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APA-Value / Dienstag 23.04.24
APA-Fotoservice/Hörmandinger Maria Scholl (APA-Chefredakteurin) und Clemens Pig (Geschäftsführender Vorstand APA - Austria Presse Agentur)

„Wir brauchen ein Upgrade für die Demokratie“

Im Interview zum Strategie-Update der APA-Gruppe 24-26 sprechen APA-CEO Clemens Pig und APA-Chefredakteurin Maria Scholl über den Umgang mit steigender Komplexität oder akutem Transformationsdruck, über die wachsende Notwendigkeit von Kooperationen sowie über die strategischen Schritte der APA in Richtung integrierte Produktionsplattform für Medien und Kommunikation.

APA-Value: Phänomene wie Desinformation und Vertrauensverlust setzen Demokratien und Medien weltweit unter Druck. Die Herausforderungen rund um KI und Digitalisierung wachsen, die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Die APA hat in diesem Umfeld ihre Strategie bis 2026 erneuert. Worauf basiert sie?

Clemens Pig: Wir erleben gerade große Veränderungen, wir erleben Angriffe auf die digitale Informationsgesellschaft, die in sozialen Netzwerken durch Bots, durch Trolle und auch KI-gestützt massiv Desinformation nach oben spülen, und wir erleben Cyberangriffe auf unsere digitalen Kommunikationssysteme. Letztlich zielen all diese Themen darauf ab, freie Gesellschaften und liberale Demokratien zu destabilisieren. Wir Medien zählen zu den ersten Zielen, denn wir haben eine Schlüsselrolle in diesem demokratischen Gefüge.

An der Formel der APA, nämlich die wirtschaftliche Basis für eine freie redaktionelle Berichterstattung herzustellen, hat sich nichts geändert, die Rahmenbedingungen aber haben sich dramatisch geändert.

Wir benötigen ein Upgrade der Demokratie, und dieses muss zwingend im Schulterschluss mit uns Medien funktionieren.

Clemens Pig
APA-Fotoservice/Hörmandinger

APA-Value: Die Medien sind ja selbst Teil des demokratischen Säulensystems. Gleichzeitig steckt der Journalismus in einer Vertrauenskrise. Was also tun?

Maria Scholl: Ich glaube, die größte Herausforderung für den Journalismus ist, dass er nicht mehr als solcher erkannt wird. Dass wir massiv unterschätzen, dass es es im digitalen Informationsraum für Menschen wahrnehmungspsychologisch eine Herausforderung ist, zwischen Befindlichkeitsäußerungen, schnell oder auch solide hingeworfenen Meinungen und tatsächlicher journalistischer Recherche zu unterscheiden. Medien müssen aufpassen, nicht selbst Teil dieser Verwirrungskampagne zu werden. Die Voraussetzungen für Medienproduktion und für Informationsweitergabe werden immer komplexer: in technologischer Hinsicht, in gesellschaftlicher Hinsicht, in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir reden sehr viel darüber, dass die Voraussetzungen für Medienproduktion, für Informationsweitergabe immer komplexer werden aus technologischer Hinsicht, aus gesellschaftlicher Hinsicht, aus wirtschaftlicher Hinsicht.

Der Kern ist, dass wir Menschen begreifbar machen müssen: Was ist die journalistische Methode? Was ist der Unterschied zwischen einer recherchierten,  faktenbasierten Information und einer beliebigen anderen Aussage?

 

Pig: Was wir in dieser schwierigen Lage tun können, sind drei Dinge: Es ist unser Anspruch, Transparenz herzustellen, d.h. wie können wir uns in unseren journalistischen Angeboten unterscheidbar machen? Zweitens eine Art der neuen Fehlerkultur herbeizuführen und drittens diese Einbahnstraßen aufzubrechen. Journalismus hat nicht mehr die einzige Deutungshoheit in dieser Welt – es braucht ein dialogorientiertes Modell.

Journalismus kann diese Problemlagen allein aber nicht lösen, weil die tiefenpsychologischen Strukturen dessen, was wir gerade erleben – Lügenpressevorwurf, Verschwörungstheorien, all diese Schlagworte – nicht nur mit den Medien zu tun haben, sondern ganz massiv auch Politik und Wissenschaft betreffen. Wenn ich die Evolutionsgeschichte des Menschen richtig verstanden habe, dann haben sich immer jene durchgesetzt, die zur Kooperation fähig und flexibel waren. Auch, weil die Herausforderungen so groß sind.

 

APA-Value: Strategieentwicklung in derart volatilen Zeiten ist kein einfaches Unterfangen. Wie sehen die Visionen und Pläne der APA-Gruppe für die nächsten Jahre aus?

Pig: In unserer Strategie Trusted Content/Trusted AI kommt gut zum Ausdruck, wer wir sein wollen. Mit Blick auf das 175-Jahr-Jubiläum der österreichischen Nachrichtenagenturen ist es doch erstaunlich zu sehen, dass diese spezifische Mediengattung Nachrichtenagentur in der Eigentümerschaft von Medien eine unglaublich lange Bestandsdauer hat. Und da liegt auch insgesamt die grundlegende Antwort: Das, woher wir kommen, immer neu zu interpretieren. Was diese neue APA-Strategie beinhaltet, ist ein klares Bekenntnis, dass die APA in dieser Form auch ökonomisch funktioniert und dass es damit nicht notwendig war, sie neu zu programmieren.

 

Scholl: Uns ist bewusst, dass in zwei Jahren die Themenlage wieder eine völlig andere sein kann und dass wir deswegen in der Strategie eher Grundpfeiler einschlagen müssen. Hier spielt Vertrauen eine große Rolle. Wir sagen: Trust ist die zentrale Währung aller Operationen – ob es die vertrauenswürdige Berichterstattung als Rückgrat einer pluralistischen Gesellschaft oder die Themen sichere Datenhaltung, Rechtssicherheit, Faktencheck und Verifikation sind –, das starke Gegengewicht zum Thema Falschinformation. Die zweite Ebene unserer Strategie legt auch unsere Zielgruppen, unsere Kundinnen und Kunden, unsere Stakeholder fest, für die wir Mehrwert schaffen wollen, von unseren Mitarbeiter:innen bis hin zur Demokratie.

Im Bereich KI profitieren wir massiv davon, dass wir in der Vergangenheit schon viel in Forschung und Entwicklung investiert haben. Dass wir großartige Kolleginnen und Kollegen im Haus haben, die nicht nur die operative Umsetzungsfähigkeit haben, sondern auch den strategischen Weitblick. Für uns ist KI hoch ausdifferenziert – von der Anwendbarkeit, Steuerbarkeit, Kontrollierbarkeit, Gestaltbarkeit.

Maria Scholl
APA-Fotoservice/Hörmandinger

APA-Value: Beständig ist die APA auch als Plattform für die Medien und Kommunikationsbranche. Was dürfen sich Informationsmanager:innen von dieser Plattform erwarten?  

Pig: Die APA ist seit ihrer Gründung eine organisatorische Plattform, seit einigen Jahren eine Projektplattform. Der nächste Schritt ist: Wir wollen eine integrierte Produktionsplattform der Medien- und Kommunikationsindustrie werden. Derzeit liefern wir Inhalte, Services und Technologien. Ziel ist es, dass wir selbst tatsächlich das Tool zur Produktion von Inhalten werden. Mit schlanken, modularen Software-as-a-Service-Bausteinen. Und damit öffnen wir auch ein neues Geschäftsfeld, das eines Online-Redaktionssystems für Medien und Corporate Newsrooms.

 

Scholl: Das Schöne ist, dass wir diese Plattform mit dem neuen APA-NewsDesk, also die Nachfolge des APA-OnlineManager, bereits haben. Das ist der Ort, wo wir unsere eigenen Inhalte und die aus der österreichischen Medienproduktion aufbereiten, mit KI-Tools anreichern, nach Themen gruppieren, wo wir sehr viel Wert legen auf das Thema Live und Echtzeit, wo aber auch unsere Planung komplett transparent ist. Das ist der Anknüpfungspunkt für Journalistinnen und Journalisten, um dort ihre Recherchen zu machen, Themen zu verfolgen und vieles mehr. Und in Zukunft soll der APA-NewsDesk eben auch ein vollumfängliches Produktionssystem enthalten.

 

Pig: Das ist tatsächlich der finale Durchstich zur NewsTech-Agentur, die wir sein wollen. Wir wollen das gesamthaft für den deutschsprachigen Raum anbieten, womit sich unsere Internationalisierungsarbeit der vergangenen Jahre bezahlt macht. Als Infrastrukturunternehmen ist es auch für diesen österreichischen Medienstandort wichtig, Fortschritte zu erzielen. Wir müssen aber schauen, wie wir diese Innovationen finanzieren, da die APA ja keine staatlichen Subventionen erhält.

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APA-Value: Mit hohen Inflationsraten, hohen Energiekosten und einer gesamthaften Teuerung waren die letzten Jahre alles andere als einfach, wie geht es der APA wirtschaftlich?

Pig: Unseren Jahresabschluss 23 präsentieren wir erst im Juni, aber wir können schon sagen, dass es ein ausnehmend stabiles und erfolgreiches Jahr war, in dem wir auch insgesamt beim Personalstand und durch neue Geschäftsaktivitäten gewachsen sind. Was das heurige Jahr betrifft, sind wir planmäßig gestartet.

Die Formel der APA bleibt ja auch hier aufrecht: Wir wollen ein geschlossenes Ökosystem dahingehend haben, dass wir auch gewinnorientiert arbeiten und in der Lage sind, dem Markt und den Eigentümern Dividenden zurückzuspielen. Ich halte das nach wie vor für einen ganz zentralen Baustein. Wir wissen, dass mittlerweile von 140 Agenturen weltweit nur 20 unabhängig sind, auch diese Agenturen stehen massiv unter Druck. Eine wesentliche Stärke von Agenturen kann es daher sein, hier nicht nur die unmittelbaren Werkzeuge Content und Technologie zu liefern, sondern auch die Gegenfinanzierungen sicherzustellen.

 

APA-Value: Zurück zur KI. Wird es angesichts der vielschichtigen und komplexen Herausforderungen rund um Künstliche Intelligenz ein stärkeres Zusammenrücken, den vielzitierten Schulterschluss der Branche, geben?

Pig: AI ist ein ziemliches Brennglas. Das Thema Künstliche Intelligenz zeigt die Notwendigkeit von Kooperation auch jenen auf, die sie bisher nicht sehen wollten, weil KI etwas ist, das für einen einzelnen Player zu groß ist.

 

Scholl: Aus Sicht eines genossenschaftlich gewinnorientierten Unternehmens gibt es natürlich zu wenig Kooperation, und das derzeit zentralste Gefäß für Medienkooperation in Österreich ist die APA.

 

Pig: Womit wir den gesamten Markt adressieren, man muss nicht Mitglied sein, um dabei zu sein – und das ist nach wie vor Appell und Aufruf. Ich bin in der Zwischenzeit der Meinung, egal, ob man Kooperation mag oder nicht, sie ist alternativlos geworden. Das Thema AI führt uns das dramatisch vor Augen. Gerade für Österreich und den deutschsprachigen Raum ist es ja ein aufgelegter Elfmeter, die Large Language Models (LLMs) in Tiny-Models überzuführen. Wir sind prädestiniert dafür, mit der deutschen Sprache genau jenen Claim abzustecken, wo wir wirklich auf Basis von Fakten, geprüften Nachrichten und Informationen diese Tiny-Sprachmodelle trainieren können. Wir brauchen mehr Power und mehr Ressourcen in unseren Newsrooms. In einer Ära wie dieser, in einem Superwahljahr, wo wir alle die Tsunamis an Desinformation erwarten, muss die strategische Zielsetzung sein, mehr Ressourcen für Fact-Checking, mehr Ressourcen für Recherchen, mehr Ressourcen zum Aufbau neuer Berufsfelder zu haben.

 

Scholl: Die APA ist ein Mikrokosmos für Kooperation, nicht nur mit unseren Eigentümern, sondern auch die APA in sich. Wir bemerken, dass viel Innovation aus dem Newsroom angestoßen wird. Wir gehen nicht mehr davon aus, dass unsere diversifizierten Geschäftsfelder getrennte Dinge tun, sondern wir gehen davon aus, dass wir überall Kompetenzen, Expertisen aufbauen, die im Zusammenspiel einen Mehrwert ergeben, um diese extrem komplexen, aber doch stark zusammenhängenden Herausforderungen der Branche zu bedienen. Das sehen wir ganz stark im Bereich AI, aber insgesamt bei allen technologischen Zukunftsfragen. Da sitzt die Redaktion immer mit am Tisch, nicht nur als Ideengeberin, sondern in einer intensiven Nutzung der journalistischen Herangehensweise.

 

APA-Value: Viele Aufgabenstellungen für eine nationale Nachrichtenagentur.

Pig: Das alles hat keinen Selbstzweck, sondern ein übergeordnetes Ziel, das vertrauensvolle faktenbasierte Nachricht lautet. Was wir hier tun, liefert einen Purpose, der nicht größer sein könnte.

Wo sind die Tools und die Technologien, die uns und den Nutzerinnen und Nutzern helfen, Fake News zu identifizieren? Wo sind die Apps, die helfen, mit relativ einfachen, durchaus AI- oder Blockchain-basierten Technologien, Videos zu verifizieren, wo sind die Gütesiegel, auf die man sich verlassen kann? All das gelingt zukünftig nur in diesem kooperativen Schulterschluss, vorerst zumindest für unseren Sprachraum. Wir müssen das äußerst kooperativ tun mit autonomer Steuerung, wir wollen nicht von Fremdtechnologien abhängig sein.

Letztlich macht es wahnsinnig viel Spaß und ist eine große Ehre, diese Arbeit zu tun. Für faktenbasierte, unabhängige Informationen und für die Demokratie.

Interview
APA-Fotoservice/Hörmandinger