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blog / Donnerstag 12.05.22

Kriegsbilder: Genaues Hinschauen als gefährliche Gratwanderung

Von Werner Müllner/Stv. Chefredakteur APA

Die APA berichtet generell „was ist“ – unvoreingenommen, ausgewogen, präzise und nach Möglichkeiten inhaltlich abgesichert. Das ist im „Normalbetrieb“ Herausforderung genug – in Kriegszeiten wie beim russischen Angriff auf die Ukraine aber ganz besonders heikel. Denn das „genaue Hinschauen“ wird gerade bei der Bildberichterstattung zu einer gefährlichen Gratwanderung: Was soll, was darf, was aber darf nicht gezeigt werden? Was dient der Dokumentation des Geschehens, was überschreitet die – stets diskutierbare – Grenze zu Voyeurismus und anstandsloser Sensationsgier?

Will man verantwortungsvolle Berichterstattung, müssen diese häufig sehr komplexen Fragen bei jedem einzelnen Bild gestellt werden. Was aber, wenn große Mengen an Kriegs- und Greuelbildern hereinströmen und rasch selektiert werden müssen? Eine „ethisch-moralische Standard-Bedienungsanleitung“ wäre da hilfreich – aber genau das ist für alle Details und die jeweils individuellen Situationen nicht machbar.

Die APA selbst hat für ihre eigenen Basisdienst-Fotos daher keinen schriftlichen „Kodex“ bezüglich sensibler Inhalte. Aber unsere jahrelange redaktionelle Praxis ist – wie im Gesamtdienst – sehr zurückhaltend: die Abbildung der Wirklichkeit ohne jede Dramatisierung.

Kriegsfotos haben wir in der Eigenproduktion keine, Tote kann es daher z. B. nur auf Bilder nach Unfällen oder kriminellen Taten geben. Hier ist die Regel, keine Leichen erkennbar abzubilden, vor allem keine Close Ups zu versenden, sondern die Gesamtsituation samt Kontext zu zeigen. Die Kontrolle über diese Fotos liegt zu 100 Prozent bei der Redaktion (Fotografin/Fotograf, Bild-Desk, Newsmanager, Chefredakteur).

Für den internationalen Bilderdienst ist überwiegend AFP Partner und Lieferant: Diese Fotos – im Tagesschnitt über 5.300 – laufen nicht über den APA-eigenen Bild-Desk, sondern werden den Medien direkt zur Verfügung gestellt. Wir können hier somit nicht selbst eingreifen, aber AFP wacht natürlich über sensiblen Content. Dazu Uta Tochtermann, Foto-Chefredakteurin für Deutschland und Nordost-Europa: „Wir zeigen auch Leichen, aber nur im Kontext, also mit Umfeld, und möglichst so, dass die Gesichter nicht im Vordergrund und sofort erkennbar sind. Es geht darum, möglichst objektiv über das Kriegsgeschehen zu informieren, dazu gehören leider auch die Opfer und die Toten.“

Das Senden von Bildern mit derartigen Inhalten passiert laut Tochtermann nie leichtfertig: Bei der AFP gilt immer und bei jedem Bild das Vieraugen-Prinzip: d.h. ein Fotograf darf und kann seine Bilder nie direkt ausschicken, immer schaut ein Bildredakteur bzw. eine Bildredakteurin drüber, prüft und sendet dann das Bild – oder eben nicht. Bei besonders grauenhaften Fotos gibt es einen Austausch mit der Chefredaktion, also ein Sechs- oder Noch-Mehr-Augen-Prinzip.“

Und bei besonders „harten“ Bildern der AFP kommt der Vermerk „Graphic content“ hinzu. Tochtermann: „Wir haben in unserem Redaktionssystem die Möglichkeit, ein Kästchen ‚Death‘ anzuklicken. Das verhindert, dass die Bilder automatisch und direkt bei bestimmten Kunden oder Webseiten reinlaufen.“

Dieses Thema betrifft natürlich auch die APA-Bildagentur PictureDesk, die neben APA-Material eine Fülle anderen Contents und anderer Quellen bietet, so zusätzlich zu AFP/Getty u.a. auch AP und Reuters. Bei PictureDesk werden Warn-Hinweise wie „Sensitive“ oder „Graphic content“ von den Quellagenturen übernommen. PictureDesk-Chefin Luzia Strohmayer-Nacif: „Die Bilder sind dann in unserem System als ‚heikel‘ klassifiziert und werden nur an Kunden ausgespielt, die einen Login für die Plattform haben – und dies zu „editorial use only“; das bedeutet: Auch ein berechtigter Kunde kann und darf solche klassifizierten Fotos nicht für andere Zwecke als redaktionelle verwenden (wie etwa Illustration von Kampagnen etc.).“

Fazit: Zentrales Ziel bei der Bildberichterstattung von Kriegsschauplätzen ist ein sorgfältiger und verantwortungsvoller Umgang bei der Auswahl und Aufbereitung von Fotomaterial.

 


Ukranian soldier looks at body bags as priests pray at a mass grave in the grounds surrounding St Andrew’s Church in Bucha, amid Russia’s military invasion launched on Ukraine. Photo by Ronaldo Schemidt / AFP


The body of Mykhailo Romaniuk, 58, lies next to his bicycle on Yablunska street in Bucha, northwest of Kyiv. Photo by Ronaldo Schemidt / AFP


Bodies lie on a street in Bucha, northwest of Kyiv, as Ukraine says Russian forces are making a „rapid retreat“ from northern areas around Kyiv and the city of Chernigiv. Photo by Ronaldo Schemidt / AFP