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APA-Value / Montag 13.10.25
APA-Fotoservice/Schedl Eröffnungs-Keynote von APA-Chefredakteurin Maria Scholl bei der APA-Fachtagung „The Future of Fact Checking".

Was ist der Wert von Fakten?

Die dritte Auflage der APA-Fachtagung „The Future of Fact Checking" widmete sich am 30. September 2025 umfassend den Fragen, wie, wo und warum Fakten vermittelt werden können und sollen.

Die hochkarätig besetzten Panels und Vorträge im Wiener Tech Gate wurden von ORF-Redakteur Stefan Lenglinger moderiert. APA-Chefredakteurin Maria Scholl blickte in ihrer Eröffnungsrede knapp zehn Jahre in die Vergangenheit und zitierte Kellyanne Conway, die damalige Wahlkampfmanagerin Donald Trumps, die den Begriff der „alternativen Fakten“ prägte. Neu gewesen sei damals weniger das Behaupten von Unwahrheit durch Machthabende an sich, sondern vielmehr die Unverschämtheit, mit der dies öffentlich vertreten wurde, so Scholl. „Demokratie braucht neben großen Visionen die Bereitschaft, täglich an den noch so kleinen Verbesserungen zu arbeiten. Sie braucht das Dagegenhalten und das Einstehen für das Recht der Gesellschaft auf das Faktische“, so die APA-Chefredakteurin. In dieselbe Kerbe schlug die eingespielte Videobotschaft der Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa, die betonte, dass sich Gesellschaften aktuell im Kampf um Fakten befänden, der darüber entscheiden werde, ob es künftig noch eine geteilte Realität gibt.

Maria Scholl bei The Future of Fact Checking Maria Scholl eröffnete „The Future of Fact Checking" und plädierte für das Recht der Gesellschaft auf das Faktische.
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In welchen Formaten gelingt Faktenvermittlung?

Den unterhaltsamen Aufschlag der Veranstaltung lieferte Kabarettist und Autor Thomas Maurer mit einem humorigen Streifzug durch die Probleme, die unsere digitale Welt mit Social Media und Co. mit sich bringt. Deep Fakes seien aktuell erst am Beginn der Entwicklungen. „Müssen wir uns einfach daran gewöhnen und das hinnehmen?“, stellte Maurer die Frage ans Publikum. Das Vertrauen, dass etwas echt ist, nur weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe, sei nicht mehr so gegeben wie früher, so der Kabarettist.

Der Kabarettist Thomas Maurer bei The Future of Fact Checking Der Kabarettist Thomas Maurer erzählte humorvoll von seinen Erfahrungen mit Deep Fakes und Social-Media-Plattformen.
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Die anschließende Panelrunde widmete sich der Frage, wie Fakten vermittelt werden können. Neben Maurer nahmen Jana Meixner, Autorin bei Medizin transparent, Regisseur Friedrich Moser, der zuletzt den Dokumentarfilm „How to Build a Truth Engine“ veröffentlicht hat, und Lea Pichler, Projektmanagerin von FÄKT, einer Initiative der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die Science-Videos für eine junge Zielgruppe entwickelt, teil.

Zunächst fragte Moderator Lenglinger nach einer Bestandsaufnahme des Diskurses in sozialen Medien, die durchaus düster ausfiel. Meixner hielt etwa fest, dass speziell seit der Covid-Pandemie alles hitziger geworden sei. Auch die Wissenschaft sei dadurch in den Fokus geraten: „Es ging nicht nur um Fakten, sondern darum, wie Wissenschaft funktioniert. Viele waren verunsichert, unter anderem auch deshalb, weil unklar war, dass Diskussionen und Uneinigkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten dazugehören“, so Meixner. Die Pandemie hätte rückblickend eine Chance sein können, das Bewusstsein für wissenschaftliches Arbeiten zu stärken, sie sei aber schlecht genutzt worden.

Die Herausforderungen seien heute gerade für Jugendliche groß. „Es ist schwierig, sich vorzustellen, nicht mehr analog aufzuwachsen, sondern mit einer ständigen Informationsflut konfrontiert zu sein“, hielt Pichler fest. Ein Problem sei das unter anderem auch deshalb, weil sich das Gehirn gerade bei Jugendlichen noch in der Entwicklung befinde.

Maurer schloss sich dieser Argumentation an und meinte mit Blick auf die Funktionsweise sozialer Medien: „Wir alle, oder zumindest die 80 Prozent der Menschen, die online sind, nehmen freiwillig an einem der größten neurologischen Experimente aller Zeiten teil – mit völlig offenem Ausgang.“ Vielen sei die algorithmische Steuerung der Diskurse auf sozialen Medien nicht bewusst.

Wie eine Lösung dieser Probleme aussehen kann? Moser hob dazu vor allem die Wichtigkeit europäischer Alternativen und Plattformen hervor. „Es wird uns nicht gelingen, die US-Konzerne zu regulieren. Wir müssen deshalb darüber nachdenken, einen öffentlich-rechtlichen Public Space für diese neuen Technologien zu schaffen, der nicht profit- und werbegetrieben ist und in dem andere Diskursformen möglich sind.“ Auch einen potenziellen Verbündeten im Kampf gegen Falschinformationen ortete Moser: „Deep Fakes waren ein Wake-up-call für viele Unternehmen, weil sie gesehen haben, wie schnell dadurch Marken zerstört werden können.“

Ein Foto vom ersten Panel Panel „Wie Fakten vermitteln – In welchen Medien und mit welchen Formaten gelingt Faktenvermittlung am besten?": Stefan Lenglinger (ORF), Lea Pichler (FÄKT/Akademie der Wissenschaften), Friedrich Moser (Filmregisseur "How to Build a Truth Engine"), Jana Meixner (Medizin transparent), Thomas Maurer (Kabarettist, Autor)
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Fact Checking in der Praxis

Zum Start des Nachmittags präsentierte Florian Schmidt, Leiter des APA-Faktencheck-Teams, Tipps und Einblicke aus der praktischen Arbeit des Fact Checkings: einerseits die Bilder-Rückwärtssuche, die es erlaubt, Bilder und Videosequenzen auf ihre Herkunft zu überprüfen; andererseits die intelligente Browser-Suche durch die Verwendung von Operatoren, die es erlauben, nach Dateityp oder Land zu filtern und so genauere Suchergebnisse zu erzielen. Seine Präsentation schloss Schmidt mit einem Überblick über die Media-Literacy-Schulungen der APA, die als Schwerpunkt etwa das Erkennen von KI-generierten Fotos und Videos haben, und weitere geplante Initiativen der Nachrichtenagentur, wie die Lernplattform CheckBar.

Florian Schmidt, Leiter des APA-Faktencheck-Teams, bei The Future of Fact Checking Florian Schmidt, Leiter des APA-Faktencheck-Teams, zeigte zwei Tools, die jede:r im Alltag anwenden kann, um Behauptungen zu überprüfen.
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Wie sehen internationale Arbeitsbedingungen für Fact Checking aus?

Das zweite Panel des Tages wurde aufgrund der internationalen Gäste auf Englisch abgehalten und hatte die Arbeitsbedingungen für Faktenchecker:innen zum Inhalt. Diskutiert haben Christoph Köttl, Journalist bei der New York Times, Stephan Mündges, Koordinator des European Fact Checking Standards Network (EFCSN) und Mariam Tsitsikashvili, Faktencheckerin beim Think-Tank GRASS in Georgien.

Tsitsikashvili bot dabei Einblicke in die Arbeitsrealitäten in einem Land, das in den letzten Jahren stark in eine autoritäre Richtung abgerutscht ist. „Jeder einzelne Fakt, den wir zu einem politisch sensiblen Thema publizieren, ist ein Sicherheitsrisiko und kann potenziell zu Anzeigen und Gefängnisstrafen führen“, so die Faktencheckerin. Ein großes Problem sei dabei etwa das sogenannte „Foreign Agents“-Gesetz, das – nach russischer Blaupause – Organisationen vorschreibt, sich als ausländische Agenten zu registrieren, wenn sie (Förder-)gelder aus dem Ausland, etwa der EU oder den USA, erhalten. Die Auswirkungen auf die tägliche Arbeit sind dabei deutlich spürbar: „Wir haben in unserer Organisation aufgehört, uns um Weiterentwicklung oder den Einsatz neuer Technologien zu kümmern. Seit zwei Jahren, als die ersten repressiven Gesetze verabschiedet wurden, bereiten wir uns auf den Tag vor, an dem die Ermittlungen gegen uns beginnen“, so Tsitsikashvili.

An die Ausführungen schloss Köttl mit Beobachtungen über die US-amerikanische Situation an. Auf die Frage, ob sich in den letzten fünf Jahren viel geändert habe, meint der Journalist: „Auf einer persönlichen Ebene sind die Dinge dieselben, wir gehen zur Arbeit, forschen, recherchieren und veröffentlichen. Es gibt nach wie vor rechtlichen Schutz und die New York Times bietet als Institution auch eine gewisse Sicherheit. Das Klima und wie Politiker:innen hier über die Presse und Journalist:innen sprechen, macht aber traurig und frustriert.“ Um Menschen zu erreichen, die sich (teilweise) von klassischen Medien abgewandt haben, plädiert Köttl dafür, Geschichten zu erzählen, die überzeugen und außerdem an den Formaten der Vermittlung zu feilen – gerade wenn es darum geht, junge Menschen zu erreichen.

Ähnlich pessimistisch bewertete Mündges die gegenwärtige Situation. Es gebe in mehreren europäischen Ländern einen Anstieg autokratischer Bewegungen, als Beispiele nannte er die Entwicklungen in Serbien und Ungarn. Doch auch auf positive Entwicklungen verwies er: „Ich sehe nach wie vor, dass es viele Menschen in den europäischen Ländern gibt, die explizit nach vertrauenswürdiger Information suchen – die müssen wir versorgen.“ Beim Kampf gegen Falschinformationen forderte Mündges ein, das Problem von beiden Seiten anzugehen; einerseits durch verstärkte Media Literacy das Teilen von Falschinformationen einzudämmern und andererseits die Angebotsseite, also die Plattformen, durch Regulierungen stärker in die Pflicht zu nehmen.

Panel 2 von The Future of Fact Checking Panel „Wo Fakten vermitteln – Unter welchen Bedingungen arbeiten Faktenchecker:innen weltweit?": Stefan Lenglinger (ORF), Mariam Tsitsikashvili (Faktencheckerin in Georgien), Stephan Mündges (EFCSN), Christoph Köttl (New York Times)
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Macht Fact Checking Sinn?

Im abschließenden Panel der diesjährigen „The Future of Fact Checking“-Fachtagung debattierten Ingrid Brodnig, Buchautorin und Kolumnistin, Christo Buschek, Investigativ-Journalist bei Der Spiegel und Senior Fellow der Mozilla Foundation, Rechtswissenschaftler Matthias Kettemann und die Leiterin des ORF-Verification-Teams Helene Voglreiter darüber, ob Fact Checking überhaupt Sinn mache.

Voglreiter antwortete auf diese gestellte Frage mit einer kurzen und bündigen Gegenfrage: „Was ist die Alternative?“ Ohne Faktenchecks würde nur die Falschmeldung stehen bleiben, was handfeste Auswirkungen in der Realität habe. Beim ORF setze man jedoch nicht auf Faktenchecks als eigenes Genre, sondern integriere sie als Hintergrundinformationen und Einordnungen in die tägliche Berichterstattung – auch um möglichst genau die relevanten Zielgruppen zu erreichen. „Wir wollen Falschmeldungen nicht größer machen, als sie sind. Wenn also etwa auf TikTok eine Falschmeldung viral geht, dann werden wir auf TikTok darauf reagieren und dieses falsche Video nicht in die Zeit im Bild heben und dort ein Millionen-Publikum mit der Fälschung bekannt machen“, so Voglreiter.

Darüber, wie die Auswirkungen von Desinformationen in der Realität genau aussehen, gibt es wenig empirische Evidenz. „Desinformation existiert, aber welchen genauen Einfluss sie hat, ist empirisch schwer zu ermitteln. Paradoxerweise kann das Diskutieren über Desinformation auch dazu führen, dass sie erfolgreicher ist, als sie sein müsste. Deshalb ist die Medienkompetenz auch so wichtig“, erläuterte Kettemann. Gefragt nach seiner Vorstellung einer Utopie beschreibt der Rechtswissenschaftler soziale Netzwerke als Ort, in denen durch die Medienkompetenz auf Seiten der User:innen, der Durchsetzung von Rechten und verstärktem Policing von Online-Kommunikationsräumen wichtige Inhalte viral gehen und nicht allein jene Inhalte als wichtig gelten, die viral gehen.

Brodnig hielt bei der Frage nach der Rolle von Desinformationen zunächst fest, dass sie die Sache jedenfalls nicht besser machen würden. „Entscheidungen haben tatsächlich viele Puzzleteile, doch eines der vielen Probleme sind eben Desinformationen und hier können wir ansetzen. Faktenchecks bringen etwas, sie sind aber kein Allheilmittel“, so die Buchautorin. In punkto Regulierungen sah Brodnig die EU zwar einerseits auf dem Papier auf einem guten Weg, die neuen Regeln, die unter anderem im Digital Services Act festgeschrieben seien, müssten aber erst mit Leben erfüllt werden.

Wie erfolgreiche Faktenchecks in der Praxis aussehen können, erläuterte Buschek anhand der internen Redaktions-Prüfstelle, der „Spiegel-Dokumentation“: „Die Dokumentation prüft alle Texte, an denen die Redaktion arbeitet, auf fachliche Richtigkeit, und hat vor der Veröffentlichung das letzte Wort. Die Dokumentation hat mir wahnsinnig geholfen, meine methodische Arbeit zu erklären, zu verteidigen und sie vor allem auch nachvollziehbar zu machen.“ Für die Zukunft hielt Buschek fest, dass sich Technologien und Werkzeuge des Faktenchecks zwar ändern würden, die dahinterstehenden Grundprinzipien und Werte aber unverändert bleiben – daran gelte es festzuhalten.

Panel 3 v.l.: Moderator Stefan Lenglinger (ORF), Buchautorin und Kolumnistin Ingrid Brodnig, Rechtswissenschaftler Matthias Kettemann, Helene Voglreiter (Leiterin des ORF-Verification-Teams) und Christo Buschek (Der Spiegel) Panel „Warum Fakten vermitteln – Macht Fact Checking überhaupt Sinn?": Stefan Lenglinger (ORF), Ingrid Brodnig (Autorin, Kolumnistin), Matthias Kettemann (Rechtswissenschaftler), Helene Voglreiter (ORF), Christo Buschek (Der Spiegel)
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Keynote von Thomas Maurer vor Publikum
Videoaufzeichnung „The Future of Fact Checking"

Hier können Sie die gesamte Konferenz auf Video nachsehen.

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Fotogalerie „The Future of Fact Checking"

Die Foto-Highlights vom dritten Faktencheck-Event „The Future of Fact Checking“ finden Sie hier.

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Ein Besucher von The Future of Fact Checking lacht