unterstreichen. Man sollte sich aber davor hüten, das Hinterfragen von Quellen und Informationen als neue Errungenschaft darzustellen, gehört es doch seit jeher zu den Grundpfeilern des Qualitätsjournalismus.

Zudem muss der Faktenchecker die eigene Position und auch die eigene “Filterbubble” reflektieren. Wer für sich Anspruch nimmt, die “Wahrheit” zu schreiben, muss sich auch Fragen nach einer möglichen Bias stellen und Antworten darauf haben.

„Expect controversies over which fact-checking services are used, who is funding them and why.“

Reuters Institute: „Journalism, Media, and Technology Trends and Prediction“ 2017

Zum Faktor Technologie: Der Traum jedes Verifizierungsteams ist wohl ein Tool, das “falsche” Nachrichten quasi auf Knopfdruck aussortiert. Dies schlug sich auch in der bisher letzten Runde des Google Digital News Initiative Innovation Funds nieder, in der etwa die britische Gruppe Full Fact mit einem Konzept in diese Richtung punkten konnte.

Doch auch wenn sich das Fact Checking-Segment derzeit eindeutig technologiegetrieben darstellt, sollten sich die Redaktionen genau fragen, wie viel ihrer Kernkompetenzen sie an Algorithmen ausliefern. Arbeitsbehelfe wie das kollaborative Tool “Check” von Meedan wiederum können generell einen sinnvollen Platz im Newsroom finden und müssen nicht auf den Faktencheck-Einsatz beschränkt werden.

Definitiv Karriere gemacht hat der Faktencheck als (neues) journalistisches Format in Reaktion auf den Trend zur Echtzeit-Nachrichtenübermittlung. Live-Berichterstattung hat in den vergangenen Jahren einen hohen Stellenwert erlangt. Als Konsequenz steigt der Bedarf, live geäußerte Behauptungen in real time einer Überprüfung zu unterziehen (Beispiel: TV-Diskussionen).

Gegeninitativen

Zahlreiche Redaktionen haben in den vergangenen Monaten Verification Units und Faktencheck-Teams aufgebaut bzw. bereiten entsprechende Abteilungen vor. Die BBC etwa nennt ihre entsprechende Einheit “Reality Check“. Motto: “Here to cut through the spin and concentrate on the facts.” Die ARD baut soeben eine Anti-Fake-News-Einheit auf. Internationales Beispiel ist die Seite “Viralgranskaren” des schwedischen Metro-Verlages.

Facebook hat nach einigem Zaudern erkannt, dass die ungehinderte Verbreitung gefälschter Nachrichten in seinem Netzwerk ein Unternehmensproblem werden kann. Seitdem werden Allianzen gesucht. “Disputed sources” werden in Kooperationen mit Snopes und PolitiFact neuerdings als solche ausgewiesen – mit einem kleinen Warndreieck. In Deutschland holte man sich das Recherchebüro Correctiv an Bord und sucht Allianzen mit Medienhäusern. Diese haben bisher allerdings wenig Interesse an den Tag gelegt, für den Web-Giganten gratis Fakten zu checken.

Zivilgesellschaftliche Initiativen wie Mimikama erfreuen sich nicht zuletzt durch die zielgruppenspezifische Aufbereitung ihrer Arbeit über einen hohen Userzuspruch.

Medienpolitische Regulierungsphantasien für online verbreiteten Content stoßen – zu Recht – auf immense Skepsis. Es wird befürchtet, das entsprechende Maßnahmen auf legistischer Ebene letztendlich zu Einschränkungen der Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit führen könnten.

Medienübergreifende Kooperationen stehen erst am Beginn. Als Case Study bietet sich zur Zeit die französische Plattform CrossCheck an, gehostet von First Draft News und Google News Lab. 37 namhafte Redaktionen des Landes widmen sich für die Zeit des französischen Präsidentschaftswahlkampfes dem Aufdecken von falschen und gefälschten Nachrichten.

Das Besondere an diesem Konzept: Das “Debunking” erfolgt kollaborativ, die Medien steuern ihre Ressourcen zum Recherchepool bei und segnen die Ergebnisse zudem mir ihren Logos ab (“crosschecked”). Überlegungen für ein ähnliches Projekt zur deutschen Bundestagswahl stehen im Raum.

Das Übel an der Wurzel packen

Das Phänomen der gefälschten Nachrichten bedeutet mehr Arbeit für Journalisten. Nicht allein, weil es mehr fragwürdige Fakten zu überprüfen gibt, sondern auch, weil die Zahl der fragwürdigen Quellen steigt. Eine Facebook-Seite ist schnell angelegt, Impressums-Pflicht und andere rechtliche Vorgaben werden nicht eingehalten. Bevor man eine Information dem obligatorischen Check unterzieht, gilt es, die Quelle selbst zu verifizieren.

Zugleich gerät quellenkritisches Denken beim User ins Hintertreffen, da Netzwerke wie Facebook und Twitter als Verbreitungskanal den Urheber einer Information in den Hintergrund treten lassen können. Der Fokus auf Quellen und den Umgang mit ihnen ist in der Debatte über Fake News bisher nicht ausreichend thematisiert worden.

Ich finde so ein Labeling, stärker darauf hinzuweisen, was ist eine vertrauenswürdige Quelle, was ist eine journalistische, was ist eine private Meinung, ist auf jeden Fall ein richtiger Ansatz.“

Stephan Weichert, Kommunikationswissenschaftler, zitiert in dpa

Fazit

Das Thema Fake News wird uns noch lange begleiten, denn es ist nicht von den grundsätzlichen disruptiven Prozessen in der Medienbranche zu isolieren. Die Antwort kann keine rein technologische oder publizistische sein. Sie muss im Einklang mit Überlegungen stehen, denen sich jedes Medienhaus im Jahr 2017 stellen muss: Wie und wo die User zu erreichen sind, wie das Vertrauen in die eigene Marke gestärkt und (wieder) aufgebaut werden kann, wie (neue) Erlösströme kreiert werden können.

 

Katharina Schell, 07. März 2017