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news/APA/Dienstag, 10.12.24, 20:25:07

Übergangsregierung in Damaskus – Israel bombardiert Syrien

Syrien bereitet sich nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Bashar al-Assad auf einen Machtwechsel vor. Das Land soll bis März 2025 von einer Übergangsregierung unter Leitung des bisherigen Regierungschefs der Rebellenhochburg Idlib, Mohammed al-Bashir, geführt werden. Israel verstärkte indes seine Angriffe auf syrische Waffenlager. Die USA zeigten sich zu Israels Vorgehen in dem Land zurückhaltend.
APA/APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR

Der bisher wenig bekannte Bashir kündigte in einer Ansprache im Staatsfernsehen an, die Übergangsregierung bis zum 1. März 2025 zu führen. Bei der Rede des studierten Elektronikingenieurs waren die grün-schwarz-weiße Flagge, das Symbol der Assad-Gegner, sowie eine weiße Flagge mit islamischem Glaubensbekenntnis zu sehen, die von sunnitischen Islamisten verwendet wird.

In den vergangenen 48 Stunden griff Israel nach eigenen Angaben die meisten Lagerstätten für strategische Waffen in Syrien an. Zudem sei die syrische Marine zerstört worden. Dass Soldaten auch am Boden jenseits der Pufferzone bis auf 25 Kilometer vor Damaskus vorgerückt seien, dementierte das Militär aber.

In der Nacht auf Dienstag zerstörten Luftangriffe Dutzende von Hubschraubern, Jets und strategischen Einrichtungen der implodierten syrischen Streitkräfte, darunter Stützpunkte der Elitetruppe Republikanische Garde. Auch vermutete Chemiewaffen sowie Forschungs- und Produktionsstätten für solche Waffen sollen Ziel israelischer Angriffe geworden sein. Die Angriffe zielten laut Verteidigungsminister Israel Katz auch auf „schwere strategische Waffen“, damit sie nicht in die Hände von Extremisten wie dem IS gerieten.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bestätigte die Angriffe, betonte aber, sein Land wolle sich nicht in die inneren Angelegenheiten Syriens einmischen. Gleichzeitig warnte er die neuen syrischen Machthaber, ein Wiedererstarken des iranischen Einflusses in Syrien nicht zuzulassen. „Wenn dieses Regime dem Iran erlaubt, sich in Syrien wieder zu etablieren, oder wenn es die Lieferung iranischer oder anderer Waffen an die Hisbollah zulässt, oder wenn es uns angreift, werden wir hart darauf reagieren und einen hohen Preis fordern“, sagte Netanyahu in einer Videobotschaft. „Was dem vorherigen Regime passiert ist, wird auch diesem passieren“, fügte er mit Blick auf den Sturz Assads hinzu. Unter Assad war Syrien ein wichtiger Bestandteil der vom Iran angeführten „Achse des Widerstands“ gegen Israel, zu der auch die Hisbollah-Miliz im Libanon und die Hamas im Gazastreifen gehören.

Der UNO-Sondergesandte Geir Pedersen hatte Israel zuvor aufgefordert, seine Bodenoperationen und Bombenangriffe in Syrien einzustellen. Diese jüngsten Militäreinsätze seien „sehr beunruhigend“, erklärte der Syrien-Vermittler in Genf. „Das muss aufhören. Das ist äußert wichtig“, sagte er.

Die US-Regierung äußerte sich mit Bedacht zum militärischen Vorgehen Israels in Syrien. „Wir erkennen selbstverständlich an, dass Israel in einer schwierigen Nachbarschaft lebt und – wie immer – das Recht hat, sich zu verteidigen“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Man wolle aber nicht, „dass irgendein Akteur auf eine Weise handelt, die es dem syrischen Volk erschwert, eine legitime Regierung zu erlangen“.

Kirby zufolge besteht in Washington Sorge über den möglichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. „Aktuell sind viele verschiedene Rebellen- und Oppositionsgruppen involviert, so dass auch wir Bedenken hinsichtlich der Existenz und des möglichen Einsatzes chemischer Kampfstoffe in Syrien haben“, sagte er.

Außenminister Antony Blinken warnte, dass der IS die Unsicherheit in Syrien nutzen könnte, um sich neu zu formieren. „Wir werden das nicht zulassen“, sagte Blinken, der auf US-Angriffe auf IS-Ziele am Wochenende verwies. Der IS hatte 2014 große Teile von Syrien und des Irak eingenommen und ein Kalifat ausgerufen. Eine US-geführte Koalition trieb sie 2019 zurück. Den Übergangsprozess in Syrien unterstützten die USA voll und ganz, betonte Blinken, der zur Bildung einer Regierung aufrief, die alle gesellschaftlichen Gruppen vertritt und internationale Standards erfüllt.

Unterdessen hat die US-Luftwaffe nach eigenen Angaben mehrere Dutzend Angriffe gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien geflogen. „Sie können davon ausgehen, dass diese Art von Aktivität weitergehen wird“, erklärte Kirby. Man wolle dem IS keine Gelegenheit geben, die Situation im Land für sich auszunutzen.

Auch die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas äußerte Sorgen vor einem Wiederaufleben religiös motivierter Gewalt in Syrien. Dies gelte auch für ein erneutes Aufflammen von Extremismus, sagt sie während einer Anhörung vor einem Ausschuss des Europaparlaments. „Wir müssen eine Wiederholung der schrecklichen Szenarien wie im Irak, Libyen und Afghanistan vermeiden“, betonte sie. Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und den Iran sei der Sturz Assads „ein herber Schlag“.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will zu Syrien-Gesprächen in die Türkei reisen. Man werde sich Anfang nächster Woche treffen, um zu besprechen, was die jüngsten Entwicklungen für die Region und darüber hinaus bedeuteten, teilte die EU-Spitzenvertreterin am Abend nach einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit. Die territoriale Integrität Syriens müsse gewahrt und die Minderheiten müssten geschützt werden.

Auch die EU-Außenminister wollen am Montag in Brüssel über die Lage in Syrien beraten. Zuvor tauschen sich die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten am Freitag in einer Videokonferenz über die Entwicklung aus. Zur G7-Gruppe gehören die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan.

Sowohl in der EU als auch in der Türkei gibt es die Hoffnung, dass nach dem Sturz Assads in Syrien Stabilität einkehrt und mehr Flüchtlinge freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren werden. Erdogan hatte angekündigt, den Grenzübergang Yayladagi zu öffnen, um eine sichere und freiwillige Rückkehr syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge zu ermöglichen. In Österreich hatte die Bundesregierung bereits am Montag angekündigt, die laufenden Asylverfahren von Syrern zu stoppen und möglicherweise auch bestehende Asylentscheidungen von syrischen Staatsbürgern zu prüfen.

Es bleiben allerdings Unsicherheiten, da bei dem Sturz Assads die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation gelistete Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) federführend war. Die EU unterhält bisher keine Beziehungen zu HTS.

EU-Migrationskommissar Magnus Brunner (ÖVP) bezeichnete das Aussetzen der Bearbeitung von Asylanträgen als „durchaus akzeptabel“. Auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) halte dies für rechtlich akzeptabel. Schutzbedürfnisse müssten eingehalten werden. Die weitere Vorgangsweise sei Sache der Mitgliedstaaten, so Brunner vor österreichischen Journalisten. Er plädierte dafür, zunächst die freiwillige Rückkehr von Syrerinnen und Syrern zu unterstützen.

In einem Telefonat mit EU-Ratspräsident António Costa betonte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die Dringlichkeit eines koordinierten Vorgehens der EU nach dem Sturz Assads. Assads Sturz eröffnet eine historische Chance für einen Neuanfang in Syrien. Das Fenster für eine Zukunft der Syrer in ihrer Heimat ist offen – Europa muss diese Möglichkeit nutzen“, sagte Nehammer, wie das Kanzleramt der APA mitteilte.

International laufen jedenfalls Bemühungen um Kontakte mit den neuen Machthabern in Damaskus. Eine von der HTS geführte Offensive hatte am Sonntag zum Sturz Assads geführt, der nach Moskau floh. Assads Ministerpräsident Mohammed Jalali hatte sich am Montag bereiterklärt, die Macht an die Übergangsregierung zu übergeben. Der wichtigste Rebellenkommandeur Ahmed al-Sharaa, bekannt als Abu Mohammed al-Golani, führte Gespräche mit Jalali, um den Übergang zu koordinieren, wie ein Insider sagte.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärten am Montagabend, sie seien zu einer Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern bereit, sofern grundlegende Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten gewährleistet seien. Katar, ein enger Verbündeter der USA, plant Berichten zufolge Gespräche mit Bashir.